Geförderte Buchprojekte

Diese Publikationen stellen von der ZEIT-Stiftung geförderte Projekte vor oder berühren thematisch die Arbeitsschwerpunkte der Stiftung und wurden durch einen Druckkostenzuschuss gefördert.

„WIR. Heimat – Land – Jugendkultur"

Heimat hat wieder Konjunktur: Raus aufs Land wollen viele Stadtbewohner, weil sie sich nach Entschleunigung und Ruhe sehnen, nicht nur in ihrer Freizeit. Das Dorf scheint als neue Heimat ein attraktiver Rückzugsort, denn „hier ist die Welt noch in Ordnung“. Doch wie steht es um die Zukunftsaussichten, Freizeitbedingungen und Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen im ländlichen Raum in Deutschland? Ist die Welt für sie dort auch noch in Ordnung? Die Stiftung Respekt! („Respekt! Die Stiftung zur Förderung von jugendkultureller Vielfalt und Toleranz, Forschung und Bildung“) hat im Projekt „WIR. Heimat – Land – Jugendkultur“ die Lebenssituation dieser Jugendlichen untersucht, die ZEIT-Stiftung hat sowohl das Projekt als auch die Abschlusspublikation gefördert.

Im Rahmen des Gesamtvorhabens wurden von Februar 2019 bis März 2020 Workshops, Veranstaltungen und Tagungen organisiert. „Dabei wurden die Jugendlichen nicht nur befragt. Sie konnten auch in verschiedenen partizipativen Kreativworkshops eigene Ideen, Wünsche und Positionen entwickeln und dabei erkennen, dass die Erwachsenenwelt sich für sie interessiert“ (s. Vorwort, S. 9.).  Zudem wurde eine Online-Befragung in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt durchgeführt. Über 800 junge Menschen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren wurden einbezogen sowie Multiplikator:innen aus der Jugendarbeit und Jugendpolitik telefonisch interviewt. Der regionale Schwerpunkt des Projekts lag in der Altmark, einer Region, die dünn besiedelt ist und als strukturschwach gilt.

Die Abschlusspublikation, von Klaus Farin und Günter Mey im Hirnkostverlag herausgegeben, gibt Einblicke in das umfassende WIR-Projektvorhaben. Neben dem Bericht über die Online-Befragung finden sich Darstellungen anderer Untersuchungen über Jugendliche im ländlichen Raum und anschließend essayistische Beiträge zu Jugendkultur. Der zweite Teil des Bandes widmet sich dem Thema Heimat in Essays und journalistischen Reportagen.

Ein wichtiges Ergebnis ist: Die meisten Jugendlichen schätzen ihre Heimat und „[…] noch mehr würden wohl gerne zurückkehren, wenn es umgekehrt genau so wäre. Wenn das Dorf – oder ihre Herkunftsregion – sie mehr wertschätzen würde. Viele wären bereit, sich für ihr Dorf und ihre Region zu engagieren, wenn es denn Angebote gäbe, die ihnen attraktiv erscheinen“ (Klaus Farin, S. 314). Den Jugendlichen sollte deshalb ermöglicht werden, etwas selber vorzuschlagen und umzusetzen, um ihnen diese Möglichkeit der Teilhabe zu eröffnen. So zum Beispiel, indem man Jugendlichen Orte oder Plätze zur Verfügung stellt, die sie nach ihren Vorstellungen gestalten können. Denn selbstorganisierte Freizeit hat einen hohen Stellenwert. Auch Mobilität ist für sie genau so wichtig wie eine funktionierende, schnelle Internetverbindung, die eine Anbindung an die Jugendkultur ermöglichen: Wie komme ich überhaupt zu den Angeboten und zurück, ohne auf die Eltern angewiesen zu sein? All das schafft, den Herausgebern zufolge, Identifikation mit der Heimat, denn „Damit das Dorf bleibt, muss es sich wandeln“ (Klaus Farin, S. 314).

Klaus Farin ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Respekt!, Autor und Leiter des Hirnkost Verlags, Initiator der Stiftung und des Archiv der Jugendkulturen e. V., dessen Vorsitzender er 13 Jahre lang warProf. Dr. habil. Günter Mey ist seit 2009 Professor für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Co-Leiter des Instituts für Qualitative Forschung an der Internationalen Akademie Berlin

Mit Beiträgen von: Sarah Beierle, Susanne Borkowski, Klaus Farin, Edda Gehrmann, Barbara Hallmann, Mieste Hotopp-Riecke, Patrick Küpper, Detlev Lindau-Bank, Tobias Mettenberger, Günter Mey, Kristina Milz, Benjamin Ollendorf, Sybille Sperling und Margit Stein. 

Klaus Farin, Günter Mey (Hrsg.), „WIR. Heimat – Land – Jugendkultur“, Hirnkost Verlag Berlin, 2020, 326 Seiten, ISBN: 978-3-948675-53-0, € 32,- auch als E-Book erhältlich: 978-3-948675-54-7 epub / 978-3-948675-55-4 pdf: € 19,99

Stifter und Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg

Stiftungen als komplexes Phänomen

Hamburg ist die Stadt mit den meisten Stiftungen in Deutschland: Der Bundesverband Deutscher Stiftungen gibt eine Gesamtzahl von 1.445 an (Stand: Juni 2020). Im Vergleich zu den anderen Bundesländern belegt die Hansestadt mit einer Stiftungsdichte von 78 Stiftungen pro 100.000 Einwohner:innen damit den ersten Platz. Diese Zahlen bieten Anlass genug, sich intensiver mit der Stiftungsgeschichte in Hamburg zu befassen: Die Goethe-Universität Frankfurt am Main hat sich mit einem Forschungsprojekt der Aufarbeitung dieser Hamburger Stiftungsgeschichte gewidmet. Die vorliegende Publikation ist eine überarbeitete Fassung einer dort am Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften angenommenen Dissertation. 

Die Autorin verfolgt einen kulturhistorischen Ansatz mit dem Ziel, sich mit einem gewissen Einfühlungsvermögen für die „Eigenartigkeit, Unterschiedlichkeit und Fremdheit“ den Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg anzunähern (vgl. Seite 19). Außerdem setzt sie auch bei den Stiftenden an, um zu analysieren, in welche Bedeutungszusammenhänge sie ihre Stiftungen stellten: „Die vorliegende Arbeit untersucht also die Bedeutungstektonik der Handlungsform Stiftung im spezifischen historischen Kontext des frühneuzeitlichen Hamburg unter Rückbindung an Aspekte, die zum universalhistorischen Charakter dieses Phänomens beitragen“ (S. 21). Der Beginn des Untersuchungszeitraums liegt zwischen den 1560er Jahren und dem Ende des 18. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum verzeichnet die Autorin 160 Stiftungsgründungen. In vier Hauptkapiteln untersucht sie exemplarisch 75 dieser Stiftungen, zu denen Quellen verfügbar sind. Sie gibt sowohl Antworten auf die Fragen, wer stiftete und warum sie dies taten als auch Einblicke in das Spannungsverhältnis zwischen Stifter:innenwillen und Stiftungsvollzug.  Außerdem erforscht sie die Modalitäten der Ausgestaltung der Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg. Es „[…] ist festzuhalten, dass die meisten der hier untersuchten Stiftenden politische oder geistliche Amtsinhaber, Kaufmänner, Gelehrte sowie Witwen und Ehefrauen von Kaufleuten oder Akademikern waren, die untereinander sowie zu vielen weiteren Amtsträgern und Akademikern verwandtschaftliche Beziehungen aufwiesen“ (S. 558). Stiftungen werden damit zu einem Medium, das zur Begriffsbestimmung und Darstellung der sozialen Stellung ihrer Gründer beigetragen hat. Frau Johannsen betont mit ihrer Untersuchung auch die Rolle von Frauen in der Stiftungsgeschichte. Ihr historischer Beitrag zur Stiftungspraxis in Hamburg und zur Frage nach der Rolle von Stiftungen in modernen bürgerlichen (Stadt-) Gesellschaften wird sicherlich auch auf reges Interesse bei Stiftungsvertretern stoßen.

Imke Johannsen lebt in Hamburg. Ihre Promotion wurde im Rahmen des oben genannten Forschungsprojektes zur Hamburger Stiftungsgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main von der ZEIT-Stiftung gefördert. Die vorliegende Publikation reiht sich damit ein in die bereits veröffentlichten Dissertationen von Michael Werner, „Stiftungsstadt und Bürgertum, Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus,“ München 2011, und Christine Bach, „Bürgersinn und Unternehmergeist. Stifter und Stiftungen in Hamburg nach 1945“, Baden-Baden 2014.

Imke Johannsen, Stifter und Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg, V&R Unipress, 2020, gebunden, 676 Seiten = ISBN: 978-3-8471-0935-8, € 80,- und E-Book (PDF), 622 Seiten = ISBN: 978-3-8470-0935-1, € 69,99

„Holocaust-Angst. Die Bundesrepublik, die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den siebziger Jahren“

Wenn Angst die politische Bühne betritt
Jacob S. Eder analysiert in seiner Publikation den deutschen Umgang mit der Nachgeschichte des Holocaust im transatlantischem Beziehungsgeflecht. Er richtet den Fokus auf den Bereich der deutsch-amerikanischen Interaktionen von Diplomaten, Politikern und Regierungsvertretern sowie ihren Partnern in privaten Organisationen und Stiftungen, Lobbyisten und Wissenschaftlern. Dabei vertritt er die These, dass sich unter ihnen einige westdeutsche Akteure aus dem konservativen Spektrum – die zum Teil selbst Nationalsozialisten waren oder im Zweiten Weltkrieg kämpften – als „Opfer“ des Holocaust-Gedenkens in den USA empfanden. Sie entwickelten eine Abwehrhaltung, die der Autor als „Holocaust-Angst“ beschreibt. Ihren Ursprung sieht er in den späten siebziger Jahren und im Zentrum stehend Helmut Kohl (Bundeskanzler von 1982 bis 1998). Er sah das Renommee der Bundesrepublik in den USA durch die öffentliche Beschäftigung mit dem Holocaust gefährdet und fürchtete, dass die Amerikaner das gemeinsame Bündnis in Frage stellen könnten.

Jacob S. Eder konnte erstmalig Akten der Regierung Kohl als Quellen nutzen, die erst kurz zuvor freigegeben wurden. Wie hat dieses Netzwerk um Helmut Kohl das Holocaust-Gedenken in den USA wahrgenommen? Wie hat es auf die „Americanization of the Holocaust“, den Umgang der amerikanischen Politik, Kultur und Gesellschaft mit dem Holocaust reagiert? Das öffentliche Image Deutschlands im Ausland sollte neu geformt werden und der Autor zeigt die Bemühungen auf, den Ruf der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zu rehabilitieren. „Ein zentraler Aspekt der Holocaust-Angst war der Anspruch, mitbestimmen zu wollen, wie die Geschichte des Holocaust im Ausland erzählt und dargestellt wurde.“ Ein Beispiel hierfür ist, dass die Kohl-Regierung Bedenken wegen des damals geplanten United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington äußerte. Kohl und seine Berater waren der Auffassung, dass das USHMM als „antideutsches Museum“ geplant sei, da es die deutsche Geschichte auf den Holocaust reduziere.

2013 lobte ein deutscher Festredner jedoch die gelungene Dauerausstellung zur Geschichte des Holocaust anlässlich der Jubiläumsfeier zum 20. Jahrestag der Eröffnung des USHMM. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust hatte sich rund 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges im gesamten Westen zu einem internationalen Diskurs hin verändert. „Hochrangige Vertreter Deutschlands, Polens und Frankreichs stimmten mit prominenten Amerikanern darin überein, wie zentral das Holocaust-Gedenken für ihre jeweiligen Staaten und Gesellschaften insgesamt geworden ist.“ Dies symbolisiert nicht nur den grundlegenden Wandel im Umgang mit der NS-Vergangenheit auf deutscher Seite nach der Ära Kohl, sondern auch, dass das Gedenken an den Massenmord europäischer Juden die westliche Erinnerungskultur bis heute bestimmt. Sie spielt eine zentrale Rolle in der politischen Kultur, den Medien und den Bildungssystemen (vgl. S. 310).

Jacob S. Eder ist Historiker und lehrt an der Barenboim-Said Akademie in Berlin. Für die englische Ausgabe des vorliegenden Buches erhielt er unter anderem den Fraenkel Prize der Wiener Library. Er ist Mitherausgeber von „Holocaust Memory in a Globalizing World“ (Göttingen 2017).

Jacob S. Eder, Holocaust-Angst. Die Bundesrepublik, die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den siebziger Jahren, in: Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (hg. von Norbert Frei), Bd. 27, 365 Seiten, 42,00 €, ISBN 978-3-8353-3377-2

Hin- und Wegsehen! Formen und Kräfte von Gewaltbildern

In der Publikation sind die Ergebnisse einer von der ZEIT-Stiftung geförderten Tagung, die vom 1. bis 2. Juni 2018 unter dem Titel „Hin- und Wegsehen! Erscheinungsformen der Gewalt im Wechselverhältnis zwischen Bild und Betrachter“ im Warburg-Haus in Hamburg stattgefunden hat, zusammengefasst. Organisiert wurde die Tagung von den Kunsthistorikern Franca Buss M.A. und Philipp Müller M.A. der Universität Hamburg. Sie sind die Herausgeber des Bandes.

Der Tagungsband zeigt unterschiedliche Perspektiven für den theoretischen, berufspraktischen und auch alltäglichen Umgang mit Gewaltbildern auf. Unter der Fragestellung „Besser hin- oder doch lieber wegsehen?“ haben Kunst- und Kulturwissenschaftler, Historiker und Politikwissenschaftler, die die Vielfalt der Erscheinungsformen bildlicher Gewalt sowie deren Motive und ihre Wirkkraft auf den jeweiligen Betrachter untersucht haben, zur Publikation beigetragen. Das komplizierte Verhältnis von medialisierter Gewalt und wie diese wahrgenommen oder genutzt wird, scheint von Anziehung und Abstoßung geprägt zu sein, wobei letztere wiederum auch anziehen kann, heben die Herausgeber in ihrem Vorwort hervor. Franca Buss und Phillipp Müller fragen nach dem Umgang mit diesen ambivalenten Kräften: „Bei der Betrachtung von Gewaltbildern spaltet sich unsere Wahrnehmung in eine erhoffte und eine befürchtete Wirklichkeitsannahme, sodass wir ohne Umstand auf moralischen Konfrontationskurs mit uns selbst geraten müssten.“ Über unsere eigenen Nutzungsbedürfnisse nachzudenken gehöre zu unseren zentralen Aufgaben, damit wir uns unserer Mitverantwortung und Handlungskraft bei Medialisierungsprozessen von Gewalt bewusstwerden, so die Herausgeber weiter.  Auch nicht direkt gezeigte Gewalt spielt eine wichtige Rolle. Im Zeitalter der sozialen Medien, (re)produzieren, übernehmen und verteilen viele potenziell Gewaltbilder.

