"Holocaust-Angst. Die Bundesrepublik, die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den siebziger Jahren“

„Holocaust-Angst. Die Bundesrepublik, die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den siebziger Jahren“

Wenn Angst die politische Bühne betritt
Jacob S. Eder analysiert in seiner Publikation den deutschen Umgang mit der Nachgeschichte des Holocaust im transatlantischem Beziehungsgeflecht. Er richtet den Fokus auf den Bereich der deutsch-amerikanischen Interaktionen von Diplomaten, Politikern und Regierungsvertretern sowie ihren Partnern in privaten Organisationen und Stiftungen, Lobbyisten und Wissenschaftlern. Dabei vertritt er die These, dass sich unter ihnen einige westdeutsche Akteure aus dem konservativen Spektrum – die zum Teil selbst Nationalsozialisten waren oder im Zweiten Weltkrieg kämpften – als „Opfer“ des Holocaust-Gedenkens in den USA empfanden. Sie entwickelten eine Abwehrhaltung, die der Autor als „Holocaust-Angst“ beschreibt. Ihren Ursprung sieht er in den späten siebziger Jahren und im Zentrum stehend Helmut Kohl (Bundeskanzler von 1982 bis 1998). Er sah das Renommee der Bundesrepublik in den USA durch die öffentliche Beschäftigung mit dem Holocaust gefährdet und fürchtete, dass die Amerikaner das gemeinsame Bündnis in Frage stellen könnten.

Jacob S. Eder konnte erstmalig Akten der Regierung Kohl als Quellen nutzen, die erst kurz zuvor freigegeben wurden. Wie hat dieses Netzwerk um Helmut Kohl das Holocaust-Gedenken in den USA wahrgenommen? Wie hat es auf die „Americanization of the Holocaust“, den Umgang der amerikanischen Politik, Kultur und Gesellschaft mit dem Holocaust reagiert? Das öffentliche Image Deutschlands im Ausland sollte neu geformt werden und der Autor zeigt die Bemühungen auf, den Ruf der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zu rehabilitieren. „Ein zentraler Aspekt der Holocaust-Angst war der Anspruch, mitbestimmen zu wollen, wie die Geschichte des Holocaust im Ausland erzählt und dargestellt wurde.“ Ein Beispiel hierfür ist, dass die Kohl-Regierung Bedenken wegen des damals geplanten United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington äußerte. Kohl und seine Berater waren der Auffassung, dass das USHMM als „antideutsches Museum“ geplant sei, da es die deutsche Geschichte auf den Holocaust reduziere.

2013 lobte ein deutscher Festredner jedoch die gelungene Dauerausstellung zur Geschichte des Holocaust anlässlich der Jubiläumsfeier zum 20. Jahrestag der Eröffnung des USHMM. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust hatte sich rund 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges im gesamten Westen zu einem internationalen Diskurs hin verändert. „Hochrangige Vertreter Deutschlands, Polens und Frankreichs stimmten mit prominenten Amerikanern darin überein, wie zentral das Holocaust-Gedenken für ihre jeweiligen Staaten und Gesellschaften insgesamt geworden ist.“ Dies symbolisiert nicht nur den grundlegenden Wandel im Umgang mit der NS-Vergangenheit auf deutscher Seite nach der Ära Kohl, sondern auch, dass das Gedenken an den Massenmord europäischer Juden die westliche Erinnerungskultur bis heute bestimmt. Sie spielt eine zentrale Rolle in der politischen Kultur, den Medien und den Bildungssystemen (vgl. S. 310).

Jacob S. Eder ist Historiker und lehrt an der Barenboim-Said Akademie in Berlin. Für die englische Ausgabe des vorliegenden Buches erhielt er unter anderem den Fraenkel Prize der Wiener Library. Er ist Mitherausgeber von „Holocaust Memory in a Globalizing World“ (Göttingen 2017).

Jacob S. Eder, Holocaust-Angst. Die Bundesrepublik, die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den siebziger Jahren, in: Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (hg. von Norbert Frei), Bd. 27, 365 Seiten, 42,00 €, ISBN 978-3-8353-3377-2