Stifter und Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg
Stifter und Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg
Stiftungen als komplexes Phänomen
Hamburg ist die Stadt mit den meisten Stiftungen in Deutschland: Der Bundesverband Deutscher Stiftungen gibt eine Gesamtzahl von 1.445 an (Stand: Juni 2020). Im Vergleich zu den anderen Bundesländern belegt die Hansestadt mit einer Stiftungsdichte von 78 Stiftungen pro 100.000 Einwohner:innen damit den ersten Platz. Diese Zahlen bieten Anlass genug, sich intensiver mit der Stiftungsgeschichte in Hamburg zu befassen: Die Goethe-Universität Frankfurt am Main hat sich mit einem Forschungsprojekt der Aufarbeitung dieser Hamburger Stiftungsgeschichte gewidmet. Die vorliegende Publikation ist eine überarbeitete Fassung einer dort am Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften angenommenen Dissertation.
Die Autorin verfolgt einen kulturhistorischen Ansatz mit dem Ziel, sich mit einem gewissen Einfühlungsvermögen für die „Eigenartigkeit, Unterschiedlichkeit und Fremdheit“ den Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg anzunähern (vgl. Seite 19). Außerdem setzt sie auch bei den Stiftenden an, um zu analysieren, in welche Bedeutungszusammenhänge sie ihre Stiftungen stellten: „Die vorliegende Arbeit untersucht also die Bedeutungstektonik der Handlungsform Stiftung im spezifischen historischen Kontext des frühneuzeitlichen Hamburg unter Rückbindung an Aspekte, die zum universalhistorischen Charakter dieses Phänomens beitragen“ (S. 21). Der Beginn des Untersuchungszeitraums liegt zwischen den 1560er Jahren und dem Ende des 18. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum verzeichnet die Autorin 160 Stiftungsgründungen. In vier Hauptkapiteln untersucht sie exemplarisch 75 dieser Stiftungen, zu denen Quellen verfügbar sind. Sie gibt sowohl Antworten auf die Fragen, wer stiftete und warum sie dies taten als auch Einblicke in das Spannungsverhältnis zwischen Stifter:innenwillen und Stiftungsvollzug. Außerdem erforscht sie die Modalitäten der Ausgestaltung der Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg. Es „[…] ist festzuhalten, dass die meisten der hier untersuchten Stiftenden politische oder geistliche Amtsinhaber, Kaufmänner, Gelehrte sowie Witwen und Ehefrauen von Kaufleuten oder Akademikern waren, die untereinander sowie zu vielen weiteren Amtsträgern und Akademikern verwandtschaftliche Beziehungen aufwiesen“ (S. 558). Stiftungen werden damit zu einem Medium, das zur Begriffsbestimmung und Darstellung der sozialen Stellung ihrer Gründer beigetragen hat. Frau Johannsen betont mit ihrer Untersuchung auch die Rolle von Frauen in der Stiftungsgeschichte. Ihr historischer Beitrag zur Stiftungspraxis in Hamburg und zur Frage nach der Rolle von Stiftungen in modernen bürgerlichen (Stadt-) Gesellschaften wird sicherlich auch auf reges Interesse bei Stiftungsvertretern stoßen.
Imke Johannsen lebt in Hamburg. Ihre Promotion wurde im Rahmen des oben genannten Forschungsprojektes zur Hamburger Stiftungsgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main von der ZEIT-Stiftung gefördert. Die vorliegende Publikation reiht sich damit ein in die bereits veröffentlichten Dissertationen von Michael Werner, „Stiftungsstadt und Bürgertum, Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus,“ München 2011, und Christine Bach, „Bürgersinn und Unternehmergeist. Stifter und Stiftungen in Hamburg nach 1945“, Baden-Baden 2014.
Imke Johannsen, Stifter und Stiftungen im frühneuzeitlichen Hamburg, V&R Unipress, 2020, gebunden, 676 Seiten = ISBN: 978-3-8471-0935-8, € 80,- und E-Book (PDF), 622 Seiten = ISBN: 978-3-8470-0935-1, € 69,99