Berlin, 12. März 2025
Damit unser Staat besser funktioniert: „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ legt Konzept für Staatsreform vor
Ein Staat, der gut funktioniert, begegnet seinen Bürger:innen mit mehr Vertrauen und regelt die Dinge in der Verwaltung einfacher. Er priorisiert die Digitalisierung, bricht die Silos auf im Staat selbst, aber auch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Und er passt die Sicherheitsarchitektur der aktuellen Gefahrenlage an: Das ist der Kern des Reform-Konzepts, das die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ an diesem Mittwoch in Berlin vorgelegt hat. Der 88-seitige Zwischenbericht enthält 30 konkrete Empfehlungen, wie staatliches Handeln in vielen Bereichen besser gelingen kann. Der Bericht ist ab sofort auf der Website der Geschäftsstelle der Initiative abrufbar: www.handlungsfaehiger-staat.de .
Das Reformvorhaben ist eine gemeinsame Initiative der Medienmanagerin und Aufsichtsrätin Julia Jäkel, der ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière und Peer Steinbrück und des Staatsrechtlers und langjährigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schirmherrschaft übernommen; er hat den Zwischenbericht am Dienstag entgegengenommen. Die Initiator:innen, die unabhängig von Parteien und anderen Interessenvertreter:innen agieren, wollen mit ihrer Arbeit „dazu beitragen, Blockaden und Selbstblockaden staatlichen Handelns aufzulösen“. Finanziert und organisatorisch unterstützt wird die Initiative von vier renommierten Stiftungen: der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Fritz Thyssen Stiftung, der Stiftung Mercator und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. Die Geschäftsstelle der Initiative ist an der Berliner Hertie School angesiedelt.
„Die Welt hat sich verändert, wir können nicht mehr mit den Instrumenten der Vergangenheit steuern“, so die Initiator:innen. „Wir schlagen deshalb einige sehr grundlegende Umbauten im Maschinenraum des Staates vor.“ Füge man die 30 Empfehlungen „zu einem großen Ganzen zusammen, ergeben sie ein Konzept, das große Kraft entfalten kann“. Für eine solche Reform brauche es „eine parteiübergreifende Kraftanstrengung“.
Zu den 30 Empfehlungen zählen etwa die Schaffung eines Ministeriums für Digitales & Verwaltung; die Vereinfachung der Strukturen unserer Sozialsysteme und die Bündelung der Zuständigkeiten der sozialen Sicherung in einem oder zwei Bundesministerien; ein Konzept der Gesamtverteidigung, zu dem ein Nationaler Sicherheitsrat mit Lagezentrum und einem Krisenstab ebenso gehört wie die Zuständigkeit des Bundes für einen nationalen Katastrophenschutz; und die klarere Zuordnung von Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Generell geht es den vier Autor:innen des Berichts darum, den Staat als Ganzes zu erneuern. Bürokratieabbau etwa könne nur gelingen, wenn vieles ineinandergreife: bessere Gesetzgebungsprozesse, Vorschriften mit mehr Ausnahmen, mehr Vertrauen in Bürger:innen und Unternehmen – und ein digitaler Staat. Um diese Ziele zu erreichen, brauche es eine Kultur, die Neues möglich macht.
Wer eine große Reform des Staates anpacke, müsse die konkreten Folgen von Reformen transparent benennen. Wolle man etwa mehr Pauschalierungen, um Abläufe zu beschleunigen und zu vereinfachen, sei dafür der Preis zu zahlen, dass nicht auf jeden Einzelfall im selben Maße wie heute eingegangen werden könne. Dieser Preis müsse dann auch benannt werden. Außerdem sei dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger:innen Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch eine schärfere Bekämpfung von Steuerbetrug, Geldwäsche und Sozialbetrug.
Die vier Autor:innen machen auch Vorschläge zur Umsetzung eines solchen großen parteiübergreifenden Kraftakts.