Die Herausgeber sehen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in der komplexen Form von Bild- und zugleich Selbstkritik: „Diese […] darf als schwer breitenwirksam zu praktizierende gesellschaftliche Bildungsherausforderung, vielleicht sogar als bildungspolitische „Utopie“ verstanden werden, denn sie tritt gestaltwandlerisch als ständiges, nie endendes, immer einzelfallabhängiges Austarieren wiederstreitender reflexiver und affektiver Kräfte zwischen uns und den Gewaltbildern in Erscheinung“ Doch gerade ihr utopischer Gehalt mache die Bearbeitung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe so unbedingt erstrebenswert.

Mit Beiträgen von: Bastian Berbner, Julian Blunk, Svea Bräunert, Ann Katrin Düben, Sebastian Schönemann, Jean-Luc Godard, Anna-Marie Miéville, Thomas Helbig, Volker Hille, Sylvia Kafehsy, Ines Kleesattel, Simon Menner, Anke Napp, Barbara Oettl, Andreas Plackinger, Sebastian Schönemann, Matthias Schulz, Anna Stemmler, Franca  Buss und Philipp Müller (Hrsg.),„Hin- und Wegsehen, Formen und Kräfte von Gewaltbildern“, in: Imaginarien der Kraft, Band 1, De Gruyter, 2020, 347 Seiten; 76 Abbildungen, farbig: Broschur ISBN: 978-3-11-064083-0, PDF ISBN: 978-3-11-064379-4 beide Formate: € 49,95

Wie das Bauhaus nach Tel Aviv kam. Re-Konstruktion einer Idee in Text, Bild und Architektur

Die Publikation versteht sich als Beitrag zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rezeption des Bauhaus: 2019 hat Deutschland gemeinsam mit Partnern in aller Welt den 100. Jahrestag der Gründung des Bauhauses begangen. 1919 in Weimar gegründet, 1925 nach Dessau umgezogen und 1933 in Berlin geschlossen, bestand die Hochschule jedoch nur ganze 14 Jahre lang.

Die Autorin untersucht die konstruierte Erzählung eines in Deutschland entwickelten „Bauhaus-Stils“, der mit jungen europäischen Architekten vor allem nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933 nach Palästina gekommen sei: „Architektonisch macht diese Darstellung keinen Sinn, gleichwohl findet sie sich in dieser oder abgewandelter Form in unzähligen Publikationen, Artikeln, Dokumentationen und in den Vorstellungen von Tourist/innen und Bewohner/innen, aber auch bei Menschen wieder, die nie in der Stadt selbst gewesen waren“ (S.6/7). Sie spricht von einer fast „inflationären“ Verwendung des Begriffs Bauhaus und der Etablierung eines unreflektierten Narrativs (vgl. S. 7).

Dr. Klei entschlüsselt die Bedeutung, die der Begriff Bauhaus innerhalb eines deutschen Diskurses zu Tel Aviv einnimmt, denn die Architektur dieser Stadt hat in den letzten Jahren in Deutschland viel Aufmerksamkeit bekommen. Das Bild der Stadt und ihre Bedeutung wurde letztendlich auch mit der Anerkennung der White City als UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 2003 institutionalisiert. Wie erfolgte diese Konstruktion eines Bildes? Welche Merkmale und Kennzeichen der Architektur werden mit welchen Folgen zugeschrieben? Und in welchem Verhältnis steht das konstruierte Bild zur städtischen Wirklichkeit? Um diese Fragen zu beantworten, greift sie auf Fotografien und Texte sowie auf die Architektur vor Ort als Medium der Vermittlung historischer Bezüge zurück.

Für den israelischen Diskurs hat Sharon Rotbard darauf verwiesen, dass die Zuschreibung Bauhaus auf die Notwendigkeit eines weißen, europäisch zentrierten Referenzpunktes für die israelische Identität verweise (vgl. Sharon Rotbard, White City, Black City. Architecture and War in Tel Aviv and Yaffa, London 2015, S.27). In Zusammenhang mit dem deutschen Diskurs argumentiert die Autorin, dass eine Geschichte erzählt werden soll, die sich auf eine Verbindung mit Deutschland konzentriert: „Aus der Sicht Tel Avivs ergibt sich so ein fokussierter Referenzpunkt für eine israelische Identität. Für die Sicht aus Deutschland entsteht eine Tradition, die die hiesige Geschichte moderner Architektur zu einem guten Ende führt und die der Vertreibung der deutschen Juden/Jüdinnen einen positiven Sinn verleiht.“ (S. 139)

Die Autorin verweist am Ende ihrer Untersuchung auch noch auf den maßgeblichen Anteil, den deutsche Autoren, Journalisten und andere Akteure daran haben, Tatsachen aktiv zu verschleiern - sie folgen damit nicht nur unreflektiert einem Narrativ, wenn sie das Bauhaus mit Tel Aviv verknüpfen: Tatsachen wie diese, dass z.B. der Bauhaus-Student Fritz Ertl als stellvertretender Leiter der SS-Zentralbauleitung im KZ Auschwitz arbeitete. „Blieben sie [die Bauhaus-Studenten] also als Architekten in Deutschland, profitierten sie davon, dass ihre jüdischen Kollegen bereits seit 1933 nicht mehr bauen durften, denunziert, gedemütigt, ausgegrenzt, in die Emigration gezwungen oder deportiert und ermordet wurden. Nennenswerte Proteste oder solidarische Handlungen sind nicht bekannt.“ (S. 139)

Dr. Alexandra Klei studierte Architektur und promovierte am Lehrstuhl Theorie der Architektur an der BTU Cottbus über das Verhältnis von Architektur und Gedächtnis am Beispiel der KZ Gedenkstätten Buchenwald und Neuengamme. Ihre Forschungsschwerpunkte sind jüdisches Bauen nach 1945, die Re-Konstruktion der White City Tel Aviv, Erinnerungsorte, die Architekturen der Nachkriegsmoderne sowie (Post-)Holocaust Landscapes. Sie lebt abwechselnd in Deutschland und Israel.

Alexandra Klei, „Wie das Bauhaus nach Tel Aviv kam. Re-Konstruktion einer Idee in Text, Bild und Architektur“, Neofelis Verlag, 2019, 160 Seiten, ISBN: 978-3-95808-244-1, 22,00 €

 

Besuche in der alten Heimat

Ein wichtiger Beitrag zum deutsch-jüdischen Nachkriegsverhältnis: Publikation über Einladungsprogramme für ehemals Verfolgte des Nationalsozialismus
Mit ihrer Dissertation „Besuche in der alten Heimat. Einladungsprogramme für ehemals Verfolgte des Nationalsozialismus in München, Frankfurt am Main und Berlin“ gibt Lina Nikou einen historischen Überblick über die Geschichte der Einladungsprogramme in der Bundesrepublik. Sie untersucht diese Programme ab den 1960er Jahren bis in die Gegenwart und vergleicht sie exemplarisch. Der Fokus liegt dabei auf den Interaktionen zwischen den Vertreter*innen der Städte und ihren einst verfolgten Bürger*innen im Ausland: Adressaten der Einladungen waren überwiegend jüdisch Verfolgte, die in die USA oder nach Israel emigrierten. Einzelne von ihnen haben sogar einen entscheidenden Impuls zur Initiierung der Programme ausgelöst. Die Programme sind auch erfolgreich, weil für viele einst Verfolgte persönliche Erinnerungsreisen wichtig sind, auch wenn sie mit ambivalenten und schwierigen Gefühlen verbunden sind.

Die Autorin untersucht lokale Erinnerungskulturen als Beziehungsgeschichten und damit wird der Einfluss aller Akteur*innen auf erinnerungskulturelle Prozesse in Deutschland sowohl auf lokaler als auch nationaler Ebene erkennbar (vgl. S. 436). Sie analysiert am Beispiel dreier Großstädte, was diese bewog, Einladungen auszusprechen und aus welchen Gründen die Emigrierten die Einladungen annahmen. Welche Aspekte der Vergangenheit und der Gegenwart wurden thematisiert und welche ausgespart? Welche Gefühle kamen zur Sprache und welche Wirkung hatten sie? Wie standen moralische Überlegungen, Vergebung und Verantwortung aber auch Wiedergutmachungsbestrebungen damit in Beziehung?

Die Zahl der Einladungsberechtigten wird ungefähr auf 500.000 deutschsprachige Personen geschätzt und dabei sind diejenigen noch nicht mitgezählt, die innerhalb des Deutschen Reiches überlebten. So unterschiedlich die Motive auf beiden Seiten waren, gemeinsam ist allen Reisen von Emigrierten nach Deutschland, dass sie auch touristische Aspekte aufweisen: Die Städte verstanden sie als Werbung für den Tourismus. Die Studie leistet auch einen nicht unerheblichen Beitrag zur Tourismusforschung.

Quellen bilden insbesondere Verwaltungsakten aus den Stadtarchiven sowie aus der Registratur der Berliner Senatskanzlei und Interviews der Autorin mit den Organisatoren der Programme  und Eingeladenen. Die Publikation stützt sich vor allem auf Korrespondenzen und damit auf den überwiegenden Teil des Kontaktes zwischen den Städten und den Emigrierten. Die Reisen in die „alte Heimat“ waren in der Regel einmalig und dauerten lediglich ein bis zwei Wochen. Die Teilnehmer und Beobachter dieser Begegnungen hielten die Zusammentreffen in Briefen, Gedichten, Erinnerungstexten, Zeitungsartikeln und Fotografien fest.

„Rückblickend müssen die Einladungsprogramme (...) als gemeinsames Projekt von Personen in Deutschland und einst Verfolgten im Ausland bewertet werden. Dazu gehört, die Emigrantengemeinschaft beziehungsweise Individuen aus dieser Gemeinschaft als Akteur*innen ernst zu nehmen“, so schlussfolgert Lina Nikou auf Seite 436 ihrer Publikation.

Die Autorin zieht ebenfalls den Vergleich zu einer Studie über das Hamburger Besuchsprogramm, die sie mit ihrer Magisterarbeit veröffentlicht hat: In der Hansestadt beobachtet sie ähnliche Entwicklungen wie in Frankfurt am Main. Hamburg begann jedoch erst 1981 – ein Jahr später als Frankfurt – mit den Gruppeneinladungen und übernimmt damit keine Vorreiterrolle, sondern folgte dem Beispiel anderer Städte.

Lina Nikou forscht und lehrt seit Oktober 2017 an der Martin Buber Society of Fellows an der Hebräischen Universität in Jerusalem, u.a. zu Erinnerungskulturen, jüdischer Geschichte, Oral History und Heritage Tourism. Ihre Dissertation verfasste sie als Gerd Bucerius-Stipendiatin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte der Universität Hamburg.

Lina Nikou, Besuche in der alten Heimat. Einladungsprogramme für ehemals Verfolgte des Nationalsozialismus in München, Frankfurt am Main und Berlin, in: Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne, Bd. 21, Neofelis Verlag (Berlin), 479 Seiten mit 2 Farb- u. 10 S/W-Abbildungen, ISBN 978-3-95808-248-9, 34,00 €

Bicycle-Club von 1869/80. Ein Verein schreibt Fahrradgeschichte

Hamburg hat sich zum Ziel gesetzt, den Radverkehr in den kommenden Jahren fast zu verdoppeln. Aber schon jetzt ist der Platz auf der Straße hart umkämpft und durch die Einführung der E-Scooter Ende Juni wird die Diskussion um die Aufteilung des knappen Raums zwischen Autos, Fußgängern, Radfahrern und E-Scootern zusätzlich angeheizt.

Blickt man in der Hamburger Fahrradgeschichte rund 150 Jahre zurück, so wurde der Kampf um die Straßen auch schon damals geführt: Die gewohnte Verkehrsordnung wurde durch die neuen „Velocipeden-Reiter“ kräftig durcheinandergebracht. Vorurteile existierten gegenüber den neuen Verkehrsteilnehmern ebenso reichlich und die Polizei sorgte sich um die Sicherheit der Bürger.

Hier knüpft Lars Amenda mit seiner fundierten Studie über die Geschichte des „Altonaer Bicycle-Clubs von 1869/80“ an. Sie ist nicht nur eine Vereinschronik, sondern bildet deutsche Sozial- und Kulturgeschichte ab: Wie wirkte das Fahrrad mit seiner neuen Mobilität auf die Hamburger Stadtgesellschaft, die z.B. um 1900 nach sozialem Stand gespalten war? Wer waren die ersten Fahrradpioniere? Auf welche Widerstände stießen sie?

In seiner Festschrift erzählt er aus der Perspektive des Vereins und seiner Protagonisten fast die komplette Fahrradgeschichte in Hamburg. Hamburg und das angrenzende, damals zu Preußen und Schleswig-Holstein gehörende Altona entwickelten sich zu einer frühen Fahrradhochburg, die sogar Städten wie Kopenhagen als Vorbild diente.

Am 17. April 1869 wurde der „Eimsbütteler Velocipeden-Reitclub“ gegründet und er sollte „[  ] wie kaum ein anderer (Fahrradverein) die weitere Entwicklung  und Geschichte des Radfahrens und des Radsports begleiten und mitgestalten“, so Lars Amenda in seiner Einleitung. 1881 wurde er in „Altonaer Bicycle-Club von 1869/80“ umbenannt: Eine runde „80“ klang im Namen des Vereins harmonischer als die „81“…nur eine der vielen Anekdoten, die den Leser zum Schmunzeln bringen.  

