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© ZEIT STIFTUNG BUCERIUS / David Laubmeier
Schutz für Forschende: „Zu Wissenschaft gehört das gemeinsame, offene Nachdenken – und das Streiten“

10 Stunden Programm, je 2 Panel-Talks und Workshops, ein Tag – für die Wissenschaft, für den Schutz von Forschenden: Das war die zweite Ausgabe des Symposiums „Expertise unter Druck“ von uns als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, veranstaltet gemeinsam mit der Klaus Tschira Stiftung und dem Scicomm-Support, der nationalen Anlaufstelle bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation. Ende Februar 2025 kamen im Moot Court der Bucerius Law School mehr als 80 Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft zusammen, um über den Schutz von Forschenden in der Öffentlichkeit zu debattieren und gemeinsam an Schutzstrategien zu arbeiten. Denn: In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft stehen Wissenschaften und Wissenschaftskommunikation unter enormem Druck. Statt ausschließlich mit rechtmäßiger fachlicher Kritik sehen sich Forschende, die sich öffentlich zu kontroversen Themen äußern, auch mit gezielten Anfeindungen, Bedrohungen und dem Versuch konfrontiert, ihre Arbeit politisch zu instrumentalisieren. Das hat weitreichende Folgen – nicht nur für die betroffenen Personen, sondern für gesellschaftliche Debatten.

Aus diesem Grund haben die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS und die Klaus Tschira Stiftung gemeinsam mit dem Scicomm-Support 2024 die Initiative „Expertise unter Druck – Orientierung und Schutz für Wissenschaftler:innen in der Öffentlichkeit“ ins Leben gerufen. Das Engagement der Stiftungen soll die Hürden für Wissenschaftler:innen verringern, sich an öffentlichen Auseinandersetzung zu beteiligen, und den Austausch zwischen Vertreter:innen aus Wissenschaft, Medien, Politik und Zivilgesellschaft stärken. Das Vorhaben setzt sich dabei nicht nur für individuellen Schutz ein, sondern hat auch das langfristige Ziel, den Aufbau von unterstützenden Strukturen zu begleiten.

Symposium als Raum für Diskussion – und „Plattform für gezieltes Handeln“

Herzstück der Initiative ist das eintägige Symposium in Hamburg, das nun zum zweiten Mal in der Bucerius Law School stattfand – und nicht nur als „Diskussionsraum“ dient, sondern als „Plattform für gezieltes Handeln“, so Dr. Anna Hofmann, Bereichsleiterin Wissenschaft & Forschung der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. Zu den größten Veränderungen, die seit dem ersten Symposium im Februar 2024 dazugekommen seien, gehöre der Einfluss von verschärften politischen Bedingungen in Deutschland, aber auch in Österreich und den USA, ergänzte Julia Wandt, Mit-Initiatorin und -Koordinatorin des Scicomm-Supports, in der Begrüßung: „Die Richtung, in die es geht, ist keine gute, sie ist eine bedrohliche – auch für die Wissenschaft.“ Resignation aber sei keine Option, im Gegenteil: „Wir können es noch angehen.“

Hoffnung für entschlossenes Handeln schafften zuerst die Fachworkshops des Symposiums zu „Kommunikation und Recht“ oder Sicherheitsfragen. Mit Blick auf beispielsweise den Umgang mit Hass in sozialen Netzwerken gelte es, den in Deutschland noch existierenden Handlungsspielraum zu nutzen, solange er noch besteht, so Josephine Ballon, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organistaion für Menschenrechte im Netz HateAid. Bei den Sicherheitsfragen lag der Fokus auf der Vernetzung und gegenseitigen Unterstützung von Organisationen – national wie auch transnational. Netzwerke sollten als Ressource dienen, Rechtsbeihilfe leisten, die Involvierung von staatlichen Akteur:innen thematisieren oder eine breitere Aufmerksamkeit herstellen, zum Beispiel für Wissenschaftler:innen in den weniger vernetzten ostdeutschen Ländern. Gegen Anfeindungen resilient zu bleiben, fiele aber unter zum Teil prekären Arbeitsbedingungen wie stark befristeten Arbeitsverträgen in der Wissenschaft nicht immer leicht, betonte Prof. Dr. Julian Hamann, Soziologe und Juniorprofessor für Hochschulforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, und mahnte die teils ausbaufähige Solidarität von und innerhalb von Institutionen an. Der gegenseitige Schutz und sich als Institution „vor bedrohte Menschen zu stellen“ stünde über allem, fasste auch Matthias Fejes, Pressesprecher der Technischen Universität Dresden, die beiden Fachworkshops zusammen.