Die Autor:innen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ betonen, dass sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit und alleinige Urheberschaft für die Empfehlungen erheben. Zur Erarbeitung ihrer Vorschläge haben sie mit 54 Expert:innen in sieben Arbeitsgruppen debattiert. Die Teilnehmenden kommen aus unterschiedlichen Lebensfeldern und allen Teilen Deutschlands – Bürgermeister:innen und Schulleiter:innen, Unternehmer:innen und Verwaltungsprofis, Wissenschaftler:innen und IT-Expert:innen.
Für den Abschlussbericht, der im Juli vorgelegt wird, werden die Initiator:innen einige Empfehlungen ergänzen und vertiefen und weitere Anregungen aufgreifen, vor allem aus Diskussionen mit Alumni und Alumnae der die Initiative unterstützenden Stiftungen, insbesondere der Bucerius Summer School on Global Governance, der Bucerius Law School in Hamburg, der Hertie School und des Mercator Kollegs für Internationale Aufgaben. Die jungen Praktiker:innen sollen als Vertreter:innen junger Generationen in die Ausarbeitung der Reformvorschläge einbezogen werden. Auch Stellungnahmen Forschender und Studierender der Hertie School und der Bucerius Law School sowie von Führungskräften und Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung werden berücksichtigt. Den Stiftungen ist es dabei ein besonderes Anliegen, dieses für die Entwicklung unseres Staates zentrale Thema inhaltlich und programmatisch zu fördern und über ihre Netzwerke in die Gesellschaft zu tragen. So wird es etwa bei dem Demokratiefestival der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS am 12. April 2025 auf Kampnagel in Hamburg neben weiteren Beratungen mit Alumni auch eine öffentliche Diskussion zu den Reformvorschlägen mit u.a. Initiator Thomas de Maizière geben.
Der Zwischenbericht im Überblick:
Verwaltung: Mehr Vertrauen, aber keine hundertprozentige Einzelfallgerechtigkeit
Die Autor:innen empfehlen einen neuen Ansatz im Verhältnis des Staates zu Bürger:innen und Unternehmen: mehr Vertrauen und weniger Misstrauen. Ein Beispiel: spürbare Erleichterungen bei Berichts- und Dokumentationspflichten. Im Gegenzug sollen Kontrollen verstärkt und Fehlverhalten stärker sanktioniert werden. „Wer bei sich alles in Ordnung hält, wird entlastet. Wer dieses Vertrauen missbraucht, wird härter als heute sanktioniert. Das ist fair und gerecht.“ Die Initiator:innen mahnen ein Umdenken in der Verwaltung und auch bei den Bürger:innen an. Eine effizientere Verwaltung ist nur möglich, wenn nicht jeder Einzelfall exakt gleichbehandelt werden muss. Hier schlagen die Autoren mehr Pauschalierungen, Experimente und Abweichungsmöglichkeiten für Kommunen vor. Gleichzeitig ermutigen sie die Verwaltung zu einer Kultur, die Räume lässt.
Digitaler Staat: die Voraussetzung von allem
Der deutsche Staat muss digitalisiert werden – er braucht neue Technik, neue Kompetenzen und einen Kulturwandel. Dafür empfehlen die Initiator:innen unter anderem:
- Die Einrichtung eines neuen Ministeriums für Digitales & Verwaltung als „Treiber und Umsetzer der Digitalisierung und einer umfassenden Staatsmodernisierung. Beides gehört Hand in Hand.“ Das Ministerium wird mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet. So erhält es Zuständigkeiten für die Standardisierung von Systemen, für die gesamte IT der Bundesregierung, die digitale Infrastruktur in Deutschland (Glasfaserausbau), und es erhält ein zentrales Digitalbudget
- „Ein Staat, der den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen sein will, braucht eine Kultur, die Neues möglich macht“, so die Initiator:innen. Dafür sei es nötig, dass der Bund eine „neue Personalkultur“ fördert und die Behördenstruktur reformiert. Auch dafür erhält das neue Ministerium umfassende Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung.