Lars Amenda ist Historiker und Autor, er lebt in Hamburg.

Lars Amenda, Altonaer Bicycle-Club von 1869/80. Ein Verein schreibt Fahrradgeschichte, hrsg. vom Altonaer Bicycle-Club von 1869/80, Hamburg 2019 (ABC-Forschungen zur Fahrrad- und Radsportgeschichte, Bd. 1), 216 S., mit 164 Abbildungen (davon viele in Farbe), Hardcover, Format: 29,5x21,5 cm, 24,80 EUR, ISBN 978-3-00-062242-7.

„Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert“

Armut und Reichtum liegen eng beieinander, auch in Hamburg: Mehr als 1.300 Stiftungen hat die Hansestadt und sie weist die größte Millionärsdichte in Deutschland auf – aber auch eines von fünf Kindern lebt dort von Hartz IV. Die Publikation „Reichtum in Deutschland“ erhellt „Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert“.  

Die Bundesregierung veröffentlicht regelmäßig den Armuts- und Reichtumsbericht (ARB): im aktuell vorliegenden 5. ARB wird Reichtum deutlich mehr berücksichtigt als in den vorherigen Berichten. Es sei ein Hinweis darauf, „[…] dass in der Bundesregierung erkannt wurde, welche zentrale gesellschaftspolitische Bedeutung von großem Reichtum ausgeht“, schreibt Dorothee Spannagel in ihrem Beitrag (S. 354).

Es scheint, als ginge auch diesbezüglich wissenschaftlich ein Wandel vonstatten. Während sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den oberen Zehntausend in der sozialwissenschaftlichen Forschung etabliert hat, nimmt die Reichtumsforschung in der Geschichtswissenschaft bislang wenig Raum ein. Der vorliegende Band versucht diese Lücke zu schließen und versammelt die Ergebnisse einer gleichnamigen Tagung, die 2016 an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg stattgefunden hat. 16 Beiträge aus den Sozial- und Kulturwissenschaften sowie aus unterschiedlichen Bereichen und Epochen der Geschichtswissenschaft (der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte vom Kaiserreich bis in die jüngste Zeitgeschichte) widmen sich dem Sozialphänomen Reichtum. Gibt es überhaupt die eine soziale Gruppe der „Reichen“? Wer wird als reich wahrgenommen? Denn auf den ersten Blick haben Reiche wenig gemeinsam: Sie haben geerbt, ihr Geld gut angelegt und vermehrt oder auch im Lotto gewonnen. Und sie sind unterschiedlich reich, viele von ihnen werden jedoch immer reicher: Welche Kennzeichen, Grenzen und Beschreibungen machen Gesellschaften für Reiche aus? Wer wurde wann und von wem zum Kreis der Reichen gezählt?

Mit Beiträgen von Ralf Banken, Tabea Bodenstedt, Simone Derix, Jürgen Finger, Eva Maria Gajek, Jens Gieseke, Ingo Köhler, Christopher Kopper, Anne Kurr, Martin Lüthe, Sonja Niederacher, Martin Reimer, Torsten Riotte, Michael Schellenberger, Lu Seegers und Dorothee Spannagel

Eva Maria Gajek, Anne Kurr und Lu Seegers (Hrsg.), „Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert“, in der Reihe Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, (hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg); Bd. 57, Wallstein Verlag, Göttingen 2019; ISBN: 978-3-8353-3409-0, € 42,-

Der umkämpfte Krieg – Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit

„Paweł ist ein toter Mann“: Diese Nachricht erhält Paweł Machcewicz zehn Tage nach der Regierungsbildung durch die Partei „Recht und Gerechtigkeit (PiS)“ 2015 von einem seiner engsten Mitarbeiter im Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Dieser wiederum hatte sie von einem Historikerkollegen, der der PiS nahestand. Machcewicz war damals Direktor eines noch unter dem ehemaligen Minis­terpräsidenten Donald Tusk geplanten Museums zum Zwei­ten Weltkrieg. Er selbst ist wohlauf – aber seine Amtszeit als Direktor und seine Vision eines europäischen Museums sind vorbei: 2017 wird er von der polnischen Regierung des Amtes enthoben und mit vielen Mitarbeitern seines Teams entlassen.

„Der umkämpfte Krieg – Das Museum des Zweiten Welt­kriegs in Danzig. Entstehung und Streit“ von Paweł Machcewicz schildert die Geschehnisse aus der Perspekti­ve des unmittelbar Betroffenen. Zwar gelang es ihm gegen enorme Widerstände, die Eröffnung des Museums im März 2017 zu realisieren. Die Regierung versuchte unterdessen mit allen Mitteln, die geplante Ausstellung als unpolnisch und unheroisch zu diskreditieren. Das Museum sollte sich an alle Europäer richten. Es ging um die Darstellung eines komple­xen, internationalen Konflikts sowie die unterschiedlichen Kriegserfahrungen verschiede­ner Nationen und Gruppen.

Der geschichtspolitische Kampf um das Museum dauert an: Machcewicz klagt vor dem Europäischen Gerichts­hof gegen die Änderungen am Museumskonzept und für die Menschenrechte. Sein Buch sei damit, so Peter Oliver Loew und Julia Röttjer in ihrer Einführung, „nicht nur ein Beitrag zur Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg, sondern auch eine Fallstudie zu den Mechanismen einer institutionellen und diskursiven Übernahme durch die Gegner einer liberalen, offenen und europäischen Erzählung.“ Diese Gegner finden sich heute in Polen, ja überall in Europa, auch in Deutschland. Deshalb sollte „das Schicksal des Museums des Zweiten Welt­kriegs in Danzig auch in Deutschland niemanden kalt lassen“.

Paweł Machcewicz ist Professor für Geschichte am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wis­senschaften. Sein Forschungsfokus liegt im Bereich des Zwei­ten Weltkriegs, des Kommunismus und des Kalten Krieges.

Paweł Machcewicz, „Der umkämpfte Krieg – Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit“, in der Reihe Polnische Profile, Bd. 5, Wiesbaden 2018, 254 Seiten, 14 Abb., ISBN 978-3-447-11035-8, € 22,90

Gesichter einer Metropole: “History Takes Place: Rome. Dynamics of Urban Change“

Die Publikation „History Takes Place: Rome. Dynamics of Urban Change“ dokumentiert die Ergebnisse einer Sommerakademie, die im September 2014 in Rom stattgefunden hat. Nachwuchswissenschaftler - Archäologen, Architekten, Historiker, Kunsthistoriker, Stadtplaner sowie Kultur- und Sozialwissenschaftler – erforschten die Geschichte und Gegenwart der Metropole und erkundeten die „Ewige Stadt“.

Der englischsprachige Band versammelt eine breite Palette von Fragestellungen und Fallstudien, die auf den Forschungsprojekten der Sommerakademie-Teilnehmer mit besonderem Augenmerk auf das 19. bis 21. Jahrhundert basieren. Im ersten Teil werden die unterschiedlichen Zeitschichten in der Topographie Roms wahrgenommen und analysiert. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Bewahrung des Kulturerbes und der Bedeutung der Ruinen in der Stadtlandschaft. Die letzten Kapitel laden den Leser dazu ein, über die Transformation des Raums im modernen Rom nachzudenken. Die ZEIT-Stiftung hat die Sommerakademie und die Publikation mit finanzieller Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung realisiert.

Mit Beiträgen von: Chloe Helen Bent, Anna Clareborn, Olena Dobosh, Annachiara Fiore, Beata Labuhn, Judith M. Lehner, Verena Jaeschke, Irina Oryshkevich, Jason Rhys Parry, Özge Sezer, Kerstin Stamm, Daniel Talesnik, Sophie Elaine Wolf, Anna Zawadzka.

Deutsche und zentraleuropäische Juden in Palästina und Israel. Kulturtransfers, Lebenswelten, Identitäten – Beispiele aus Haifa

Neue historiographische und kulturgeschichtliche Ansätze zur Geschichte der sogenannten „Jeckes“ versammelt der Band „Deutsche und zentraleuropäische Juden in Palästina und Israel. Kulturtransfers, Lebenswelten, Identitäten – Beispiele aus Haifa“. Die Historikerin Anja Siegemund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, hat ihn herausgegeben. Der Band zielt auf zwei zählebige Sichtweisen: Die eine lautet, Migranten aus Deutschland und Zentraleuropa hätten sich nur begrenzt in die bereits bestehende jüdische Gesellschaft Palästinas der Mandatszeit integriert, während die andere betont, sie hätten positiv zur Modernisierung des Landes beigetragen. Beide Narrative ergänzen sich, beide gehen davon aus, der Aufbau von Stadt, Land und Staat sei der Maßstab, an dem eine Migrantengruppe zu messen wäre.

Gerade Haifa, unter den drei großen Städten Palästinas am meisten ‚jeckisch‘ geprägt, spiegelt die Migration jener, die das deutsche Judentum ganz besonders repräsentierten. Wie haben die Jeckes in Haifa ihre kulturelle Tradition von Deutschland bzw. Zentraleuropa nach Palästina ´mitnehmen´ können? Wie sehen die Lebensläufe einzelner Jeckes aus, wie ihr Alltag und Habitus? Welche ‚jeckischen‘ Institutionen und Milieus gibt es in der Stadt?

Das Buch, das weitgehend unveröffentlichtes privates Bildmaterial enthält, ist gerade deshalb lesenswert, weil es die Jeckes-Stereotypen, die immer wieder reproduziert werden, aufbricht und eine plurale Sicht eröffnet.

Deutsche und zentraleuropäische Juden in Palästina und Israel. Kulturtransfers, Lebenswelten, Identitäten – Beispiele aus Haifa, hrsg. von Anja Siegemund, 514 Seiten, Neofelis Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-95808-027-0, € 39,-

 

Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39

Die 7-bändige Edition „Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39“ erhellt und bewahrt die Geschichte der Jüdischen Gemeinden in Hamburg von der nationalsozialistischen Machtergreifung bis zu den Wochen nach dem Novemberpogrom. Sie umfasst 2 Monografie- und 4 Quellen-Bände sowie einen Registerband – und dokumentiert ein über 20-jähriges regionalgeschichtliches Forschungsvorhaben.

Die umfangreiche Publikation untersucht die Jüdischen Gemeinden im Hamburger Raum. Die jüdischen Gemeinden von Hamburg, Altona und Wandsbek zählten Anfang 1933 etwa 24.000 Mitglieder. Als die Hansestadt am 3. Mai 1945 kapitulierte, hatten 647 Juden die zunehmende Drangsalierung, Ausgrenzung und Verfolgung überlebt. Wenngleich die jüdischen Bewohner nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kein „normales“ Leben mehr führen konnten, entwickelten sie in ihren Gemeinden und in zahlreichen Vereinigungen vielfältige Aktivitäten. Detailreich und differenziert beschreiben die vorliegenden Bände „Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39“, wiejüdisches Leben in Hamburg über einen langen Zeitraum möglich war und sich trotz massiver Repression erhalten konnte.

Mit dem Novemberpogrom 1938 begann jedoch der Anfang vom Ende: „Hoffnung lag alleine in der Flucht“, mit diesen Worten beschließen die Autoren den zweiten Band ihrer Monografie. Ein neues Kapitel in der Geschichte nicht allein der Hamburger Juden wird aufgeschlagen: die Emigration.

Die Hamburger Juden wurden verfolgt, vertrieben oder umgebracht. NS-Funktionäre versuchten am Ende des Krieges, belastende Akten zu vernichten und auch historische jüdische Spuren systematisch zu beseitigen. Außerdem wurde relevantes Archivmaterial durch Bombenangriffe zerstört. Doch Ina Lorenz und Jörg Berkemann, die Historikerin und der Jurist, verdeutlichen in ihrer stupenden Studie: Alle Spuren konnte das totalitäre Regime nicht verwischen. Die Autoren haben in enormer Detailarbeit den Alltag der Hamburger Juden angesichts von Bedrohung und Verfolgung nachgezeichnet – und für die Nachgeborenen bewahrt.

Ina Lorenz/Jörg Berkemann, „Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39“ in: Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden (für die Stiftung Institut für die Geschichte der deutschen Juden, hg. von Andreas Brämer und Miriam Rürup); Bd. 45, Wallstein Verlag, Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1811-3, 7 Bde., zus. 4772 S., 108 Abb., € 169,90

 

„Medizin ohne Politik gibt es nicht“ – Biographie des Mediziners, Publizisten und Politikers Julius Moses

„Medizin ohne Politik gibt es nicht“ – der Mediziner, Publizist und Politiker Julius Moses (1868-1942) hat dieses Diktum auch gelebt, wie die von Holger Böning nun vorgelegte Biographie verdeutlicht. Auf 400 Seiten entfaltet der Zeitungsforscher vom Institut für Deutsche Presseforschung der Universität Bremen das weit gespannte Wirken von Moses. Die persönliche Bekanntschaft, ja Freundschaft des Autors mit Kurt Nemitz, dem Sohn von Julius Moses, legte den Grundstein für diese Lebensbeschreibung.

Böning interessiert zunächst das intensive publizistische Wirken („Die jüdische Epoche“), von der Gründung des General-Anzeigers für die gesamten Interessen des Judentums (1902-1911), über die satirische Zeitung Schlemiel (1904-1906) bis zur Anthologie Hebräische Melodien (1907) des niedergelassenen Arztes.

