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Daten sammeln für den guten Zweck – geht das?

Über einen positiven Umgang mit Daten diskutierten die Datenjournalistin Anna Behrend, der Physiker Dirk Brockmann und Johannes Müller von CorrelAid.

Der Morgen beginnt mit einem Schock: Der von der Kaffeemaschine durch Gesichtserkennung automatisch zubereitete Milchkaffee entpuppt sich als ungenießbare Brühe. Die Maschine wurde gehackt, nachdem zusätzliche Ausgaben für digitale Schutzmaßnahmen nicht nötig schienen. Der Protagonist tröstet sich mit einem Blick auf die potenziellen Einnahmen durch sein Prosumenten-Profil. Großkonzerne bieten dort Höchstpreise für uneingeschränkten Zugang zu persönlichen Daten. Eine Vogelschutz-Organisation möchte die Hintergrundgeräusche von Telefondaten auswerten, kann jedoch finanziell nicht mithalten.

Mit diesem Szenario macht Theresa Hannig den Auftakt zur zweiten Session der Reihe Rasender Stillstand „Daten: Gläsern für den guten Zweck?“. Die Leitfragen: Wie kann ein positiver Umgang mit Daten gelingen? Und welche Voraussetzungen brauchen wir für einen gleichermaßen pragmatischen wie vertrauensbildenden Datenschutz?

Darüber diskutierten:

  • Anna Behrend, Datenjournalistin, Norddeutscher Rundfunk
  • Dr. Dirk Brockmann, Physiker, Professor am Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin und Arbeitsgruppenleiter am Robert Koch-Institut
  • Johannes Müller, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender, CorrelAid e.V

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Potenziale der Datensammlung und -analyse liefert die von Dirk Brockmann initiierte Datenspende-App, die ins Leben gerufen wurde, um die gesundheitlichen Folgen einer Corona-Erkrankung zu untersuchen und Vorhersagen zu ermöglichen. Brockmann beschreibt die App als „Fieberthermometer für Deutschland“: Durch Wearable Devices können die Nutzer:innen gesundheitsrelevante Daten wie Schlafzeiten und Ruhepuls übermitteln. Den Erfolg des CitizenScience-Projekts, an dem bis zu 500.000 Menschen in Deutschland teilnahmen, erklärt sich Brockmann unter anderem durch eine transparente Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Bürger:innen wurden im Blog des Projekts über aktuelle Arbeitsschritte und Ergebnisse informiert und konnten sich mit Vorschlägen und Anliegen an das Team wenden.

Daten sind erst einmal nutzlos – bis man sie in etwas Konstruktives verwandelt

Auch der Datenjournalismus erfuhr durch die Pandemie einen Boom, beschreibt Anna Behrend. Noch nie hätte es einen tagesaktuellen Gegenstand der Berichterstattung gegeben, der in solchem Maße datengetrieben war. Zu den Ergebnissen zählten unter anderem die inzwischen allseits bekannten Dashboards auf Medienseiten, die beispielsweise aktuelle Corona-Zahlen oder Klimadaten anzeigen und visualisieren. Gleichzeitig betont die Journalistin, die eigentliche Kernkompetenz ihres Berufs nach wie vor in der Einordnung von Daten zu sehen. Auch Brockmann betont, dass Daten für sich genommen nutzlos seien, solange sie nicht dazu beitragen, Prozesse besser zu verstehen. Gleichwohl glaubt Anna Behrend nicht, dass das Potenzial des Datenjournalismus sich allein auf die Pandemie beschränke. Als weitere Beispiele nennt sie die Analyse von Klimadaten, Dynamiken in den sozialen Medien oder Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten.

Wie Tafeln mit Wetterdaten Lebensmittelverschwendung vermeiden können

Datenkompetenzen mit sinnvollen Anliegen zu verbinden – das ist auch das Ziel von Johannes Müller. Mit seinem Verein CorrelAid e.V. berät er gemeinnützige Einrichtungen. Ein Beispiel: Eine Korrelation von Erfahrungswerten der vergangenen Jahre mit Wetterdaten ermöglicht es der „Tafel“, den Bedarf an Lebensmitteln in naher Zukunft genauer vorherzusagen. Müller betont: Bei Optimierung müsse es nicht um Profit und kommerzielle Motive gehen. Ebenso könne sie zivilgesellschaftlichen Organisationen helfen, ihre Arbeit besser zu machen. Eine Herausforderung sieht er darin, Data Scientists und Vertreter:innen entsprechender Einrichtungen zusammenzubringen. Denn Datengeber:innen wissen oft nicht, welche Daten relevant sind, und Datenverwerter:innen wiederum nicht, welche Daten zur Verfügung stehen.

Warum herrscht in Deutschland ein so großes Grundmisstrauen in Bezug auf Daten, obwohl es zahlreiche positive Anwendungsbeispiele gibt? Zum einen ist der Missbrauch von Daten zu kommerziellen Zwecken im öffentlichen Diskurs sehr präsent. Zum anderen gilt „Datenschutz“, insbesondere in Deutschland, als Reizwort. Das sei jedoch nicht nötig, hebt Dirk Brockmann hervor. Er wünscht sich, dass Datenschutz als konstruktiver und positiver Prozess verstanden wird. Wie beim Umweltschutz ginge es darum, etwas Schützenswertes zu bewahren.

Datenschutz darf keine Ausrede sein

Die Vermeidung jeglicher Datenerhebung bezeichnet er dagegen als „Datenschützerschutz“, der vor allem dazu diene, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Auch Anna Behrend bestätigt, dass Datenschutz häufig als Vorwand genutzt würde, um sich nicht mit einem angemessenen Umgang mit Daten beschäftigen zu müssen – selbst dann, wenn gar keine personenbezogenen Daten abgefragt würden. Oft fehle in Behörden schlicht die Expertise, um Daten so bereitzustellen, dass sie nützlich, aber geschützt sind. Für die Zukunft wünscht sie sich Informationsfreiheitsgesetze in allen Bundesländern.

Johannes Müller formuliert eine weitere Vision: Er hofft, dass NGOs die Digitalisierung mitgestalten können, indem jeder zivilgesellschaftlichen Einrichtung – von der freiwilligen Feuerwehr bis hin zum Bund für Umweltschutz – Datenspezialist:innen zur Verfügung stehen. Auf diese Weise könnten Sie auf Augenhöhe mit der Wirtschaft agieren und nicht-kommerzielle Zwecke der Datennutzung populärer machen. Dirk Brockmann wünscht sich, dass Citizen Science zum neuen Standard und, damit einhergehend, die Möglichkeit von Vertrauen zum Normalfall wird.

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"Rasender Stillstand“ heißt eine digitale Reihe mit Gesprächen zur Mittagspause, die das Bucerius Lab der ZEIT-Stiftung gemeinsam mit Holtzbrinck Berlin und Wissenschaft im Dialog initiiert hat. Gäste aus Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft beleuchten in einer moderierten Diskussion aktuelle Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen, geben Impulse und steuern Lösungsansätze bei. Die Zuschauer:innen können Fragen stellen und mitdiskutieren.

Alle Videos der Reihe finden Sie in der Rasender Stillstand-Playlist, außerdem gibt es eine Zusammenfassung der aktuellen Staffel in Textform.