- Um die derzeit zersplitterte IT-Landschaft der öffentlichen Verwaltung in Deutschland – mit mehr als 10.000 einzelnen Betriebslösungen über alle Ebenen von Bund bis zu den Kommunen – neu zu ordnen, sollen Regelungen geschaffen werden für eine digitale Bund-Länder-Zusammenarbeit. Das Ziel: zentrale Lösungen überall dort, wo die Aufgaben automatisierbar sind und keine Ermessensspielräume zulassen – etwa bei der Kfz-Zulassung oder dem Meldewesen – und damit mehr Spielraum für die Kommunen für ihre ureigenste Gestaltungsarbeit vor Ort.
- Über eine zentrale digitale Dienstleistungsplattform sollen alle Regelleistungen des Sozialstaats zugänglich sein, etwa Kinder-, Arbeitslosen- und Elterngeld oder Sozialhilfe.
- Die Initiator:innen empfehlen einen umfassenden Datenaustausch zwischen allen Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften, etwa zur Verhütung von Terroranschlägen und zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität.
- Auch wenn der Schutz persönlicher Daten ein verfassungsrechtlich gewährleistetes hohes Gut bleibt, empfehlen die Initiator:innen, zu pingelige Vorgaben beim Datenschutz zu lockern. So soll stärker mit Widerspruchslösungen gearbeitet werden. Die Aufsicht über Unternehmen soll nicht mehr bei den Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder liegen, sondern bei der Bundesbeauftragten.
Sicherheit: Konzept für eine Gesamtverteidigung
„Deutschland braucht ein Konzept der Gesamtverteidigung, für die militärische wie die zivile.“ Dafür machen die Initiator:innen weitreichende Empfehlungen für eine neue Sicherheitsarchitektur. Dazu zählen unter anderem:
- Die sogenannte Wehrverfassung aus den 1960er Jahren wird der tatsächlichen Sicherheitslage angepasst.
- Der Bund erhält eine Zuständigkeit für den nationalen Katastrophenschutz und Cybersicherheit.
- Für den Katastrophenfall wird der Einsatz der Bundeswehr im Innern unter strengen Voraussetzungen möglich.
- Die Bundesregierung richtet einen Nationalen Sicherheitsrat und ein Nationales Lagezentrum ein, um strategische Kompetenz zu bündeln und übergreifende Lagebeurteilungen zu ermöglichen. Ein ständiger Krisenstab soll Entscheidungen vorbereiten.
Föderalismus: Klarere Zuständigkeiten für Bund, Länder und Kommunen
Die Initiator:innen empfehlen, die Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Kommunen klar zu ordnen. Die Zuständigkeit für die Finanzierung soll dieser Aufgabenzuordnung folgen. Eine neue Bund-Länder-Initiative soll Vorschläge erarbeiten, wie die staatlichen Ebenen sinnvoll und systematisch geordnet werden können. Das gilt besonders auch für die Neuausrichtung der Zuständigkeiten für das Bildungssystem. Hier geht es den Autor:innen auch darum, die Selbstbestimmung der Schulen vor Ort zu stärken. Um bundeseinheitliche Lösungen auch für Länderangelegenheiten zu ermöglichen, sollen die Länder die Befugnis erhalten, gemeinsam rechtsverbindliche Beschlüsse zu fassen. Das ist bisher nur über Staatsverträge möglich. Dafür soll ein Bundesratsverfahren neuer Art eingeführt werden, bei dem der Bundesrat mit Mehrheit beschließt.
Gesetzgebung: Mehr Sorgfalt und bessere Erprobung
Das Gesetzgebungsverfahren soll gründlicher, integrativer, transparenter und vollzugsorientierter werden. Die Initiator:innen empfehlen unter anderem, dass der Gesetzgeber wieder häufiger Regelfristen einhält – zu viele Gesetze würden derzeit zu schnell verabschiedet. Praktiker:innen und Anwender:innen des Gesetzes sollten bereits früh im Gesetzgebungsverfahren eingebunden werden. Zudem sollen alle neuen Gesetze einem Sozialcheck und einem Klima- und Energiecheck unterzogen werden.
