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Ein Jahr Angriffskrieg, ein Jahr Kampf für Pressefreiheit

Im russischen Angriffskrieg liefern unabhängige Stimmen Informationen für Medien weltweit. Mit Bildern und Reportagen kämpfen sie gegen Propaganda.

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine als souveränen Staat angegriffen. Dem Überfall gingen die russische Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 und jahrelange Kämpfe im Osten der Ukraine voraus. Ein Jahr nach dem Angriff auf das ganze Land ist der Widerstand nach wie vor groß, aber auch das Leid der Bevölkerung hält an. Die Verhandlungen um Unterstützung aus dem Ausland bleiben, das Ringen um ein Gefühl der Normalität im Kriegsgeschehen bleibt, sowie der Kampf für eine freie Presse und Informationen.

Auch Informationen können bekanntlich ein essentielles Mittel im Krieg sein. Der Zugang zu ihnen bedeutet im In- wie Ausland mitunter eine Chance auf Rettung, ist nicht nur Hilfe, sondern im Zweifelsfall sogar überlebenswichtig. Aus diesem Grund haben die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die norwegische Stiftelsen Fritt Ord die Free Media Awards im Jahr 2022 ausschließlich an ukrainische Journalist:innen und Fotograf:innen verliehen. Die Free Media Awards ehren jährlich die unabhängige Arbeit von Journalist:innen, Redaktionen und Medienhäusern in Osteuropa und sollen diese ermutigen, ihre Arbeit trotz Drohungen und gewaltsamer Unterdrückung fortzusetzen. Für die diesjährigen Awards sind Nominierungen in Deutsch und Englisch noch bis zum 1. März 2023 möglich. Mehr Informationen hier.

Der Gefahr zum Trotz: Dank für ein Jahr unabhängiger Berichterstattung

Die Free Media Awards sind und waren besonders im Jahr 2022 aber nicht nur ein Zeichen der Ermutigung, sondern auch des Respekts vor dem Mut und der bedeutsamen Arbeit von ukrainischen Medienschaffenden, die für eine unabhängige Berichterstattung mitunter ihr Leben riskieren. Der konstante Druck und die Gefahr, unter der sie und freie Redaktionen auch ein Jahr nach dem Kriegsausbruch stehen, steht symbolisch dafür, wie sehr der Journalismus als tragende Säule der Demokratie in Osteuropa gefährdet ist. Wir danken den Journalist:innen, Fotograf:innen, Videograf:innen, Kriegskorrespondent:innen, aber auch den Fixern und weiteren Medienmacher:innen besonders in diesem Kriegsjahr für ihre Resilienz, ihren Mut, ihren Willen und schlussendlich für die so essentielle journalistische Arbeit, die daraus entsteht und für eine reale Demokratie grundlegend ist.

Ein Free Media Award ging 2022 an die Fotografen Mstyslav Chernov und Evgeniy Maloletka. Sie berichteten mit ihren Fotografien und Filmen vor allem über die Zerstörung der Stadt Mariupol. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielten ihre Bebilderungen von Entbindungsstationen. Kurz vor dem Jahrestag des Kriegsausbruchs teilte Chernov nun Kurzfilme über mobilitätseingeschränkte Senior:innen, die aus Donezk evakuiert wurden, aber auch von Menschen, die nach dem Abzug russischer Truppen mit ihren Familien und Freund:innen wiedervereint wurden. Sein Film „20 Days in Mariupol“ über die Zeit der Foto- und Videografen zu Kriegsbeginn in Mariupol wurde beim renommierten Sundance Film Festival 2023 als „World Cinema Documentary“ ausgezeichnet.

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Nataliya Gumenyuk erhielt im vergangenen Jahr ebenfalls einen Free Media Award. Die Journalistin und Herausgeberin ist die Gründerin des „Public Interest Journalism Lab“, das als ukrainische Medienorganisation neue Ansätze für den Journalismus entwickelt. Dazu gehört auch das Portal „Life in War“, das die moderne ukrainische Geschichte vor dem Hintergrund des Angriffskriegs für zukünftige Generationen verständlich aufbereitet. Gumenyuk selbst hat sich auf Auslands- und Konfliktberichterstattung fokussiert. Im Herbst 2022 veröffentlichte sie u.a. in der ZEIT, im britischen Guardian und der New York Times Stücke zur ukrainischen Unabhängigkeit, Siegesvisionen des Landes und Hoffnungsgefühlen in der ukrainischen Zivilgesellschaft.

