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Warum Tablets allein nicht reichen

Wie kann digitale Bildung Schüler:innen und Gesellschaft weiterbringen? Darüber diskutierten drei Expert:innen in unserer Reihe "Rasender Stillstand".

Eine Schule, in der es keine Aufteilung nach verschiedenen Unterrichtsfächern mehr gibt, dafür aber Schüler:innen, die ihre Lerninhalte selbst bestimmen und intrinsisch motiviert erarbeiten. Ein Schulalltag ohne stundenlanges Auswendiglernen lexikalischen Wissens, dafür die dauerhafte Unterstützung aller Schüler:innen durch eine persönliche künstliche Intelligenz, die den Lernfortschritt individuell aufzeichnet und Hilfestellung bietet.

Mit diesem Zukunftsszenario, entworfen von der Autorin Theresa Hannig, beginnt die dritte Session von „Rasender Stillstand“ – Digitale Bildung: Warum Hardware nur der Anfang ist. Dabei fragen wir, wie Bildung im digitalen Raum gestaltet werden kann, und zwar weit über Unterricht per Videokonferenz hinaus? Und wie kann digitale Kreativität statt passivem Konsum gefördert werden?

Mitdiskutiert haben:

  • Henning Beck, Neurowissenschaftler und Autor, unter anderem von “Das neue Lernen heißt Verstehen”
  • PD Dr. Kerstin Drossel, AG Schulpädagogik, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Paderborn
  • Dario Schramm, Governmental Affairs Manager der Lern-App simpleclub und ehemaliger Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz

Utopien für die Zukunft der digitalen Bildung mit allen Beteiligten zu entwickeln, dafür wirbt die Expertin für empirische Schul- und Bildungsforschung PD Dr. Kerstin Drossel. Sie hält diese Zukunftsbilder für unbedingt notwendig, um der ständigen technischen Weiterentwicklung entgegenzutreten und langfristig gute, digitale Bildung zu etablieren. Dabei gebe es kein allgemeingültiges Erfolgsrezept, die Bedürfnisse der Schulen sind individuell unterschiedlich und nachhaltige Lösungen müssten sich an diesen Bedürfnissen orientieren.

Kerstin Drossel fordert, Schüler:innen in die Entwicklung digitaler Bildungskonzepte als Expert:innen miteinzubeziehen und schul- sowie länderübergreifende Netzwerke zu stärken, um voneinander zu lernen. Sie stellt die Problematik der vielfältigen Anforderungen an Lehrkräfte dar – diese sind nicht dafür ausgebildet, digitale Konzepte zu entwickeln. Stetige Lehrkräfteprofessionalisierung sei deshalb notwendig, um digitale Bildung erfolgreich zu gestalten, hierfür müssten feste Arbeitszeit eingeplant werden. Kerstin Drossel räumt außerdem mit dem Gerücht auf, dass es sogenannte Digital Natives gibt.

Es gibt keine Digital Natives

Nur, weil Schüler:innen heute mit verschiedenen technischen Endgeräten aufwachsen, bedeute das nicht, dass sie automatisch reflektiert mit diesen Geräten umgehen. Sie zieht eine Parallele zum Autofahren – das Bestehen der Führerscheinprüfung stellt die Grundvoraussetzung dar und lebenslanges Lernen ist durch technische Weiterentwicklung von Autos notwendig. Vielleicht wäre die Einführung eines Führerscheins für digitale Grundkompetenzen hilfreich?

Der ehemalige Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz Dario Schramm findet an dieser Idee Gefallen und beschreibt, dass besonders die Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutlichen, wie anfällig junge Menschen für Falschinformationen sind. Er merkt an, dass mögliche Zertifizierungen allerdings nicht dazu führen dürfen, die Digitalisierung als Status Quo zu verstehen. Sie müsse als stetig verändernder Prozess begriffen werden.