Moses Verbundenheit mit der Sozialdemokratie und seine Rolle in der Gebärstreik-Debatte werden beleuchtet, ebenso die politische Radikalisierung infolge des Ersten Weltkriegs, als Moses der USPD beitritt. Von 1920 bis 1932 gehört Moses dem Reichstag und dem Parteivorstand der SPD an. Der geachtete Parlamentarier „versteht es, aus der praktischen Anschauung politische Forderungen zu entwickeln“, wie sein Biograph schreibt. Ob Bergarbeiter oder streikende Ärzte, „Moses findet unverbrauchte Worte, fern von jedem Politikkauderwelsch“. Beeindruckend ist seine Tätigkeit als Vorsitzender des Reichsbegnadigungsausschusses und sein Eintreten für die Reform des Strafvollzugs sowie für die ärztliche Versorgung von Strafgefangenen. Bemerkenswert ist nicht nur seine Sammlung parlamentarischer Redeblüten, auch das eigene politische Wirken gießt er in Knittelverse: „Der ‚gelehrte‘ Reichstag. Ein neues Lied für artige Reichstagskinder“ mündet in die Zeilen: „Der Eine schlief, der Letzte lief,/Wohin in Leibesnot,/Und als man Doktor Moses rief,/Da war der Reichstag – tot.“

Antisemitische Hetze kennt Moses nur zu gut, früh warnt er vor dem Nationalsozialismus und prangert die Experimentierfreude von Standeskollegen im Geiste eines weit verbreiteten Herrenmenschentums an. „Aus Kindern werden Briefe“, schreibt er, als ein Sohn emigrieren muss. Die radikaler werdende Ausgrenzung erfasst die berufliche und schließlich die materielle Existenz, die Trennung von Moses‘ nichtjüdischer Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn wird unausweichlich. „Jahre des Terrors und zunehmender Einsamkeit“ folgen – von Moses hellsichtig analysiert. Im September 1942 findet der „Volksarzt und Prophet des Schreckens“ in Theresienstadt den Tod. 

Julius Moses in seinem starken sozialmedizinischen, seinem publizistischen wie in seinem politischen Engagement zeigt das vorliegende anschaulich geschriebene Buch anhand zahlreicher Quellen. Es ermöglicht die zeithistorische Einordnung eines bemerkenswerten jüdischen Lebens in Deutschland. Julius Moses hat oft gesagt: „Nur ein guter Mensch kann ein guter Arzt sein.“ Holger Bönings informationsstarkes Buch zeigt, wie sehr diese Charakterisierung auf Moses selbst zutraf.

Holger Böning, „Volksarzt und Prophet des Schreckens. Julius Moses. Ein jüdisches Leben in Deutschland“, edition lumière, Bremen, 2016, 410 S., 40 Farbtafeln, zahlreiche SW-Abb., ISBN 978-3-943245-40-0, € 29,80

„Große Romane der Weltliteratur“ – die Edition

Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts galt er als ‚unreine‘ Form, als Ansammlung von Geschichten, bestimmt zur Unterhaltung, wenn nicht gar als bloßes Lesefutter. Einst gering geschätzt, stellt der Roman heute die mit Abstand beliebteste literarische Form dar. Hanjo Kesting unternimmt in seinem dreibändigen Werk „Große Romane der Weltliteratur“ einen Streifzug durch die Geschichte dieser Literaturform: vom frühen 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Kesting stellt vierzig Hauptwerke aus vier Jahrhunderten vor: den „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes bis in die Gegenwart mit Autoren wie Imre Kertész, Günter Grass, Gabriel García Márquez und Orhan Pamuk. Im Zentrum stehen die großen Autoren des 19. Jahrhunderts, dem „Jahrhundert des Romans“. Jeder Autor ist nur mit jeweils einem Werk vertreten, aber jeder der hier behandelten Romane ist auf seine Weise exemplarisch, ein Markstein der Romangeschichte. In der Einleitung erläutert Hanjo Kesting die Kriterien seiner Auswahl und geht auf je Bücher ein, denen er kein eigenes Kapitel widmen konnte.

Kestings Darstellung folgt der Einsicht, dass es mit Wissen und Gelehrsamkeit allein nicht getan ist, sondern dass es erhellend sein kann, auch den Texten selbst Raum zu geben. Die erläuternden Kommentare werden aus diesen Texten entwickelt, ohne allzu weit in eine Theorie des Romans abzuschweifen. So werden Verbindungen zwischen den Autoren und ihren Büchern sichtbar – im Längsschnitt durch die Epochen und im Querschnitt durch die jeweilige Zeit. Leser, die mit den Büchern bereits vertraut sind, entdecken neue Sichtweisen und Details. Leser, die die Texte noch nicht kennen, empfangen Anstöße und Anregungen, sich mit den großen Romanen zu beschäftigen.

Hanjo Kesting, „Große Romane der Weltliteratur. Erfahren, woher wir kommen“, Wallstein Verlag, Göttingen, 2015, ISBN 978-3-8353-1760-4, € 39,90

Die Edition geht zurück auf die erfolgreiche Reihe der ZEIT-Stiftung „Erfahren, woher wir kommen“ im Bucerius Kunst Forum.

„History Takes Place: Istanbul. Dynamics of Urban Change“

Istanbul – Gesichter einer Metropole

Die Publikation “History Takes Place: Istanbul. Dynamics of Urban Change“ dokumentiert die Ergebnisse einer Sommerakademie vom 8. bis 21. September 2013 in Istanbul.

Das Programm für junge Historiker, Kultur- und Sozialwissenschaftler, Städteplaner und Architekten befördert den interdisziplinären Austausch über die historischen Zeitschichten einer Metropole. History Takes Place Istanbul fand nur wenige Wochen nach Beginn der Proteste auf dem Taksim-Platz und im angrenzenden Gezi-Park, dem europäischen und modernen Teil Istanbuls, statt. Die Doktoranden hatten die Chance zur historischen Spurensuche, zu einer Reise durch die Topografie von Istanbul, um aktuelle Urbanisierungsprozesse zu analysieren. Die ZEIT-Stiftung realisiert die Sommerakademie mit finanzieller Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung.

Istanbul wird durch ihre einzigartige Lage zwischen Europa und Asien eine besondere Vermittlungsrolle zugesprochen. Der Band “History Takes Place: Istanbul. Dynamics of Urban Change“ handelt von der wechselvollen Geschichte der Metropole am Bosporus, der mit 15 Mio. Einwohnern inzwischen bevölkerungsreichsten Stadt Europas. Er dokumentiert die Debatten der Sommerakademie und konzentriert sich vor allem auf die Rolle der Stadt als Bühne für politische und soziale Themen, die Interpretation kollektiver Stadträume, die informellen Praktiken der Urbanisierung sowie die Machtkämpfe bei Fragen zum historischen Erbe in der Stadtlandschaft.

Die englischsprachige Publikation versammelt eine breite Palette von Fragestellungen und Fallstudien, die auf den Forschungsprojekten der Sommerakademie-Teilnehmer zu verschiedenen Epochen Istanbuls basieren und enthält Beiträge von Hendrik Bohle, Gerda Brunnlechner, Paulina Dominik, Danyel M. Ferrari, Timur Hammond, Vivienne Marquart, Guy Rak, Karin Schuitema, Ludger Schwarte, Lisa Maria Teichmann, Aylin Yildirim Tschoepe und Dorothea Volz. Die Herausgeberinnen sind Prof. Ayşe Öncü, Sabanci Universität Istanbul, und Dr. Anna Hofmann, ZEIT-Stiftung.

Das Hamburger Kontorhaus. Architektur. Geschichte. Denkmal

Insgesamt 243 erhaltene Kontorhäuser, von mindestens 108 Architekturbüros, prägen Hamburgs Stadtbild - darunter das Chilehaus (1922-1924) von Fritz Höger, erbaut nach den Erschütterungen des Ersten Weltkriegs als Symbol für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neubeginn
 
Der Architekturhistoriker Ralf Lange zeigt in dem bilderreichen Band „Das Hamburger Kontorhaus. Architektur. Geschichte. Denkmal“  die Entwicklung der Kontorhäuser anhand von rund 100 Beispielen auf. Er verzeichnet alle in Hamburg erhaltenen Kontorhäuser und stellt die Biografien ihrer Architekten zusammen. Er dokumentiert auf eindrucksvolle Weise diesen für die Hansestadt spezifischen Bautypus.
 
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts avancierte Hamburg nach London und New York zum Welthafen. Handel und Schifffahrt florierten. Das Kontorhaus als Mietbürohaus schuf Gewerbeflächen für Kaufleute, Reeder, Agenten, Makler, Spediteure und Versicherungsgesellschaften. Mit seinen flexiblen Grundrissen ermöglichte es beliebige Raumgrößen. Hinzu kam eine moderne Ausstattung mit Zentralheizung, elektrischer Beleuchtung, Paternoster und Warenaufzügen. Weit vor anderen europäischen Hafenstädten und vor New York fand die Hansestadt somit beispielhaft eine architektonische Lösung für den wachsenden Bedarf an Arbeitsraum in Hafennähe.   
 
Mit dem „Dovenhof“(1885/1886) von Martin Haller entstand das erste „reine“ Kontorhaus, es bestand allein aus Gewerbeflächen. Es folgte ein regelrechter Boom dieser Gebäudetypen, die noch bis weit in die 1920er Jahre hinein in Stahl- oder Stahlbetonskelettbauweise errichtet wurden. Viele Kontorhäuser befanden sich im jüdischen Besitz und mussten Ende der 1930er Jahre zwangsweise unter Wert veräußert werden. Als 1943 der letzte Bauabschnitt des Sprinkenhofs von Fritz Höger fertiggestellt wurde, ist die Zeit der Kontorhäuser bereits vorüber. Der „Dovenhof“ wurde 1967 abgerissen, um dem Bau des Spiegel-Hochhauses von Kallmorgen & Partner Platz zu schaffen. Obwohl es sich in gutem Zustand befand, fiel es dem neuen Trend der Hochhausbebauung zum Opfer. 
 
Erst in den 1970er Jahren rücken die Kontorhäuser in die städtische Aufmerksamkeit. Aktuell steht das Kontorhausviertel vor einer möglichen internationalen Aufwertung: Das an einen Schiffsbug erinnernde Chilehaus ist mit seinen Nachbargebäuden, dem Meßberghof, dem Sprinkenhof und dem Mohlenhof, zusammen mit der Speicherstadt, zum  UNESCO-Welterbe erklärt.

Ralf Lange,  „Das Hamburger Kontorhaus. Architektur. Geschichte. Denkmal“, Dölling und Galitz Verlag GmbH München, 2015, ISBN 978-3-86218-067-7, € 39,90, 288 Seiten, 520 historische und Farbabbildungen

 

Stadt und Zivilgesellschaft. 250 Jahre Patriotische Gesellschaft von 1765 für Hamburg.
Geschichte – Gegenwart – Perspektiven

Aufklärung, Gemeinsinn, Gemeinwohl, Stadt und Zivilgesellschaft – diese Themen  prägen die Arbeit der Patriotischen Gesellschaft seit ihrer Gründung 1765. Die Historikerin Sigrid Schambach lässt in dem von ihr herausgegebenen Buch „Stadt und Zivilgesellschaft“ jedes Kapitel mit einem diskursiven Beitrag zu dem jeweiligen Schwerpunkt beginnen. Experten verschiedener Fachrichtungen beleuchten das über 250 Jahre gewachsene Selbstverständnis und Handeln mit Blick auf die Gegenwart und insbesondere auf die Zukunft.

Die Patriotische Gesellschaft bekennt sich zu den Werten der europäischen Aufklärung, denen sie ja entstammt. Wie sie sich für die Verbesserung der individuellen Lebensumstände und des gesellschaftlichen Zusammenlebens heute engagiert, zeigen ausgewählte die Projekt-Reportagen. So fördert beispielsweise das Diesterweg-Stipendium begabte Grundschulkinder auf ihrem Bildungsweg und unterstützt dabei die ganze Familie.

Historisch verankert wird die Geschichte „der Patrioten“ durch Porträts von Persönlichkeiten, die maßgeblich Impulse gesetzt und die Schwerpunkte mit bestimmt haben. Unter ihnen sind bekannte, wie das Ehrenmitglied Salomon Heine oder Werner Sieveking, sowie fast in Vergessenheit geratene wie Ernst Georg Sonnin, der zu den Gründern gehörte. Es handelt sich jedoch ausschließlich um Männer, denn erst 1952 ließ der Verein Frauen als Mitglieder zu. Ein Kapitel befasst sich mit dem Ausschluss der jüdischen Mitglieder während des Nationalsozialismus.

Sigrid Schambach hat die Festschrift im Auftrag der Patriotischen Gesellschaft herausgegeben. Sie enthält Beiträge von Frank Adloff, Herbert Ammann, Cord Aschenbrenner, Dirk Brietzke, Angelus Eisinger, Frank Hatje, Michael Haus, Arno Herzig, Hermann Hipp, Franklin Kopitzsch, Christian Litz, Hans-Dieter Loose, Sven Meyer, Jürgen Overhoff, Sigrid Schambach, Jörg Schilling, Zafer Şenocak, Sylvia Steckmest, Joachim C. Wehnelt, Elke K. Wittich und Gunnar B. Zimmermann.

 Sigrid Schambach (hrsg. im Auftrag der Patriotischen Gesellschaft), „Stadt und Zivilgesellschaft. 250 Jahre Patriotische Gesellschaft von 1765 für Hamburg. Geschichte – Gegenwart – Perspektiven“, Wallstein Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1622-5, € 24,90, 256 Seiten, 34, z.T. farb. Abb.

Stille Revolutionen. Die Neuformierung der Welt seit 1989

„Was in den Büchern steht, weiß er schon,/aber es genügt ihm nicht. Er geht selber hin,/am liebsten zu Fuß, oder an Bord/eines alten Dampfers“ – so  beschreibt Hans Magnus Enzensberger den Historiker und Publizisten Karl Schlögel in dem Gedicht „Der Geschichtsschreiber“. Es steht am Anfang des Buches „Stille Revolutionen. Die Neuformierung der Welt seit 1989“, der Festschrift für Karl Schlögel. Schüler und akademische Wegbegleiter, vorwiegend Historiker, haben sie ihm zum 65. Geburtstag gewidmet: Sie versammelt 21 Essays zu seinem Lebensthema, dem Fall der Mauer und der Öffnung der europäischen Grenzen mit ihren globalen Auswirkungen.

Karl Schlögel erkundet den Osten oft abseits herkömmlicher Wege und auch abseits  akademischer Pfade. Enzensberger würdigendes Gedicht, die versammelten Essays und Schwarz-Weiß-Fotos mögen für eine Festschrift nicht nur deshalb ungewöhnlich sein, weil sie auf wissenschaftliche Usancen verzichten. Sie unterstreicht vielmehr Karl Schlögels Arbeitsweise. Bei seiner Spurensuche nach den Bruchstücken der Geschichtsschreibung ist ihm die persönliche Auseinandersetzung mit den Menschen wichtig. Eindrucksvolle Gedankensplitter zu den Themen „Aufbrüche in eine neue Ordnung“, „Entstehung neuer Räume“, „Stilbrüche“, „Die Neuvermessung der historischen Landschaft“, „Atlantis ‚Kalter Krieg’“ und „Der Charme der Alten Welt“ und die zusätzlichen Fotos dokumentieren eindringlich die „stillen Revolutionen“, die Schlögel immer wieder beschrieben hat.