Im Zwischenbericht heißt es: „Insgesamt führt ein sorgfältiges Gesetzgebungsverfahren zu einem schnelleren und reibungslosen Verwaltungshandeln. Wer früh gut arbeitet, hat hinterher weniger Probleme.“ Umgekehrt: Wer im Gesetzgebungsverfahren schludert, Konflikte nicht löst, Digitalisierung nicht mitdenkt, der zahlt im Verwaltungsalltag einen hohen Preis. Gesetze, so empfehlen die Initiator:innen, sollen „innovationsoffen und ausnahmefreundlich gestaltet“ werden. Mit Experimentierklauseln könnten zum Beispiel Lernprozesse in der Verwaltung initiiert werden: Weitreichende Ausnahmeregelungen ermöglichen flexibles Handeln vor Ort.
Wettbewerbsfähigkeit: Der Staat als Ermöglicher
Ein handlungsfähiger Staat fördert Innovationen und bringt Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Die Autor:innen empfehlen unter anderem, die öffentliche Beschaffung zu vereinfachen und zu digitalisieren und immer neue rechtliche Anforderungen in Planungsphasen zu verhindern. Der Staat müsse als strategischer Investor agieren, also innovationsorientiert und risikobereit. Um die Verbindung von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu stärken, soll der Staat Möglichkeiten schaffen, dass wissenschaftliche Forschung einfacher auch unternehmerisch verwertet werden kann. Die Drittmittelförderung müsse zugunsten der Grundförderung eingeschränkt werden, um Forschung wieder mehr Freiraum zu geben.
Soziales: Komplexität des Systems senken
„Wer den Sozialstaat auf hohem Niveau erhalten will, wird seine Effektivität und Effizienz verbessern müssen“, so die Initiator:innen. „Fünf Bundesministerien verantworten etwa 170 Leistungen, die von fast 30 Behörden unter Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten verwaltet und in 16 Ländern mit 400 kommunalen Gebietskörperschaften teils unterschiedlich umgesetzt werden.“ Zur Vereinfachung empfehlen sie unter anderem:
- die Zuständigkeit aller Leistungen der sozialen Sicherung in einem Bundesministerium zu bündeln, alternativ in zweien, dann für Kinder und Jugendliche in einem anderen Bundesministerium;
- die Begriffe, die einer Anspruchsberechtigung von sozialen Leistungen zugrunde liegen, zu vereinheitlichen. Derzeit klingen Begriffe wie „häusliche Lebensgemeinschaft“, „Einkommen“ oder „Kind“ eindeutig, doch innerhalb der Sozialversicherungen werden sie unterschiedlich definiert mit gewaltigen Folgen für die Verwaltungsabläufe;
- alle Anspruchsberechtigten in drei Bedarfsgruppen zusammenzufassen: Kinder und Jugendliche, Erwachsene und Haushalte – und darunter dann auch die Leistungen zu bündeln.
Zusammenfassend: „Lasten möglichst fair verteilen“
Damit Reformen gelingen, müsse die Politik bereit sein, „die Gewinn- und Verlusteffekte transparent offenzulegen – und zugleich deutlich machen, welche Anstrengungen unternommen werden, um die Lasten möglichst fair zu verteilen“. Zudem müsse das „Gerechtigkeitsempfinden“ der Bürger:innen angesprochen werden. So sei etwa eine intensivere Bekämpfung von Steuerbetrug, Geldwäsche oder Schwarzarbeit geboten. Reformen sollten zudem das Lohnabstandsgebot beachten und so das verbreitete Empfinden „Arbeit muss sich lohnen“ aufgreifen. Um Vertrauen in die Demokratie zu stärken und die Wechselwirkung von Freiheit und Verantwortung zu unterstreichen, unterstützen die Autor:innen den Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, eine allgemeine Dienstpflicht für alle Menschen in Deutschland einzuführen.
Pressekontakt:
ZEIT STIFTUNG BUCERIUS
Dorit Schartau – Pressesprecherin
Telefon: 040 41336870
E-Mail:
presse@zeit-stiftung.de