Hamburger Köpfe
Die Reihe Hamburger Köpfe, angeregt von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, erinnert in knappen, anschaulich geschriebenen Einzelbiografien an Frauen und Männer, die Hamburg beeinflusst haben - Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler. Ihre Lebensgeschichte erzählt zugleich auch Hamburger Stadtgeschichte wie deutsche Geschichte aus Hamburger Perspektive.
Henning Voscherau
Der Jurist und Sozialdemokrat Dr. Henning Voscherau (1941 – 2016) gehört zu den Großen unter den Hamburger Nachkriegs-Bürgermeistern. In seine Amtszeit (1988 – 1997) fielen 1989/90 die Deutsche Einheit, in den 1990er Jahren die Sanierung des baufälligen Hamburger Rathauses und die Reform der veralteten Hamburger Verfassung sowie 1997 der Beschluss von Senat und Bürgerschaft über den neuen Stadtteil HafenCity.
Aber Henning Voscherau war auch als Bundespolitiker aktiv, unter anderem als erster gesamtdeutscher Bundesratspräsident. Erst das Land, dann die Stadt, dann die Partei – nach diesem Grundsatz hat er gehandelt. Nach dem Fall der Mauer führte er Hamburg aus der Randlage am Eisernen Vorhang in sein traditionelles Hinterland in Mitteleuropa zurück. Uwe Bahnsen begleitete Henning Voscherau über viele Jahre mit kritischer Distanz, aber auch mit Respekt und Sympathie für ein bedeutendes politisches Lebenswerk.
Uwe Bahnsen: Henning Voscherau im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag Hamburg, 2022, 192 Seiten mit 52 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0819-6
Fritz Schumacher
Mit dem Erscheinen des Bandes „Fritz Schumacher“ endet nach über zwanzig Jahren die Reihe der „Hamburger Köpfe“, die bedeutende Persönlichkeiten der Hansestadt mit Biographien würdigt. Schumachers Werk ist bis heute in Hamburg allgegenwärtig: Sei es die ehemalige Volkslesehalle mit dem Mönckeberg-Denkmal im Hamburger Zentrum, die Finanzbehörde am Gänsemarkt, die Davidwache auf St. Pauli, das Holthusenbad in Eppendorf, das Planetarium im Stadtpark in Winterhude, die Feuerwache auf der Veddel, die Kapelle XIII auf dem Ohlsdorfer Friedhof oder das Museum für Hamburgische Geschichte am Rande der Neustadt.
Kaum ein anderer Architekt hat Hamburg so sehr seinen Stempel aufgedrückt wie Fritz Schumacher, bis heute sichtbar durch die bevorzugte Verwendung von Backstein und nicht zuletzt durch die Einbeziehung von Bildhauern und Malern in die Ausgestaltung seiner Bauten. Das Zusammenwirken aller Künste in der Stadtplanung und -entwicklung war Schumacher ein wichtiges Anliegen. Fritz Schumacher war mehr als ein ambitionierter Architekt. Er war zugleich ein stadtplanerischer Visionär, der das Ziel hatte, Hamburg in die Richtung zu entwickeln, die einer sich verändernden Stadtgesellschaft entsprach; dabei sollten künstlerische, bauliche und soziale Gesichtspunkte gleichermaßen zum Zuge kommen. Er war Gründungsmitglied des Deutschen Werkbundes und stand auch der Reformbewegung der 1920er Jahre nahe. Es verwundert nicht, dass er den damaligen Hamburger Schulsenator Emil Krause dabei unterstützte, seine reformpädagogischen Vorstellungen umzusetzen und ihnen architektonisch Gestalt zu geben. Während Emil Krauses Amtszeit (1919-1933) entstanden fünfundvierzig neue Schulen, mehr als dreißig davon gestaltete Fritz Schumacher.
Neben den Schulen und den bereits genannten repräsentativen Gebäuden hat Fritz Schumacher eine Reihe von Siedlungsbauten entworfen, um der wachsenden Hamburger Bevölkerung ein Zuhause zu schaffen, ganz abgesehen von der Vielzahl von „Bedürfnisanstalten“, die heute allerdings nur noch selten als solche betrieben werden. Einige von ihnen stehen unter Denkmalschutz. Auch die Pläne zu zahlreichen Brücken der Hansestadt stammen aus Schumachers Feder. All dies kann man als Beleg dafür werten, dass Schumacher sich in Hamburg, zuletzt als Oberbaudirektor, eben nicht nur als Architekt, sondern auch als Stadtplaner verstand und in dieser Funktion viel dafür tat, Hamburg den Erfordernissen einer modernen Großstadt anzupassen. Seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand durch die zur Macht gelangten Nationalsozialisten im Mai 1933 bereitete dieser Tätigkeit ein abruptes Ende.
Hartmut Frank: Fritz Schumacher im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag Hamburg, 2020, 352 Seiten mit 202 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0753-3, 19,95 EUR
Douglas Sirk
Der „Hamburger Kopf“ von Knuth Hickethier und Andreas Stuhlmann erzählt vom künstlerischen Werdegang des in Hamburg-Eimsbüttel geborenen Hans Detlef Sierck, der in Hollywood als Douglas Sirk (1897–1987) Kinogeschichte geschrieben hat.