Die ZEIT-Stiftung hat den Band gefördert, nicht zuletzt, weil sich Karl Schlögel langjährig für Projekte der ZEIT-Stiftung im Bereich der Osteuropaforschung engagierte.  

Mit Beiträgen von Markus Ackeret, Felix Ackermann, Hans Magnus Enzensberger, José M: Faraldo, Sheila Fitzpatrick, Klaus Gestwa, Julian Hans, Helga Hirsch, Gangolf Hübinger, Gerd Koenen, Katharina Kucher, Ruth Leiserowitz, Claudio Magris, Jan Musekamp, Norman M. Naimark, Jan Plamper, Gábor T. Rittersporn, Dirk Sager, Rosalinde Sartorti, Susanne Schattenberg, Gregor Thum und Sören Urbansky

Katharina Kucher, Gregor Thum, Sören Urbansky (Hg.)
„Stille Revolutionen. Die Neuformierung der Welt seit 1989“
Campus Verlag GmbH, Frankfurt 2013
ISBN 978-3-593-39851-8,  € 24,90
250 Seiten, 12 Abb.

Dieses Buch ist auch als E-Book erschienen.
www.campus.de

Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive

Die Ergebnisse der internationalen Fachkonferenz „Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive“, die anlässlich des 70. Jahrestages des Münchener Abkommens vom 17. bis 19. September 2008 in München stattfand, dokumentiert der vorliegende Band. Das Institut für Zeitgeschichte und das Collegium Carolinum hatten die Tagung organisiert.

Schon 1958 schreibt der damalige Generalsekretär des Instituts für Zeitgeschichte, Paul Kluke, in seinem Vorwort zu Boris Celovskys Studie über das Münchener Abkommen: „Es ist seit langem eine Binsenweisheit, daß die diplomatische Krise des Sommers 1938 nicht lediglich der deutschen und tschechischen Geschichte angehört, sondern ihre historische Relevanz durch die aus ihr hervorgehende neue Machtverteilung auf dem Kontinent, durch den Zusammenbruch der alten europäischen Staatenordnung erhalten hat.“  Auf diese Erweiterung der Perspektive zielen die beiden Herausgeber des Tagungsbandes, Jürgen Zarusky und Martin Zückert: Die Ereignisse, Entscheidungen und Folgen rund um die Konferenz in München seien zu komplex, als dass man ihr Ergebnis auf die erzwungene Abtretung der mehrheitlich deutsch besiedelten Randgebiete der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich reduzieren könne.

Autoren aus zehn Ländern untersuchen die außenpolitischen Rahmenbedingungen sowie die Hintergründe und die Entwicklung der Sudetenkrise. Auch die Folgen in den besetzten böhmisch-mährischen Grenzregionen und die Konsequenzen des Abkommens für die Staaten und Gesellschaften Ostmitteleuropas werden aufgezeichnet.

Die Gemeinschaftspublikation des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin und des Collegium Carolinum enthält Beiträge von Jaromír Balcar, Josef Becker, Christoph Boyer, Detlef Brandes, Valerián Bystický, Patrizia Dogliani, Angela Hermann, Peter Krüger (†), Zdenko Maršálek, Peter Neville, Thomas Oellermann, Jörg Osterloh, Ignác Romsics, Michal Schvarc, Vít Smetana, Sergej Slutsch, Georges-Henri Soutou, Christoph Studt, Joachim Tauber, Emil Vorácek, Hans Woller, Jürgen Zarusky, Stanislaw Žerko, Volker Zimmermann, Martin Zückert.

„Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive“, hrsg. von Jürgen Zarusky und Martin Zückert, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2013, 473 Seiten, ISBN 978-3-486-70417-4, € 59,80

„Adolph Lewisohn. Kupfermagnat im ‚Goldenen Zeitalter‘“

Adolph Lewisohn wird am 27. Mai 1849 in Hamburg als Sohn orthodoxer Juden in eine Kaufmannsfamilie hinein geboren. 1867 folgt er seinen Brüdern nach New York, um in der dortigen Filiale des väterlichen Unternehmens zu arbeiten. Bald jedoch ist er „New Yorks wertvollster Bürger“: In nur 20 Jahren erwirtschaftet Lewisohn als Kupferindustrieller ein Millionenvermögen. Mit dem beginnenden Zeitalter der Elektrizität und der fortschreitenden Kommunikations- und Transporttechnologie war die Nachfrage nach dem weichen Metall enorm gewachsen. Wie die Rockefellers, Carnegies oder Morgans profitiert Lewisohn vom wirtschaftlichen Aufstieg der USA im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – und kommt seiner sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung nach.

Jahrzehntelang engagiert sich Lewisohn für Kunst, Bildung, Wissenschaft, Medizin und Forschung sowie für Wohlfahrtsorganisationen. Das Wohl von Kindern, insbesondere von Waisenkindern, liegt ihm, der mit sieben Jahren die Mutter verlor, besonders am Herzen. Eine seiner größten Spenden für New York ermöglicht das nach ihm benannte Stadion des City College of New York.  Es nahm insbesondere Nachkommen einkommensschwacher Familien auf. Durchaus modern und seiner Zeit voraus ist sein Engagement für die gleichberechtigte Ausbildung von Frauen: Die Hebrew Technical School for Girls unterstützt er ebenso wie auch andere Institutionen der Frauenförderung.

Obwohl der Amerika-Auswanderer Hamburg nur noch kurze Familienbesuche abstattet, bleibt er seiner Heimatstadt verbunden. Diese Verbundenheit hält Henning Albrechts Biographie an vielen Stellen eindrucksvoll fest, am deutlichsten wird sie anlässlich der Gründung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung: Die Stiftung rief im Jahre ihres 100-jährigen Jubiläums 2007 die Reihe „Mäzene für Wissenschaft“ ins Leben, um Personen zu porträtieren, die sich um die Gründung verdient gemacht haben: Adolph Lewisohn, dem dieser 13. Band gewidmet ist, zählt zu den großzügigsten Geldgebern.

„Die Online-Version dieser Publikation ist auf der Verlagswebsite frei verfügbar (open access). Open access über die folgenden Webseiten:
Hamburg University Press – http://hup.sub.uni-hamburg.de
http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/HamburgUP_MfW13_Lewisohn

Dauerhaft online verfügbar: Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek – http://deposit.ddb.de/index.htm

Henning Albrecht
„Adolph Lewisohn. Kupfermagnat im ‚Goldenen Zeitalter‘“
148 Seiten, 55 Abb., Hamburg University Press, Hamburg 2013
ISBN 978-3-943 423-04-4, € 24,80

Stiftungsstadt und Bürgertum

Die Geschichte des Hamburger Stiftungswesens vom Kaiserreich bis zum „Dritten Reich“ ist bislang wenig bekannt. In „Stiftungsstadt und Bürgertum“ untersucht der Historiker Michael Werner die Praxis vom Stiften, Schenken und Fördern in der Hansestadt.

In Zeiten des deutschen Kaiserreichs engagierten sich Stiftungen vor allem beim Bau von Wohnstiften. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Kriegsopferfürsorge zu einem neuen Betätigungsfeld. In der Weimarer Republik führte vor allem die grassierende Inflation zum Niedergang von Stiftungsbereitschaft und Stiftungsvermögen. Mit der Zäsur des Nationalsozialismus begann die politische Vereinnahmung und Aushöhlung des Stiftungswesens. Das brach mit der Hamburger Stiftungstradition: Das Steuerrecht wurde als politisches Lenkungsinstrument eingesetzt, um NS-Organisationen zu begünstigen. Satzungsänderungen veränderten durch eine völkisch-rassische Sprachregelung den Kreis der Begünstigten und jüdischen Stiftungen wurde die Daseinsberechtigung entzogen.

Michael Werner skizziert diese Zeitenwende an Beispielen wie dem jüdisch-amerikanischen Ehepaar Budge. Die vermögenden und kinderlosen Budges einte die Leidenschaft zu fördern und zu sammeln. Henry Budge war als wissenschaftlicher und kultureller Mäzen bekannt, seine Frau sammelte altmeisterliche Gemälde. Ihr wohltätiges Engagement, das bereits zu Kaiserzeiten begann, behielten sie auch während der Weimarer Republik bei. Die ursprüngliche Idee, ihr Privathaus, das „Budge-Palais“, samt der Kunstsammlung, in eine Stiftung zu überführen und an das Museum für Kunst und Gewerbe anzubinden, gab die inzwischen verwitwete Emma Budge im Jahr 1933 auf. Denn der alten Dame beunruhigte die politische Lage in Deutschland. Sie vermachte ihr Erbe an entfernte Verwandte und die Stadt New York. Nach ihrem Tod 1937 enteigneten die Nationalsozialisten die Erben, unterbanden die Stiftungstätigkeiten und versteigerten die wertvolle Kunstsammlung. Kurze Zeit später zog der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann in das „Budge-Palais“ und baute es zum beliebten Treffpunkt der Hamburger Nationalsozialisten aus. Seit 1959 gehören Teile des Gebäudes zur Hochschule für Musik und Theater.

Diese reiche, durch Primär- und Sekundärquellen gestützte Arbeit verfolgt zwei Ziele: Die Dokumentation zeichnet einerseits die Grundzüge der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Hamburg nach – und versteht sich andererseits als Teil der Grundlagenforschung zur städtischen Stiftungskultur. Das Werk enthält zahlreiche Biographien von Stiftern und historische Porträts von Stiftungen.

Michael Werner, Stiftungsstadt und Bürgertum. Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus. 500 Seiten, Oldenbourg Verlag, München 2011, 54,80 €, ISBN 978-3-486-70239-2

Abseits der Metropolen. Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein

Die Studie „Abseits der Metropolen“ erzählt erstmals die Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein, ihr Leben und ihr Leiden.

Bettina Goldberg analysiert die Bedingungen und Ausprägungen jüdischer Existenz in einem überwiegend ländlichen und damit abseits der großstädtischen Zentren gelegenen Flächenstaat. Es geht um vielen Facetten jüdischen Lebens, also um die jüdischen Gemeinden, Schulen, Verbände und Vereine wie auch um die jüdischen Familien, ihre Freundes- und Bekanntenkreise. Wichtig ist dabei das Verhältnis zwischen den alteingesessenen deutschen und den seit den 1890er Jahren eingewanderten osteuropäischen Juden. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Beziehungen zwischen jüdischer Minderheit und nichtjüdischer Mehrheitsgesellschaft, die Zunahme antisemitischer Übergriffe, Boykotte und Verfolgung. „Ich habe mich dem Judenboykott angeschlossen“ – dieses Schild sollten Geschäftsleute in ihren Läden aushängen, eine Zeitung meldete: „Eine Judenfirma verlässt Neumünster.“ Von den frühesten jüdischen Niederlassungen in der norddeutschen Region über das Ende der Weimarer Republik bis zur Zeit des Nationalsozialismus und den Nachkriegsjahren handelt dieses Buch, das auf einer Vielzahl neu erschlossener Quellen aus deutschen, amerikanischen und israelischen Archiven basiert. Außerdem wurden 80 Interviews mit jüdischen ehemaligen Schleswig-Holsteinern geführt sowie zahlreiche Dokumente aus Privatbesitz ausgewertet.

Bettina Goldberg, Abseits der Metropolen. Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein, Band 5, Wachholtz Verlag, Neumünster 2011, 768 Seiten, zahlr. Abb., € 35,-, ISBN 978-3-529-06111-0

Stadt und Urbanität. Transdisziplinäre Perspektiven

Der Pilotband der Zeitschriftenreihe „the new metropolis – die neue metropole“ versammelt Standpunkte von Wissenschaftlern und Experten verschiedener Disziplinen. Es geht um Stadtentwicklung, Stadtplanung, Architektur, Geschlechterforschung, Stadt und Sprache, Literatur, Kultur und Urbanität. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Stadtentwicklung und Geschlechterbeziehungen, zwischen Körper, Sprache und Stadtraum? Welches urbane Bewusstsein archivieren Kunst und Literatur, welche Lebensformen erproben sie? Anhand dieser Fragen werden Entwicklungstendenzen und Probleme des gegenwärtigen weltumspannenden Verstädterungsprozesses sowie Kriterien für die heutige Betrachtung, Gestaltung und den Umbau von Städten diskutiert und in einen gemeinsamen Kontext gestellt. Damit sollen neue Verständnisperspektiven eröffnet werden.

Mit Beiträgen von Niklas Bender, Konrad Ehlich, Ottmar Ette, Kerstin Evert, Susanne Frank, Bartholomäus Grill, Hartmut Häußermann, Uli Hellweg, Franck Hofmann, Christopher Hutton, Mara Kurotschka, Dieter Läpple, Markus Messling, Franz Oswald, A.J.M. Roobeek, Jürgen Trabant, Jörn Walter, Sigrid Weigel und Heike Wiese.

Diese Publikation versammelt die Ergebnisse der von der ZEIT-Stiftung und der HafenCity Universität Hamburg initiierten Sommerakademie „Stadt und Urbanität im 21. Jahrhundert“. Sie fand im Juli 2008 in Kooperation mit dem Georg Simmel-Zentrum für Metropolenforschung (HU Berlin) und dem Center for Metropolitan Studies (TU Berlin) in Hamburg statt.

„the new metropolis – die neue metropole“ ist ein jährliches Periodikum für inter- und transdisziplinäre Metropolenforschung der HafenCity Universität Hamburg – Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung.