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Ein redaktioneller Preis ging an das Team der Online-Zeitung „Zaborona“ (zu Deutsch: „Tabu“). Das von Chefredakteurin Kateryna Sergatskova und Roman Stepanovych gegründete Medium thematisiert bis heute gesellschaftsrelevante Themen, die in ukrainischen Medien bisher weniger Platz fanden, wie zum Beispiel Feminismus oder Rechtsradikalismus. Dabei bleiben die Mitarbeiter:innen in ihren investigativen und kritischen Berichten journalistischen Standards treu und schlagen die Brücke zwischen Kriegs- und Alltagsthemen, die schon vor dem 24. Februar 2022 bestanden. So veröffentlichten sie zuletzt einen Beitrag zu der problematischen Lebenssituation und urbanen Stadtplanung in Kyjiw, die sich durch den Angriffskrieg zum Teil verschlimmert hat und durch den einige urbane Probleme erst aufgedeckt wurden.

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Was es bedeutet, für die unabhängige Berichterstattung eine der härtesten, menschenrechtsverletzenden Konsequenzen zu erleben, muss Preisträger Vladyslav Yesypenko erfahren. Der freiberufliche Journalist ist derzeit ein politischer Gefangener auf der Halbinsel Krim und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Russische Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) hat ihn verdächtigt, Informationen für den ukrainischen Geheimdienst zu sammeln. Aufgrund dieser Annahme ist Yesypenko verurteilt worden. Zuvor berichtete er über das Leben der Krimtartaren, von Enteignungen, ökologische Krisen und Zerstörungen in der Region. Man geht davon aus, dass er gefoltert und von russischen Behörden gezwungen wurde, den russischen Pass anzunehmen. „(…) Diese Verurteilungen verdeutlichen die katastrophale Lage der Medien und einzelner Journalistinnen und Journalisten auf der Krim, wo unabhängiger Journalismus durch Verhaftungen, strafrechtliche Verfolgung, Einreiseverbote, Überwachung, Durchsuchungen, Konfiszierung von Ausrüstung, Zensur, Schikanen und Einschüchterung unterdrückt wird“, sagte die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, zu Yesypenkos Inhaftierung im Februar 2022.

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Der Preiträger Andriy Dubchak, Gründer der Plattform „Donbas Frontliner“, fängt in seinen Foto- und Videoreportagen das Leben an der Front in der Donbas-Region ein, seit dem vergangenen Jahr aber auch die Folgen der humanitären Katastrophen in der Umgebung von Kyjiw. Der ehemalige Radio-Korrespondent bleibt dabei unerschrocken, riskiert sein Leben und schafft es trotz der Herausforderungen, professionelle Berichterstattung zu leisten. Das geht weit über den aktuellen Angriffskrieg hinaus: Dubchak erinnert auf Social Media beispielsweise an seine Berichte über den Maidan, bzw. die ukrainische Revolution der Würde 2013 und 2014, an die gefallenen Aktivist:innen und den lang anhaltenden Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine.

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Für den Free Media Award wurde Dubchak von seinem Kollegen Stanislav Aseyev nominiert, der den Award 2020 erhalten hat. Aseyev war zwei Jahre lang in Gefangenschaft und hat ebenfalls Folter und Misshandlungen erfahren. Unter einem Pseudonym berichtete er zuvor aus den von prorussischen Separatist:innen besetzten Gebieten Donezk und Luhansk. In seinem 2021 erschienen Buch „Heller Weg“ schildert er seine Erfahrung aus der Kellerhaft, zu der er wegen eines Spionagevorwurfs verurteilt wurde. Aktuell berichtet Aseyev in Deutschland über seine Erfahrungen als Journalist, wie zuletzt bei einer Veranstaltung an der Bucerius Law School, oder im Deutschlandfunk, wo er die Kellerhaft mit den sowjetischen Gulag-Arbeitslagern verglich.

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Mit einer essentiellen Frage der ukrainischen Zivilist:innen beschäftigt sich der in Kyjiw lebende Historiker Kyrylo Tkachenko. Tkachenko ist Stipendien-Absolvent unseres Programms „Trajectories of Change“ im Bereich Wissenschaft und Forschung. Im Hör-Essay für den SWR fragt er: „Ob man in den Krieg ziehen soll?“ und unterlegt dies mit dem Zusatz „Tagebuch eines Feiglings“. Es geht um seine eigenen Überlegungen, um Urängste in der Bevölkerung und darum, wie sich viele Ukrainer:innen entschieden haben, zu kämpfen.