Dario Schramm, der während der Pandemie Abitur machte, beschreibt die vielseitigen Anforderungen an Lehrkräfte, die gleichzeitig als IT-Systemadministrator:innen und Pädagog:innen fungierten und dabei die digitale Bildung revolutionieren sollten. Er macht außerdem auf viele bis heute ungeklärte Fragen bezüglich des Datenschutzes aufmerksam. Er fordert hierfür eine enge Zusammenarbeit mit Datenschutzexpert:innen. Zusätzlich könnten sogenannte „Whitelists“ dafür sorgen, dass alle Lehrkräfte wissen, welche Tools und Programme sie ohne Bedenken einsetzen dürfen.

Die Bedeutung des Analogen in einer digitalen Welt

Dario Schramm verdeutlicht, dass digitaler Unterricht allein nicht die Zukunft der Bildung sein kann: „Es wird dann schwierig, wenn man versucht, alles in den digitalen Bereich zu drücken. So kann Schule nicht funktionieren, denn am Ende ist gerade bei Jüngeren auch Bindung und das Miteinander das Wichtigste, das es an der Schule gibt.“ Dr. Henning Beck, Neurowissenschaftler und Autor, wirbt ebenfalls für hybride Mischformen. „Wissen besteht in der Fähigkeit unseres Denkens, sich mit Problemen auseinanderzusetzen“, sagt er.

Wissen zu erlangen gelingt also nur, wenn Menschen aktiviert werden. Im Gehirn sind die für Gedächtnis und Erinnerung zuständigen Areale ebenfalls für die Fähigkeit des räumlichen Kartierens verantwortlich. Menschliches Denken verläuft in räumlichen Strukturen, persönlicher Austausch und Lernorte sind dabei entscheidend. Jedes Medium birgt Vor- und Nachteile, der Einsatz sollte demnach bewusst gewählt werden.

Datenschutz kann der Gefahrenabwehr dienen

Auf die Frage, ob das Alter der Schüler:innen entscheidend für den Einsatz digitaler Medien ist, antwortet Beck: „Es ist nicht so, dass wir auf die Welt kommen und dazu geboren sind, auf zweidimensionalen Glasscheiben hin und her zu wischen. Je weiter das Alter voranschreitet und je theoretischer das Wissen wird, desto mehr kann ich das gut digital ergänzen.“ Henning Beck stimmt außerdem Dario Schramm zu, dass ein sensibler Umgang mit Daten von Schüler:innen unbedingt notwendig ist, auch um potentielle Gefahren zu vermeiden, beispielsweise durch die profitorientierte Nutzung der Daten durch Recruiting-Unternehmen.

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Am Beispiel von Singapur unterstreicht Beck außerdem die Forderung nach Lehrkräfteprofessionalisierung von Kerstin Drossel: Dort erhält jede Lehrkraft jährlich 100 Fortbildungsstunden, das entspricht rund zwei Wochenstunden. Er sieht im internationalen Austausch eine große Chance, um voneinander zu lernen, denn die Digitalisierung stellt das Bildungssystem weltweit vor Herausforderungen.

Schulleiter:innen als Schlüssel zum digitalen Erfolg

In der Abschlussrunde fragt Moderatorin Dr. Anna-Lena Scholz die drei Gesprächsgäste nach einer entscheidenden Akteursgruppe, die wirklich etwas verändern kann, und auf die man sich politisch konzentrieren sollte. Die Gäste sind sich einig, dass die Schulleitungen der Motor für Veränderung und Schulentwicklung sind. Gleichzeitig sollten Schüler:innen und Lehrkräfte mit ihren individuellen Stärken in den Prozess einbezogen werden, um gute digitale Bildung im Schulsystem nachhaltig zu etablieren.

„Rasender Stillstand“ heißt eine digitale Reihe mit Gesprächen zur Mittagspause, die das Bucerius Lab der ZEIT-Stiftung gemeinsam mit Holtzbrinck Berlin und Wissenschaft im Dialog initiiert hat. Gäste aus Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft beleuchten in einer moderierten Diskussion aktuelle Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen, geben Impulse und steuern Lösungsansätze bei. Die Zuschauer:innen können Fragen stellen und mitdiskutieren.

Alle Videos der Reihe finden Sie in der Rasender Stillstand-Playlist, außerdem gibt es eine Zusammenfassung der aktuellen Staffel in Textform.