Markus Messling, Dieter Läpple, Jürgen Trabant (Hg.), Stadt und Urbanität. Transdisziplinäre Perspektiven, in: the new metropolis – die neue metropole: Volume 1/2011, Kulturverlag Kadmos 2011, 376 Seiten, ISBN 978-3-86599-127-0, Kulturverlag Kadmos 2011,€ 29,80

Bürgertum nach dem bürgerlichen Zeitalter

Gibt es in Deutschland und in Europa nach dem bürgerlichen Zeitalter noch eine Sozialformation, die in der Tradition des Bürgertums steht? Ausgehend von Fragestellungen der Tagung „Bürgertum und Bürgerlichkeit im 20. Jahrhundert in internationaler Perspektive“ 2007 in Loccum, fragt der Band nach Orten und Ausformungen von Bürgerlichkeit und bürgerlichen Praktiken in Westdeutschland und Europa.  Der bürgerliche Wertehorizont wird gerade neu entdeckt: Beschwörungen einer »neuen Bürgerlichkeit« füllen in den letzten Jahren Medien ganz unterschiedlicher politischer Couleur. Um sich der Frage nach Kontinuitäten, aber auch nach Neubestimmungen von »Bürgerlichkeit« zu nähern, untersuchen die Beiträge bestimmte Handlungsfelder, welche die Forschung zum 19. Jahrhundert als »bürgerlich« charakterisiert hat: die Zivilgesellschaft, die Alltagskultur, Bildung und Erziehung, Unternehmen sowie Politik und Staat.

Mit Beiträgen von: Volker Depkat, Miriam Gebhardt, Dieter Gosewinkel, Jens Hacke, Christine G. Krüger, Gabriele Lingelbach, Peter Lundgreen, Till Manning, Sven Oliver Müller, Daniela Münkel, Holger Nehring, Werner Plumpe, Marie-Christine Potthoff, Christian Reuber, Adelheid von Saldern und Lu Seegers.

Gunilla Budde, Eckart Conze und Cornelia Rauh (Hrsg.), Bürgertum nach dem bürgerlichen Zeitalter. Leitbilder und Praxis seit 1945, in: Bürgertum Neue Folge. Studien zur Zivilgesellschaft, Band 10, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, 317 Seiten mit 3 Grafiken und 2 Tabellen, € 42,95, ISBN 978-3-525-36850-3

Die Geschichte des Westens

Wir leben im Westen. Aber was eigentlich ist der Westen? Wie ist er entstanden? Wo liegen seine Wurzeln? Und wofür steht er?

Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen hat der Historiker Heinrich August Winkler zum ersten Mal überhaupt eine Geschichte des Westens geschrieben. Von den Anfängen in der Antike bis in das 20. Jahrhundert zieht er in seiner auf drei Bände angelegten Darstellung einen welthistorischen Bogen, der die Geschichte der großen Ereignisse und Entwicklungen ebenso umspannt wie die Geschichte der politischen Ideen.

Ob Renaissance und Reformation, koloniale Expansion oder Zeitalter der Revolutionen, in Europa und in Nordamerika zeichnet Winkler die Entstehung einer westlichen Wertegemeinschaft nach. Ihr Fundament bildeten Ideen der Menschen- und Bürgerrechte, Freiheit und Gleichheit, Gewaltenteilung, Herrschaft des Rechts und der repräsentativen Demokratie. Zugleich hat der Westen aber auch oft genug gegenüber den nichtwestlichen Teilen der Welt seine Werte verraten, Freiheit gepredigt und Habgier gemeint und mit dem Kapitalismus eine Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse entfesselt. Der Autor verknüpft die lebendige historische Erzählung mit einem klaren Blick für die großen Entwicklungslinien der westlichen Welt. Sein Buch ist eine historische Selbstvergewisserung des Westens, seiner Werte und Ideale, in dem sich der Autor gleichzeitig den dunklen Seiten der westlichen Geschichte stellt.

Inzwischen sind vier Bände der „Geschichte des Westens“ erschienen. „Die Zeit der Weltkriege“ behandelt die Zeit nach 1914 bis 1945. Wie der erste Band wurde dieser zweite neben der ZEIT-Stiftung auch von der Hans Ringier Stiftung und der Robert Bosch Stiftung gefördert. Der dritte Band „Vom Kalten Krieg zum Mauerfall“ ist 2014 erschienen, darauf folgte in 2015 „Die Zeit der Gegenwart“.

1. Band
Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, Verlag C.H. Beck München, 5. Auflage 2015, 1343 Seiten, € 39,95; ISBN 978-3-406-59235-5

2. Band
Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945, Verlag C.H. Beck München,  2011, 1350 Seiten; € 39,95; ISBN 978-3-406-59236-2

3. Band
Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall, Verlag C.H. Beck München, 2014. 1258 Seiten, € 39,95, ISBN 978-3-406-66984-2

4. Band
Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Die Zeit der Gegenwart, Verlag C.H. Beck München, 2. Auflage 2015, 687 Seiten, 29,95; ISBN 978-3-406-66986-6

 

Neue Wege in ein neues Europa. Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert

Das Thema Verkehr und dessen Bedeutung für den Verlauf geschichtlicher Ereignisse und eine moderne Geschichtsschreibung standen im Mittelpunkt einer von der ZEIT-Stiftung initiierten Tagung über „Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert“ im März 2007 in Berlin.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion führt den Kontinent neu zusammen. Europa wird dabei als ein Raum von Werten und Ideen aufgefasst, aber auch als Verkehrsraum. Das geteilte Europa war bestimmt von zerschnittenen Verkehrswegen, mit Endstationen an den Grenzen zwischen West und Ost. 1989 begann man, unterbrochene Linien wieder in Betrieb zu nehmen. Ohne einen einheitlichen und modernisierten Verkehrsraum kann es ein neues und vereintes Europa nicht geben. Entfernung und Nähe, Versorgung und Verteilung von Gütern, Ideen und Menschen sind auf das Medium des Verkehrs angewiesen.

Der Sammelband belegt, wie Verkehr und Mobilität Europa im 20. Jahrhundert gestaltet haben. Er bietet eine allgemeine Einführung in die Diskussion und einen historischen Überblick, umreißt die kulturelle Bedeutung von Transport und Kommunikation ebenso wie er die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten des Transports charakterisiert. Zugleich zeigt er die Grenzen der Technik auf, die zur Verwundbarkeit des Menschen führen können.

Mit Beiträgen von: Peter Borscheid, Hans-Liudger Dienel, Colin Divall, Alfred Gottwaldt, Michael Hascher, Wolfgang Kaschuba, Christopher Kopper, Dirk van Laak, Hans Lemberg, Peter Lyth, Michèle Merger, Christoph Maria Merki, Kurt Möser, Gijs Mom, Hans-Heinrich Nolte, Marie-Noëlle Polino, Ralf Roth, Reiner Ruppmann, Frithjof Benjamin Schenk, Karl Schlögel, Hasso Spode, Helmuth Trischler, Richard Vahrenkamp, Javier Vidal und Thomas Zeller.

Ralf Roth (Hg.), Karl Schlögel (Hg.), Neue Wege in ein neues Europa. Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert, Campus Verlag Frankfurt/Main 2009, 555 Seiten, 45 Abbildungen, € 49,-, ISBN: 978-3-593-38900-4

Städte im europäischen Raum. Verkehr, Kommunikation und Urbanität im 19. und 20. Jahrhundert

Die Städtelandschaft Europas ist seit alters her auf vielfache Weise miteinander verbunden. Über Jahrhunderte hinweg entstand ein dicht gewebtes Verkehrs- und Kommunikationsnetz, das den Austausch von Personen, Gütern und Informationen ermöglicht. Doch darauf beschränkten sich die Verbindungen zwischen den Städten nicht. Bei der Verbreitung von Ideen im europäischen Raum spielten auch die individuellen Beziehungen zwischen Menschen und persönliche Netzwerke eine wesentliche Rolle.

Wie sahen der Verkehr, die Kommunikation und der Austausch von Städten im europäischen Raum aus? Was hatten sie an Infrastruktur zur Voraussetzung, und wie trug diese Vernetzung zur Entwicklung der Städte bei? Diese und viele andere Fragen werden in den Beiträgen des Buches am Beispiel von Petersburg und Berlin oder Lissabon und Czernowitz exemplarisch diskutiert.

Die Aufsätze dieses Bandes gehen auf eine Sektion des Historikertages 2004 zurück.

Mit Beiträgen von: Rainer Liedtke, Anja Kervanto Nevanlinna, Dobrinka Parusheva, Igor Piddubnyj, Magda Pinheiro, Ralf Roth, Karl Schlögel, Dieter Schott, Dirk Schubert und Igor Zhaloba.

Ralf Roth (Hrsg.), Städte im europäischen Raum. Verkehr, Kommunikation und Urbanität im 19. und 20. Jahrhundert, in: Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung, Band 9, 274 Seiten, 24 s/w Abbildungen, 11 s/w Tabellen, Franz Steiner Verlag Stuttgart 2009, € 49,-, ISBN 978-3-515-09337-8

„DIE ZEIT“ und die Bonner Republik

DIE ZEIT hat die Bonner Republik kritisch begleitet und wie kaum ein anderes Blatt ihr Bild nach außen geprägt. Welche Rolle spielte die Wochenzeitung in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, in den Kontroversen über die »deutsche Frage« sowie in den Diskussionen um Modernisierung und Liberalisierung?

Die Beiträge des Sammelbands machen deutlich, dass es bis zum liberalen Meinungspluralismus ein langer Weg war. Sie zeigen, wie eng die anfänglich noch keineswegs liberale Wochenzeitung und ihre Journalisten in ein dichtes Netz europäisch-transatlantischer Konferenzen, Institute und Pressemedien eingebunden war und ist. Die Integration in dieses westliche Netzwerk erlaubte es Verleger Gerd Bucerius und Journalisten wie Ernst Friedlaender, Marion Dönhoff und Theo Sommer als Mittler zu wirken und aufgrund ihrer engen Kontakte zur Bundesregierung auch meinungsbildend in die Außenbeziehungen der Bundesrepublik einzugreifen. In der ZEIT und durch die ZEIT wurde der Westen allmählich zum positiven Bezugspunkt.

Mit Beiträgen von: Philipp Gassert, Karl Christian Führer, Frank Bajohr, Werner Bührer, Alexander Nützenadel, Constantin Goschler, Eckart Conze, Christina von Hodenberg, Claudia Fröhlich, Detlef Bald, Alexander Gallus, Christoph Kleßmann und Konrad H. Jarausch.

Christian Haase, Axel Schildt (Hrsg.), „DIE ZEIT“ und die Bonner Republik. Eine meinungsbildende Wochenzeitung zwischen Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung, in: Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Band 43, Wallstein Verlag Göttingen 2008, 312 Seiten mit 33 Abbildungen, € 32,- ISBN 978-3-8353-0243-3

Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte

Der Osteuropa-Historiker und Essayist Karl Schlögel hat eine Gruppe junger Historiker aus verschiedenen Ländern St. Petersburg entdecken und entschlüsseln lassen. Er, der die einstige Zarenresidenz und Hauptstadt des riesigen Russischen Reiches so gut kennt wie nur wenige hierzulande, leitete 2003 „History Takes Place“, die historische Sommerschule der ZEIT-Stiftung.

Die Spurensuche „History Takes Place“ dokumentiert Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte, herausgegeben von Karl Schlögel und den Historikern Frithjof Benjamin Schenk und Markus Ackeret. St. Petersburg bzw. Leningrad war im 20. Jahrhundert wiederholt Schauplatz von Ereignissen, die die ganze Welt erschütterten und deren Spuren im städtischen Raum allgegenwärtig sind.

Der Essayband versammelt 24 Texte zu den vielfältigen Zusammenhängen von städtischem Raum und russischer Geschichte. Er lädt zu Ausflügen in die Vergangenheit St. Petersburgs bzw. Leningrads abseits ausgetretener touristischer Pfade – an die Orte früheren deutschen und jüdischen Lebens, auf die stalinistische Prachtstraße Moskowskij Prospekt, an den Ladoga-See, der 1942 zufror und den einzigen Zugang zur belagerten Stadt ermöglichte, an die Orte bolschewistischer Massenkundgebungen, in das berüchtigte Polizeidepartment der Zarenregierung, aber auch in Gärten, Kinos und Kommunalwohnungen. So erschließt sich über diese Stätten die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner wie in einem Mosaik.

Seit 2003 lädt die ZEIT-Stiftung junge Historiker und Kulturwissenschaftler alle zwei Jahre zur Sommerakademie „History Takes Place“ ein, um an wechselnden europäischen Zentralorten das „Spektrum der Mitte und des Ostens Europas“ (H. v. Keyserlingk) zu ermessen. Die Teilnehmer verfolgen historische Spuren in der örtlichen Topographie, in der Architektur und in Denkmälern. Die Stadt selbst wird gleichsam als Quelle gelesen. Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte ist beides – Erkundungsbericht und Stadtführer.

Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte, herausgegeben von Karl Schlögel, Frithjof Benjamin Schenk und Markus Ackeret, Campus Verlag, Frankfurt/Main 2007, 440 Seiten, € 29,90, ISBN 978-3-593-38321-7

Bundesrepublik Deutschland Nationalatlas "Leben in Deutschland"

Neu erschienener Band 12 des Nationalatlas zeigt Facetten des Alltagslebens in Deutschland

Der zwölfte und letzte Band des vom Leibniz-Institut für Länderkunde herausgegebene Nationalatlas kartografiert das „Leben in Deutschland“. Fast hundert Autoren stellen aus verschiedenen Perspektiven den deutschen Alltag dar. Sie arbeiten heraus, wie Verkehr, Klima oder andere Indikatoren die Lebenswelt beeinflussen. Da geht es beispielsweise um den Arbeitsalltag von Fernfahrern zwischen Autohöfen und kurzen Familienbesuchen, aber auch um die Hochmobilen mit mehreren Wohnorten und dem „rollenden Büro“ im Zug. Neue Formen der Mobilität und der Freizeitgestaltung erobern den sozialen Raum.

Es werden also Themen beleuchtet, die das Leben des Einzelnen unmittelbar betreffen wie Fragen des Wohnstils oder die allerorten neu geschaffenen Einkaufswelten. Der Atlas geht auch der wachsenden kulturellen Differenzierung des „Lebens in Deutschland“ detailliert nach und zeigt, wie die religiöse Geographie hierzulande immer pluraler wird.

Die ZEIT-Stiftung hat das Leibniz-Institut für Länderkunde bei Band 12 des Atlas unterstützt und damit zum Abschluss des Nationalatlas-Projekts beigetragen.

