Vom Stiften, Schenken und Fördern in Hamburg
Stiftungsstadt und Bürgertum
Die Geschichte des Hamburger Stiftungswesens vom Kaiserreich bis zum „Dritten Reich“ ist bislang wenig bekannt. In „Stiftungsstadt und Bürgertum“ untersucht der Historiker Michael Werner die Praxis vom Stiften, Schenken und Fördern in der Hansestadt.In Zeiten des deutschen Kaiserreichs engagierten sich Stiftungen vor allem beim Bau von Wohnstiften. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Kriegsopferfürsorge zu einem neuen Betätigungsfeld. In der Weimarer Republik führte vor allem die grassierende Inflation zum Niedergang von Stiftungsbereitschaft und Stiftungsvermögen. Mit der Zäsur des Nationalsozialismus begann die politische Vereinnahmung und Aushöhlung des Stiftungswesens. Das brach mit der Hamburger Stiftungstradition: Das Steuerrecht wurde als politisches Lenkungsinstrument eingesetzt, um NS-Organisationen zu begünstigen. Satzungsänderungen veränderten durch eine völkisch-rassische Sprachregelung den Kreis der Begünstigten und jüdischen Stiftungen wurde die Daseinsberechtigung entzogen.
Michael Werner skizziert diese Zeitenwende an Beispielen wie dem jüdisch-amerikanischen Ehepaar Budge. Die vermögenden und kinderlosen Budges einte die Leidenschaft zu fördern und zu sammeln. Henry Budge war als wissenschaftlicher und kultureller Mäzen bekannt, seine Frau sammelte altmeisterliche Gemälde. Ihr wohltätiges Engagement, das bereits zu Kaiserzeiten begann, behielten sie auch während der Weimarer Republik bei. Die ursprüngliche Idee, ihr Privathaus, das „Budge-Palais“, samt der Kunstsammlung, in eine Stiftung zu überführen und an das Museum für Kunst und Gewerbe anzubinden, gab die inzwischen verwitwete Emma Budge im Jahr 1933 auf. Denn der alten Dame beunruhigte die politische Lage in Deutschland. Sie vermachte ihr Erbe an entfernte Verwandte und die Stadt New York. Nach ihrem Tod 1937 enteigneten die Nationalsozialisten die Erben, unterbanden die Stiftungstätigkeiten und versteigerten die wertvolle Kunstsammlung. Kurze Zeit später zog der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann in das „Budge-Palais“ und baute es zum beliebten Treffpunkt der Hamburger Nationalsozialisten aus. Seit 1959 gehören Teile des Gebäudes zur Hochschule für Musik und Theater.
Diese reiche, durch Primär- und Sekundärquellen gestützte Arbeit verfolgt zwei Ziele: Die Dokumentation zeichnet einerseits die Grundzüge der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Hamburg nach – und versteht sich andererseits als Teil der Grundlagenforschung zur städtischen Stiftungskultur. Das Werk enthält zahlreiche Biographien von Stiftern und historische Porträts von Stiftungen.
Michael Werner, Stiftungsstadt und Bürgertum. Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus. 500 Seiten, Oldenbourg Verlag, München 2011, 54,80 €, ISBN 978-3-486-70239-2