Lagerfeuer in echt. Unschlagbar.

Das Metaverse verspricht, uns ortsunabhängig über alle Distanzen zusammenführen zu können.

VON EVA WOLFANGEL

Das Metaverse verspricht, uns ortsunabhängig über alle Distanzen zusammenführen zu können. Ist es also egal, ob wir in ferner Zukunft in der Stadt oder auf dem Land leben? Autorin Eva Wolfangel meint: Solange das Beamen nicht erfunden ist, kann die materielle Realität nichts ersetzen.

Meine technophile Filterblase, oje! „Dank moderner Technologie ist es doch völlig egal, wo man wohnt!“ In meinem persönlichen Umfeld höre ich es immer wieder: Die Pandemie habe doch gezeigt, dass digitale Alternativen zu physischen Treffen gut funktionieren. Wieso nicht günstig auf dem Land leben, wo die Luft besser und die Natur schöner ist und überhaupt die Menschen glücklicher sind? Dank digitaler Kommunikation und wunderbarer Videokonferenzen verpasst man im Homeoffice doch nichts.

Und es kommt noch besser: Schließlich steht das Metaverse vor der Tür! Das Metaverse ist diese virtuelle Welt, die sich anfühlt wie echt. Wer beispielsweise Facebook- Chef Mark Zuckerberg zuhört, könnte glauben, dass künftig alles möglich ist – ganz egal, an welchem analogen Ort der Welt man sich befindet. London, New York, Paris, Unterammergau oder Alt Zauche-Wußwerk: Wir alle leben bald in einer virtuellen Welt, in der wir uns jederzeit treffen können, wann und mit wem wir wollen.

Das virtuelle und das analoge Leben mischen sich. Ich kann meine Arbeitskolleg:innen mitsamt Büro-Atmosphäre mittels Augmented Reality (AR), also erweiterter Realität, in mein Homeoffice aufs Land holen. Ich kann mich als Hologramm in ein romantisches Café in ein italienischen Städtchen beamen und dort einen Freund zum Schachspielen treffen. Wer Zuckerbergs Keynote zum Metaverse anschaut, sieht solche Szenen und fängt an, von dieser Zukunft zu träumen.

Wie genau das technisch geht, darüber schweigt sich der Facebook-Chef aus. Die verlockende Idee mit dem Hologramm erweist sich bei genauerem Hinsehen als technisch unrealistisch, ebenso die per AR herbeigezauberten Kolleg:innen. Aber es gibt Vorläufer dieses Metaverse, die durchaus überzeugend sind. Die soziale virtuelle Realität zum Beispiel könnte das sein, was von der Metaverse- Idee übrig bleibt.

Als ich diese Realität vor etwa sieben Jahren entdeckt habe, war ich überzeugt, dass unsere materielle Realität an Bedeutung verlieren wird. So real war das Gefühl in den virtuellen Welten, so „echt“ die Begegnungen. Ich setzte ein Virtual-Reality-Headset auf und befand mich in einer anderen Welt. Ich wusste zwar rein rational, dass diese dreidimensionalen Räume lediglich Pixel vor meinen Augen waren, aber mein Gehirn sagte: Du bist woanders. Alles hier gehorchte den gewohnten Gesetzen der Physik – mein biologischer Körper ging in meinem Zimmer auf und ab, mein virtuelles Ich als mein Avatar mit blauem Kleid ging in einer Welt mit Lagerfeuer, Sternenhimmel und beeindruckender Natur auf und ab. Ich traf Menschen aus aller Welt, die ich später auch real besuchte – in Kuwait City, Jerusalem, an der US-Westküste und in Atlanta. Und stellte fest: Ja, diese Menschen sind, wie ich sie kenne. Die virtuelle Realität ist echt. Gab es einen Grund, weiterhin zu reisen?

Meine neuen Freund:innen hatten alle gute Gründe, sich virtuell zu treffen: Eine hatte Sozialphobie und konnte keine Menschen im echten Leben treffen, eine hatte aufgrund ihrer Religion wenige Freiheiten im echten Leben, einer lebte beruflich in einer gefährlichen Gegend und konnte seine Familie nicht um sich haben und einer war schwer krank, so dass er sein Haus kaum verlassen konnte. Die Vision des Metaverse verspricht, die Möglichkeiten des virtuellen Zusammenlebens zu verbessern und die analoge und die materielle Welt miteinander zu verbinden. In Zuckerbergs Keynote sieht man, wie Freunde in virtuellen Welten ein Spiel spielen, während andere aus der materiellen Welt in einer Art „Videokonferenz“ dazustoßen. Das allerdings zerstört den Moment, die Immersion, das unmittelbare Zusammensein des Kreises. Es degradiert die Situation zu einer Art Videokonferenz. Und wie viel „echtes Leben“ in Videokonferenzen fehlt, das hat uns die Pandemie spüren lassen. Einmal saß ich mit meiner Freundin an einem virtuellen Lagerfeuer, als ich plötzlich schreckliche Sehnsucht nach einem materiellen Lagerfeuer bekam. Der Geruch, die Wärme im Gesicht, die kalte Brise im Rücken, die Schulter meiner Nebensitzerin an meiner: All das fehlte auf einmal schmerzlich. Meine Freundin nahm mich in den Arm, und tatsächlich konnte ich die Umarmung spüren – was freilich nicht sein kann. Aber das ist ein Effekt des Virtuellen: Unser Gehirn ergänzt fehlende Reize. Und der Rest kommt: Forscher: innen arbeiten daran, Haptik in virtueller Realität zu erzeugen. Kürzlich habe ich ein System getestet, das die Wärme eines virtuellen Feuers über das Headset ins Gesicht überträgt. Aber das alles sind Krücken.

Keine Frage: Ein virtuelles Lagerfeuer ist tausendmal besser als eine Videokonferenz, und während der Pandemie hat mich die virtuelle Realität glücklich gemacht, weil ich mit meinen Freund:innen in einem Raum zusammen sein konnte.

Doch einige reale Lagerfeuer später ist eines klar: Die soziale virtuelle Realität ist eine prima Alternative zur materiellen Realität – vor allem in Situationen, in denen die materielle Realität einen Haken hat. Wenn Freundinnen und Familie weit weg sind, wenn persönliche Begegnungen aus anderen Gründen schwierig sind, siehe Pandemie, wenn der biologische Körper zuhause ein schlafendes Baby betreuen muss. Wenn die materielle Realität hingegen rund läuft, ist sie unschlagbar. Deshalb sollte man die Entscheidung für ein Haus auf dem Land nicht unter dem Eindruck von Zuckerbergs Keynote treffen. Wer die Fülle einer Stadt vor der Tür braucht, wird trotz Metaverse auf dem Land nicht glücklich. Sollte das Beamen eines Tages aber tatsächlich erfunden werden, reden wir nochmal.

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Bild: ©Helena Ebel

Über die Autorin:

Wie leben wir in Zukunft? Das ist eine der Leitfragen von Eva Wolfangel, für die sie sich seit vielen Jahren mit Zukunftstechnologien wie künstlicher Intelligenz und virtueller Realität beschäftigt. Sie arbeitet als Autorin für viele große Magazine und Zeitungen in Deutschland und der Schweiz sowie für einige Englischsprachige. Zudem moderiert sie Panels rund um das Thema Digitalisierung. 2018 wurde sie mit dem European Science Writer of the Year Award geehrt.

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