Institut für Länderkunde, Leipzig (Hrsg.), Bundesrepublik Deutschland Nationalatlas "Leben in Deutschland", Spektrum Akademischer Verlag Elsevier, Heidelberg/Berlin, 2006, € 84,-, ISBN 3-8274-0968-3.

Kant lebt. Sieben Reden und ein Kolloquium zum 200. Todestag des Aufklärers

Aus Anlass des 200. Todestages von Immanuel Kant im Jahr 2004 initiierte die ZEIT-Stiftung zusammen mit der Patriotischen Gesellschaft von 1765 die Reihe „Kant lebt. Sieben Reden und ein Kolloquium zum 200. Todestag des Aufklärers“. Sie fragten nach der Aktualität von Kants Denken.

Als Kant 1784 feststellte, dass man in einem Zeitalter der Aufklärung, nicht aber in aufgeklärten Zeiten lebe, war dies ebenso Kritik an seinen eigenen Zeiten wie Auftrag an die Zeitgenossen. Wenig scheint sich daran geändert zu haben. Kants Zeitdiagnose scheint übertragbarer denn je. Gründe, an seinem Vernunftoptimismus zu zweifeln, lieferte das 20. Jahrhundert zahllos. Und auch das 21. Jahrhundert begann wenig vielversprechend.

Die Frage nach der Aktualität der Aufklärung hält also zu einer Lektüre des Aufklärers an. Die Publikation der Veranstaltungsreihe „Kant lebt.“ versammelt Beiträge herausragender Zeitgenossen: von Neu-Aufklärern und Aufklärungsskeptikern. Philosophen, Theologen, Politik- und Sozialwissenschaftler sowie Literaturwissenschaftler behandeln in dem Sammelband Kant lebt. Sieben Reden und ein Kolloquium zum 200. Todestag des Aufklärers die großen Themen seiner Philosophie – Freiheit und Würde, Wissen und Mündigkeit, Krieg und Frieden, Vernunft und Fortschritt. Autoren sind Karl-Heinz Bohrer, Volker Gerhardt, Otfried Höffe, Axel Honneth, Wolfgang Huber, Peter Graf Kielmannsegg und Jürgen Mittelstrass.

Kant lebt. Sieben Reden und ein Kolloquium zum 200. Todestag des Aufklärers, herausgegeben von Birgit Recki, Sven Meyer und Ingmar Ahl, mentis Verlag, Paderborn 2006, 221 Seiten, € 24,80, ISBN 3-89785-248-9.

Marion Gräfin Dönhoff - Wie Freunde und Weggefährten sie erlebten

Marion Gräfin Dönhoff (1909 - 2002), in der Tradition des ostpreußischen Adels aufgewachsen, wurde nach ihrer Flucht in den Westen zur bewunderten Journalistin und moralischen Instanz. Dieter Buhl, ehemaliger politischer Redakteur der ZEIT, befragte Freunde, Verwandte und Weggefährten von Gräfin Dönhoff, wie sie die bedeutende Frau heute sehen.

Frieden und Freiheit waren Schlüsselbegriffe im Denken und Handeln Marion Gräfin Dönhoffs. Als Ostpreußin hat sie den Verlust der Heimat akzeptiert, als Chefredakteurin und später Mitherausgeberin der ZEIT stets auf die Unabhängigkeit der großen Hamburger Wochenzeitung gepocht, mit zahlreichen Publikationen den gesellschaftlichen Diskurs im Nachkriegsdeutschland mit geprägt. „Sie vertrat ihre eigene Meinung, duldete jedoch andere Meinungen im Blatt durchaus. Sie hat andere gewähren lassen“, so Theo Sommer.

Dieter Buhl befragte Politiker wie Henry Kissinger, Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt, Freunde wie Fritz Stern und Wolf Jobst Siedler, Journalisten wie Theo Sommer und Claus Jacobi, aber auch Marion Gräfin Dönhoffs Nichte Karin Gräfin Dönhoff und ihr Patenkind Vera Gräfin Lehndorff. So ergeben die Aussagen dieses Gesprächsbandes das vielstimmige Porträt einer großen Journalistin und eindrucksvollen Persönlichkeit – und zeigen zugleich, wie wirkungsreich Marion Gräfin Dönhoff bis in die Gegenwart ist.

Dieter Buhl, ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (Hrsg.) Marion Gräfin Dönhoff. Wie Freunde und Weggefährten sie erlebten, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006, 368 Seiten, € 22,-, ISBN 3-455 5001-10

 

 

Die Prussia-Sammlung – Katalog zur Dauerausstellung im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad

Die Prussia-Sammlung gehörte bis zu ihrem Verlust im Jahr 1945 zu den wichtigsten Zeugnissen der nordosteuropäische Kultur. Bis 1945 im Königsberger Schloss untergebracht, beherbergte sie eine halbe Million archäologischer Exponate, darunter Waffen, Gebrauchsgegenstände und Schmuck. Ein Teil der Sammlung gelangte nach dem Krieg nach Berlin (Museum für Vor- und Frühgeschichte) und Olsztyn (Polen). Die Schausammlung der Prussia-Ausstellung galt jedoch bis 1999 als verloren – bis russische Archäologen 1999 in einer ehemaligen Festungsanlage einen erheblichen Teil der Exponate fanden.

Die ZEIT-Stiftung gründete zur Sicherung der wiederentdeckten archäologischen Funde eine Prussia-Arbeitsstelle im Museum für Geschichte und Kunst in Kaliningrad und ermöglichte die Restaurierung und Archivierung der über 30000 entdeckten Funde um sie der Öffentlichkeit wie der Wissenschaft zugänglich zu machen. Erste Ergebnisse konnten in einer vorläufigen Ausstellung im Winter 2001/2002 präsentiert werden. Die nunmehr eröffnete „Prussia-Ausstellung“ steht am Ende des vierjährigen Projekts und legt Zeugnis ab für eine der faszinierendsten archäologischen Sammlungen Europas. Der reich bebilderte Katalog würdigt die Sammlung und ihre Geschichte.

Die Prussia-Sammlung. Der Bestand im Museum für Geschichte und Kunst in Kaliningrad, Verlag: H. M. Hauschild GmbH, Bremen: 2005, ISBN 3-89757-307-5, € 19,95

Berlin - Was ist uns die Hauptstadt wert?

Die gefährdete Hauptstadt oder Was uns Berlin wert ist

Die Frage nach dem Wert der Hauptstadt ist brisant, befindet sich Berlin doch in einer kritischen Lage: hoch verschuldet und von zu geringer Steuerkraft geplagt, kann sich die Stadt aus eigener Kraft nicht mehr retten: Welche Rolle soll Berlin im föderalen Gefüge spielen, welche politischen und materiellen Konsequenzen hat das Bekenntnis zur Hauptstadt Berlin? Die von Altkanzler Helmut Schmidt mitbegründete Deutsche Nationalstiftung legt anlässlich ihres 10jährigen Bestehens einen Sammelband mit prominenten Stimmen zur Hauptstadtfrage vor. Mehrere Regierende Bürgermeister von Klaus Schütz und Richard von Weizsäcker bis zu Klaus Wowereit schreiben in Berlin – was ist uns die Hauptstadt wert?, die Bandbreite der mehr als dreißig Autoren reicht von Wolfgang Schäuble über Florian Illies, von Wolf Jobst Siedler über Monika Maron und Christina Weiss.

Helmut Schmidt äußert in der Einleitung die Sorge, „dass alle wirtschaftliche und politische, dass alle schlechthin kulturelle Ausstrahlung Berlins wegen des ökonomischen und besonders wegen des finanziellen Unvermögens gefährdet ist.“ Und er fordert zugleich: „Deshalb muss die Debatte über die Zukunft dieser wichtigsten deutschen Metropole begonnen werden.“

Der Band Berlin – was ist uns die Hauptstadt wert? gibt vielstimmige Anstöße zu dieser notwendigen Debatte.

Berlin - Was ist uns die Hauptstadt wert? Kurt Biedenkopf, Dirk Reimers, Armin Rolfink (Hg.), Leske + Budrich, Opladen 2003, € 14,90,
ISBN 3-8100-4054-1.






 






 






 






 

Bürger und Gesellschaft. Stiftungen in Hamburg

Hamburgs Stiftungslandschaft entdecken
Ein informativer Bildband erschließt die deutsche Stiftungshauptstadt.

Hamburg gilt aus guten Gründen als Stiftungshauptstadt Deutschlands. Bürger und Gesellschaft bilden hier seit Jahrhunderten ein fruchtbares Spannungsverhältnis. Der Bildband Bürger und Gesellschaft. Stiftungen in Hamburg versammelt das reiche Stiftungsgeschehen und fächert seine Vielfalt auf: Es geht um die lange Geschichte der Hamburger Stiftungen und das aktuelle Stiftungsrecht, um die Stifte als Bauaufgabe und um das jüdische Stiftungswesen. Bedeutende Stifter werden porträtiert, ihr Wirken in Wort und Bild vorgestellt - von Salomon Heine bis zu Steffi Graf, von Caspar Voght und Gerd Bucerius bis zu F.C. Gundlach.

Das Buch enthält zudem ein Verzeichnis sämtlicher Stiftungen der Hansestadt sowie einen Leitfaden für Stifter. Bürger und Gesellschaft leistet also ganz Praktisches - es bietet Orientierung in der Hamburger Stiftungslandschaft und weist den Weg zu eigenem stifterischen Wirken. Mit den zahlreichen stimmungs- und informationsgeladenen Fotografien von Michael Zapf ist es zudem eine Augenweide.

Bürger und Gesellschaft. Stiftungen in Hamburg, Herausgegeben vom Initiativkreis Hamburger Stiftungen und der Freien und Hansestadt Hamburg - Senatskanzlei -, Convent Verlag, Hamburg 2003, 200 Seiten, € 25,- ISBN 3-934613-44-6.

Ein wenig betrübt, Ihre Marion. Ein Briefwechsel aus fünf Jahrzehnten. Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius

Ein Briefwechsel aus fünf Jahrzehnten - die spannungsreich-produktive Freundschaft von Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius

Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius - fast vierzig Jahre lang haben diese beiden Persönlichkeiten intensiv miteinander gearbeitet und gestritten, zum Nutzen und Frommen der ZEIT. Die Hamburger Wochenzeitung verdankt ihr Profil diesen beiden denkbar gegensätzlichen Menschen: Gräfin Dönhoff, über viele Jahre Redakteurin, Chefredakteurin und Herausgeberin, zeichnet sich durch Ausdauer, Stetigkeit und vorwärtsdrängende Gradlinigkeit aus, der ZEIT-Verleger Bucerius hingegen gilt als sprunghaft, spontan, stark emotional. Der nun vorliegende Briefwechsel dieser beiden gewährt Einblick in eine jahrzehntelange "kühle und zugleich intensive Partnerschaft, die der Schlüssel zum Erfolg der ZEIT wurde", wie die Herausgeber Haug von Kuenheim und Theo Sommer schreiben.

In dem Band Ein wenig betrübt, Ihre Marion mit mehr als 160 Briefen spiegelt sich die Auseinandersetzung darüber wider, was eine Wochenzeitung wie die ZEIT zu sein habe, welchen Werten und Maßstäben und Niveau-Kriterien sie sich verschreiben solle, was ihre politischen Positionen sein müssten. "Der Leser erhält Einblick in eines symbiotische, doch zugleich auch antagonistische Beziehung. Manche Briefe drücken schiere gegenseitige Aversion aus, andere kennzeichnet eine rührende Zuneigung", so die Herausgeber.

Ein wenig betrübt, Ihre Marion bietet die Geschichte zweier herausragender Persönlichkeiten und Wegmarken der deutschen Pressegeschichte in einem. Der Briefwechsel macht die spannungsreich-produktive Freundschaft von Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius deutlich: Jahrzehntelang erfanden, ja erstritten sie jede Woche die ZEIT neu.

Ein wenig betrübt, Ihre Marion, Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius. Ein Briefwechsel aus fünf Jahrzehnten, herausgegeben von Haug von Kuenheim und Theo Sommer, Siedler Verlag, Berlin 2003, 304 Seiten, zahlreiche Abbildungen, € 22,-, ISBN 3-88680-798-3.





 

Für die Zukunft gerettet - Orgeln in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Reiseführer.

Dass sechsunddreißig historisch bedeutsame Orgeln in Mecklenburg-Vorpommern wieder erklingen, verdankt sich einer gemeinsamen Aktion: Zusammen haben die beiden Landeskirchen und die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie die Hermann Reemtsma Stiftung und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Restaurierung der Instrumente ermöglicht. Orgeln in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Zukunft gerettet - ein ebenso praktischer wie informations- und bilderreicher Reiseführer des Hamburger Abendblattes – stellt das Orgel-Restaurierungsprogramm und seine hörbaren Ergebnisse vor.

Das nützliche und sachkundige Buch bietet Fakten zu den einzelnen Orgeln, schildert den musik- und kulturhistorischen Hintergrund zu Instrumenten und Kirchen, nennt Wege und Adressen, weist auf Konzerte und Gottesdienste hin. Veranstaltungshinweise und Anfahrtsskizzen animieren zu Orgelreisen auf eigene Faust. Mit diesem Reiseführer wird das Engagement zum Erhalt der Orgeln in Mecklenburg-Vorpommern sichtbar, er erschließt einen wichtigen Aspekt dieser bemerkenswerten klingenden Kulturlandschaft.

Matthias Gretzschel
Orgeln in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Zukunft gerettet. Ein Reiseführer. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der ZEIT-Stiftung, 144 Seiten mit 75 farbigen Fotos, 2 Übersichtskarten, 36 Kartenausschnitten, Hamburger Abendblatt, Hamburg 2003, € 12,50, ISBN 3-921305-26-8.