Kritik vs. Diffamierung – und Wissenschaft vs. Politik?

Abgerundet wurde der intensive Austausch mit zwei kraftvollen Diskussionsformaten: Zuerst diskutierten Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Prof. Dr. Teresa Koloma Beck, Julian Hamann und Prof. Dr. Michael Grünberger mit Anna Hofmann über die Rolle von Hochschulen als Ort für öffentliche Diskurse und gesellschaftliche Debatten. Zum Abschluss des Symposiums sprachen dann Susanne Bowen, Staatsekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Mecklenburg-Vorpommern, Prof. Dr. Alena Buyx, Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und Prof. Dr. Eva Inés Obergfell mit unserem Vorstandsvorsitzenden Manuel Hartung über eigene Erfahrungen mit Wissenschaftsskepsis und gaben Ausblicke, wie sich Wissen und Wahrheit in Zeiten von Krieg und Krise bewähren kann.

Im Fokus beider Diskussionen lagen die komplexe Verzweigung von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft sowie erneut der Umgang und die Grenzen von berechtigter Fachkritik gegenüber Diffamierung. Die erste Diskussionsrunde bezog sich dazu auf die umfangreiche Studie zur akademischen Redefreiheit an deutschen Hochschulen, die wir als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS im vergangenen Jahr zum selben Thema gefördert und veröffentlicht haben. Paula-Irene Villa-Braslavsky, eine der beteiligten Wissenschaftler:innen der Studie, wies in diesem Kontext auf eine derzeit „problematische“ Reduktion von Wissenschaft hin, die zu wenig Platz für Interpretation neben Wissen und Fakten lasse: „Zu Wissenschaft gehört auch die Vorläufigkeit, die Reflexivität, das Argument, das gemeinsame und offene Nachdenken, das Streiten, das sich-nicht-einig-Sein. Das ist kein Pillepalle im Feuilleton – auch das ist Wissenschaft.“ Eva Inés Obergfell, Rektorin der Universität Leipzig, bekräftigte: „Wo, wenn nicht in der Universität, ist der Raum, um gesellschaftliche Konflikte zu behandeln?“ Wissenschaftskommunikation sei in diesem Kontext nicht mehr wegzudenken, darin waren sich die Diskutant:innen beider Runden einig, wenn auch die Wege der Kommunikation sich verändern, denn Forschende und Expert:innen der Wissenschaftskommunikation müssen neue Wege finden, um in einer zunehmend misstrauischen Gesellschaft zu interagieren. Sollten sie dann aber, so eine der offenen Fragen von Alena Buyx, vielleicht viel mehr in Formate investieren, in denen sie in den direkten Kontakt zu Menschen außerhalb der Wissenschaften gehen, statt sich an den Algorithmen zunehmend streitbarer Plattformen zu orientieren?

„Wissenschaftsfreiheit ist eine fundamentale Säule der Demokratie“

Diskutiert wurde in diesem Kontext ebenfalls darüber, ob es hilfreich sei, die Rollen von Politiker:innen und Wissenschaftler:innen klarer zu definieren, um sie voneinander abzugrenzen – oder ob dieser Schritt schon längst überholt sei. Nicht nur autokratische Regime setzen gezielt auf die Delegitimierung der Wissenschaft – auch in demokratischen Gesellschaften gibt es Versuche, Forschung zu steuern oder kritische Stimmen zu beeinflussen. Susanne Bowen betonte jedoch, dass sich Wissenschaftler:innen davon nicht einschüchtern lassen dürften. „Die Wissenschaftsfreiheit ist eine fundamentale Säule der Demokratie“, so die Staatsekretärin, und müsse gerade in politisch angespannten Zeiten entschlossen verteidigt werden. Wissenschaftliche Einrichtungen müssen darauf vorbereitet sein, um potenziellen Eingriffen entgegenzuwirken – sei es durch internationale Netzwerke oder rechtliche Schutzmechanismen. Und genau das steht eben im Herzen von „Expertise unter Druck“: Die Entwicklung gemeinsamer Strategien durch Wissenschaft, Medien, Zivilgesellschaft und Politik, um die Rahmenbedingungen für Wissenschaftsfreiheit und damit für eine offene und resiliente Demokratie zu sichern. Die Herausforderung ist groß – aber es gibt keine Alternative.

Mehr zur Initiative finden Sie hier. Die gesamten Paneldiskussionen können Sie nachträglich hier (Akademische Redefreiheit) und hier (Abschlussdiskussion) auf unserem YouTube-Kanal streamen.

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