Hochschulstandort Deutschland - Rechtlicher Rahmen - Politische Herausforderungen

Lob der Ungleichheit
Diese Veröffentlichung des Instituts für Stiftungsrecht an der Bucerius Law School versammelt die Beiträge eines Hamburger Symposiums zu Perspektiven von Stiftungshochschulen vom Herbst 2002. Namhafte Wissenschaftspolitiker, Hochschulpraktiker und Juristen loten die Perspektiven von Stiftungshochschulen aus, loben den wachsenden Hochschulwettbewerb und die Anstrengungen, das deutsche Hochschulwesen aus seinen Verkrustungen zu befreien. Allerdings weist Hamburgs Wissenschaftssenator Jörg Dräger auf einen Makel hin: Die Entstaatlichung der Hochschulen sei staatlich verordnet – also eine Revolution von oben. Auch Klaus von Trothas „Bewegungsmeldungen“ zu den Umbruchtendenzen in der deutschen Hochschullandschaft fallen ambivalent aus: Die Universitäten litten nicht an zu wenig Ideen, sondern an zu viel Beharrungsvermögen. Notwendig seien privatrechtliche Hochschulen, die qualitativ und quantitativ mit klassischen Universitäten vergleichbar wären. Bedarf es dazu der Stiftungshochschule, und welchen Stellenwert hat diese Rechtsform für das Ziel, die Hochschulautonomie zu erhöhen?

Das vielstimmige Buch mit seinen fundierten Beiträgen ist auf der Höhe der derzeitigen Hochschuldebatte – während sich die Universitätspräsidenten von einer Verfassung als Stiftungshochschule mehr Attraktivität für private Geldgeber versprechen, betonen die Rechtswissenschaftler vor allem die psychologische Dimension der Stiftungsrechtsform.

Hochschulstandort Deutschland, Rechtlicher Rahmen - Politische Herausforderungen,
Kämmerer/Rawert (Hrsg), Bd. 2 der Schriftenreihe des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen, Carl Heymanns Verlag, Köln, 2003, 201 Seiten, € 60,- , ISBN 3-452-25453-4
















 

Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit

Die Bucerius-Biographie leistet beides: Sie berichtet vom Leben einer prägenden Persönlichkeit, zugleich ist sie eine kluge Revue der Geschichte des 20. Jahrhunderts der Bundesrepublik.
"Ralf Dahrendorfs Biographie zeigt das persönliche, wirtschaftliche, politische und journalistische Netzwerk des "rechten Liberalen" (Dahrendorf) und Vollblutunternehmers in seinen staunenswerten Facetten und oft verblüffenden Widersprüchen auf", so Matthias Wegner in seiner Rezension der Biographie des "leidenschaftlichen Ruhestörers" Bucerius in der Neuen Zürcher Zeitung. Dieser Biographie "ist zu vertrauen", urteilt Jürgen Busche - Ralf Dahrendorf führe alle sichtbaren Züge dieses Lebens auf," maßgerecht und menschengerecht.

Ralf Dahrendorf, Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit, 301 Seiten, 47 Abbildungen, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a. Main, € 12,90; ISBN 3-596-15942-3

”Sehnsucht habe ich immer nach Hamburg ...” Johannes Brahms und seine Vaterstadt. Legende und Wirklichkeit.

" Ich bekomme immer Sehnsucht, wenn ich recht an Hamburg denke und fühle mich immer in gewisser Weise besonders glücklich, wenn ich dort bin und laufe auf den altbekannten Wällen und in den Straßen umher." So schwärmte der 22jährige Brahms in einem Brief an Clara Schuhmann 1855.
Noch der 62jährige Pianist bekennt gegenüber Richard Barth: "Ich bin ein recht altväterischer Mensch und es verlangt mich oft nach der Heimat."

Diese im Abstand von 40 Jahren gesprochenen Bekenntnisse verdeutlichen die Liebe von Johannes Brahms zu seiner Vaterstadt Hamburg.
Der Leser erfährt aufschlussreiche Einzelheiten aus Brahms Familie und zu seiner persönlichen Entwicklung. Die Wiedergabe vieler Dokumente wie Fotos, Programmzettel, Zitate und die Darstellung der in Hamburg komponierten und uraufgeführten Werke geben davon Zeugnis.

Die Ausführungen von Kurt Hoffmann, Gründungsmitglied der Johannes-Brahms-Gesellschaft Internationale Vereinigung, verdeutlichen mit welcher Liebe Brahms an seiner Vaterstadt hing.

Kurt Hofmann, "Sehnsucht habe ich immer nach Hamburg ..."Johannes Brahms und seine Vaterstadt. Legende und Wirklichkeit, 159 Seiten, € 18,90, Dialog Verlag, Reinbek 2003, ISBN 3-923707-33-9.

„Gott zu Ehren, der Armut zum Besten“. Hospital zum Heiligen Geist und Marien-Magdalenen Kloster in der Geschichte Hamburgs.

Blick auf Hamburgs älteste Stiftung - 775 Jahre eindrucksvolle Kontinuität

Die Geschichte des Hamburger Hospitals zum Heiligen Geist reicht zurück bis in das Jahr 1227 - ihr Credo "Gott zu Ehren, der Armut zum Besten" ist auch der Titel von Frank Hatjes Porträt der ältesten Stiftung der Hansestadt.

Bürgerverantwortung spielt in Hamburg seit jeher eine große Rolle - in sozialen und kulturellen Belangen oder im Bildungsbereich. Bürgerschaftliches Engagement reagiert dabei auch in selbstverständlicher Allianz mit der Kirche auf soziale Missstände. Wie das Beispiel des Hospitals zum Heiligen Geist verdeutlicht, widmete es sich doch der Altenfürsorge und -pflege mit eindrucksvoller Kontinuität.

"775 Jahre sind ein unbezweifelbarer Ausweis von Dauerhaftigkeit", so der Hamburger Historiker Hatje, der die Geschichte der Stiftung sorgsam untersucht hat. Für Hatje belegt die Arbeit des Hospitals, dass die Stiftungskultur in ein allgemeines gesellschaftliches Klima der Verantwortung für das Gemeinwohl eingebettet sein muss. Etwas "Gott zu Ehren, der Armut zum Besten" zu tun und Not zu lindern - die lange Geschichte des Hospitals belegt die ungebrochene Wirksamkeit einer Idee, der gute, barmherzige Taten gefolgt sind: Bürgersinn und Nächstenliebe sind in Hamburg eine vielhundertjährige Verbindung eingegangen.

Frank Hatje, "Gott zu Ehren, der Armut zum Besten". Hospital zum Heiligen Geist und Marien-Magdalenen-Kloster in der Geschichte Hamburgs vom Mittelalter bis in die Gegenwart, 735 Seiten, Convent Verlag, Hamburg 2002, € 39,90, ISBN 3-934613-47-0.

Hamburg. Die Stadt im 20. Jahrhundert

Hamburg. Die Stadt im 20. Jahrhundert - extreme Geschehnisse und Erfahrungen

Das 20. Jahrhundert wird wohl ein Stachel bleiben, haben doch die Menschen dieses Jahrhunderts den Anspruch erhoben, zivilisiert und kultiviert zu sein, dann brutal die Werte und Güter der Zivilisation und Kultur vernichtet - aber auch Neues aufgebaut, nicht zuletzt in Wissenschaft und Technik. Die Zivilisation hat sich trotz des Zivilisationsbruchs erstaunlich behauptet. Deshalb gilt das vergangene Jahrhundert als "Jahrhundert der Extreme". Die Ausstellung "Hamburg im 20. Jahrhundert" im Museum für Hamburgische Geschichte zeigt diese Extreme im Kleinen, im Erfahrungsraum einer Stadt. Sie bietet die Gelegenheit, ganz nah heranzugehen an ein Jahrhundert, das zwar kaum vorüber, aber damit bereits historisch ist.

Das Buch Hamburg. Die Stadt im 20. Jahrhundert ergänzt die Ausstellung: Umfangreich und üppig bebildert, führt es die Leser in zwölf Kapiteln vom Kaiserreich bis zum Ende des Milleniums - von damals, als Hamburg den größten Hafen des Deutschen Reiches hatte, bis heute, wo die Stadt zur modernen Dienstleistungsmetropole in einem weit gehend vereinten Europa geworden ist. Essays von Fachautoren handeln von der Musikstadt und der Wohnstadt Hamburg, der Bildung und dem Theaterleben ebenso wie der Hafenentwicklung und den Visionen von Hamburg - diese Texte ergänzen und kommentieren die Fülle der Bilder. Dieses informations- und bilderreiche Buch macht neugierig auf einen Besuch in der Dauerausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte.

Ortwin Pelc, Hamburg. Die Stadt im 20. Jahrhundert, 240 Seiten, 300 Abbildungen, Convent Verlag, Hamburg 2002, € 29,90, ISBN 3-934613-47-0.

Matrosenanzug - Davidstern. Bilder jüdischen Lebens aus der Provinz

Zerrissene Geschichte - Bewegende Bilder vom jüdischen Leben in der Provinz

Wie lebten jüdische Deutsche in der schleswig-holsteinischen Provinz? Und was erlebten sie in der Zeit zwischen Kaiserreich und früher Bundesrepublik, wie sah ihr Alltag vor und nach 1933 in Deutschland und im Exil aus? Diese Fragen beantwortet der Bildband Matrosenanzug - Davidstern durch eine Fülle von Fotografien und einbettende historische Informationen. Zudem erzählt er acht exemplarische Familiengeschichten, die in der Art eines Fotoalbums aufbereitet werden. Matrosenanzug - Davidstern zeigt die Assimilations- und Partizipationsbestrebungen der norddeutschen Juden und die Vielfalt jüdischen Lebens ebenso deutlich wie die brutale Definitionsmacht des nationalsozialistischen Regimes: Wer den Matrosenanzug trug, sich kleidete wie alle Deutsche, musste schon wenig später durch das zwangsweise Tragen des Davidsterns seine Stigmatisierung sichtbar machen.

Das von Gerhard Paul und Bettina Goldberg zusammengestellte Fotomaterial erzählt konzentrierte, bewegende Bildergeschichten voller Zerrissenheit: Dazugehörigkeit und Verfolgung, Integration und Segregation stehen unauflösbar nebeneinander.

Gerhard Paul/Bettina Goldberg, Matrosenanzug - Davidstern. Bilder jüdischen Lebens aus der Provinz, 356 Seiten, 600 Abbildungen, Wachholtz Verlag, Neumünster 2002, € 50,-, ISBN 3-529-06144-1.

Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland ”Bildung und Kultur”

Von Höhen und Tiefen - Der Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland zeigt Bildung und Kultur

Der Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland Bd. 6 "Bildung und Kultur" kartografiert die Bildungs- und Kulturlandschaft unseres Landes und berührt dabei viele aktuelle Fragen: Wie und von wem werden die vielschichtigen Bildungseinrichtungen in Deutschland genutzt? Welche Bedeutung wird den kulturellen Angeboten, wie Kunst, Musik und Theater beigemessen? Wie steht es um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Forschung?

In über 60 thematischen Beiträgen entfaltet sich die Landschaft des Bildungswesens und des kulturellen Lebens in Deutschland. Im Bereich Bildung kommen Themen wie Chancengleichheit, Qualifikationsmöglichkeiten und Arbeitslosigkeit zur Sprache; andere Beiträge widmen sich dem kulturellen Sektor, zeigen die Entwicklung der gelebten Kultur, aber auch der Baukunst und die Bedeutung von Denkmälern.

Der Nationalatlas "Bildung und Kultur" vermisst die deutsche Bildungs- und Kulturlandschaft, erfasst sie in ihrer föderalen Struktur, in ihren Traditionen, Innovationen und Besonderheiten - und macht durch eine Fülle von Karten, Statistiken und Erläuterungen die Vielfalt hiesiger Bildungs- und Kulturleistungen sichtbar.

Institut für Länderkunde, Leipzig (Hrsg.), Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland
Bd. 6 "Bildung und Kultur"
, 182 Seiten (50% Karten, 25% Abbildungen, 25% Text), Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 2002, € 84,-, ISBN 3-8274-0947-0.

Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg der Aufklärung - Hamburg und Altona als Beispiel

„Die Zeitung als wichtigstes, die Aufklärung vorbereitendes Medium“ – eine umfassende, zweibändige Pressegeschichte Hamburgs

Die erste Zeitung erscheint 1605 zwar in Straßburg, doch zur gleichen Zeit arbeitet man auch in Hamburg an der Herstellung dieses neuen Mediums. Die Hansestadt ist Deutschlands erste Pressestadt, und so lässt sich die Pressegeschichte Hamburgs zugleich auch als deutsche Pressegeschichte lesen - von der ersten kalenderartigen Schrift im 15. Jahrhundert bis zum Jahr 1815. Welche Bedeutung hatten die periodisch erscheinenden Schriften für die Herausbildung von Information und Kommunikation? Und welche Rolle spielten sie bei der Bewusstseinsbildung der Leser? Ging es dabei vornehmlich um literarische oder politische Inhalte?

„Die Zeitung markiert den Anfang einer regelrechten Eroberung der Welt“, so Holger Böning, Professor für die Geschichte der deutschen Literatur und Presse an der Universität Bremen. Er stellt seine Forschungsergebnisse zur Hamburger Pressegeschichte in zwei akribisch recherchierten Bänden vor und resümiert mit Blick auf das 17. Jahrhundert, dass „die qualitative und quantitative Bedeutung periodischer Schriften zumeist grob unterschätzt“ werde. Tatsachlich aber müsse die Zeitung als wichtigstes, die Aufklärung vorbereitendes Medium angesehen werden. Das neue aufklärerische Denken habe sich bereits im 17. Jahrhundert vorbereitet. Bönings Welteroberung durch ein neues Publikum verdeutlicht die belebende Wirkung der Konkurrenz von Hamburg und Altona und belegt die Ausstrahlung der „stolzen, in ganz Europa gelesenen Hamburger und Altonaer Zeitungen.“ Bis 1815 erscheinen hier 1.250 periodische Schriften – eine historische Quelle ersten Ranges. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts bilden die Zeitschriften ein „entscheidendes Übungsfeld öffentlichen Räsonnements und Orte der Selbstaufklärung.“ Bönings Fazit: „Die Hamburger Presse kann mit Fug als eine Art erstes Parlament der Hansestadt bezeichnet werden.“

Holger Böning, Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg der Aufklärung – Hamburg und Altona als Beispiel, 316 Seiten, edition lumière, Bremen 2002, € 34,-, ISBN 3-934686-08-7; ders., Periodische Presse. Kommunikation und Aufklärung – Hamburg und Altona als Beispiel, 525 Seiten, edition lumière, Bremen 2002, € 39,- ISBN 3-934686-09-5.