Hans Detlef Sierck beginnt am Theater, wo er sich zunächst in Hamburg, dann in Bremen und in Leipzig einen Ruf als erfolgreicher Regisseur und Theaterleiter erwirbt. Seine Frau Hilde Jary ist Schauspielerin – und Jüdin. Sie trifft das Berufsverbot für jüdische Schauspieler 1934 und es wird auch für ihn schwieriger, Regieaufträge zu bekommen. Er inszeniert an verschiedenen Bühnen in Berlin und versucht es beim Film, vor allem bei der Ufa. Dort beeindruckt sein straffes Arbeiten – er erhält einen Vertrag und widmet sich ganz dem Film: „Ich begann zu begreifen, dass hier die Kamera die Hauptsache ist, weil im bewegten Bild Emotion enthalten ist. Motion is emotion, und zwar in einer Weise, wie es sie im Theater niemals geben kann.“ Bei den Melodramen „Schlussakkord“, „Das Hofkonzert“ mit Johannes Heesters (beide 1936) und „Zu neuen Ufern“ mit Zarah Leander und Willy Birgel (1937) erweist er sich „als einer der fähigsten und vielversprechendsten Regisseure im Hause“. Doch er arbeitet in einem Staat, der seine Frau verfolgt und politischen Druck ausübt.
Das Ehepaar Sierck verlässt 1937 das nationalsozialistische Deutschland. Ihr Weg führt sie über mehrere Exilstationen 1939 nach Hollywood. Es ist die Geburtsstunde von Douglas Sirk. Zunächst arbeitet er als Drehbuchschreiber. Bei dem Heydrich-Film „Hitler‘s Madman“ (1943) führt er erstmals Regie – es ist „ein erster Durchbruch und zugleich eine gewisse Emanzipation vom Selbsthilfe-Netzwerk der Emigranten.“ Zunächst „ist er auf B-Filme mit europäischem Sujet abonniert“, wie die beiden Biografen schreiben. Die 1950-er Jahre werden Sirks große Zeit. Er arbeitet sich in die erste Liga der Hollywood-Regisseure vor, erneuert und verfeinert seine Bildsprache. In neun Jahren entstehen 23 Filme, darunter „In den Wind geschrieben“, „Duell in den Wolken“, „Engel mit blutigen Flügeln“ sowie „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ und „Solange es Menschen gibt“. Barbara Stanwyck, Lana Turner und Rock Hudson wirken darin mit. Der Produktionsmarathon schwächt Sirk, der 1959 nach Europa zurückkehrt und sich in der Schweiz niederlässt. Gelegentlich führt er wieder Theaterregie, auch in Hamburg, und unterrichtet an der Münchner Filmhochschule.
Was in Erinnerung bleibt? Zum einen das Bonmot: „Douglas Sirk ist der am meisten verkannte Regisseur des amerikanischen Films“ und das ekstatische Lob Rainer Werner Fassbinders: „Ich habe 6 Filme von Douglas Sirk gesehen. Es waren die schönsten der Welt dabei.“ Dieser „Hamburger Kopf“ zieht einen biografischen Bogen von Hamburg nach Hollywood und zurück. Er zeigt Douglas Sirk als „Regisseur für Regisseure“, der doppelt wirkt: durch seine Filme mit ihren symbolgesättigten, virtuosen visuellen Mitteln und ihrer feinen Ironie, sowie durch die Prägung anderer Filmschaffender.
Knut Hickethier; Andreas Stuhlmann: Douglas Sirk im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag Hamburg, 2017, 240 Seiten mit 40 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0685-7, 19,95 EUR
Gyula Trebitsch
Gyula Trebitsch (1914 – 2005), Sohn einer ungarischen Familie, verlebt eine unbeschwerte Kindheit in Budapest. Fotografieren ist das leidenschaftlich betriebene Hobby des Schülers. Bald schon steigt die Faszination an bewegten Bildern. Nach der Reifeprüfung wird Trebitsch Volontär bei der UFA-Niederlassung Budapest und erwirbt das Diplom als „Königlich Ungarischer Filmvorführer“. Der begeisterte Cineast arbeitet als Platzanweiser und gründet seine erste Filmproduktionsfirma.
Der als „wehrunwürdig“ geltende Jude Trebitsch wird 1942 zum Arbeitsdienst eingezogen. hm gelingt die Flucht aus dem Arbeitslager, er wird allerdings schon kurze Zeit danach aufgegriffen und nach Norddeutschland deportiert. Im Mai 1945 befreit, kommt er entkräftet ins Krankenhaus in Itzehoe.
Voll bemerkenswertem Tatendrang und anpackenden macht er sich erneut an die Arbeit. Schon 1946 setzt sich Trebitsch für die Wiedereröffnung der beiden Kinos in Itzehoe ein, deren Leitung er übernimmt.
1947 zieht er zusammen mit Walter Koppel nach Hamburg und gründet die Produktionsfirma „Real Film“. Über die Jahre spielen Schauspieler wie Zarah Leander, Romy Schneider, Liselotte Pulver und Heinz Rühmann für die mittlerweile bedeutendste Filmgesellschaft der Bundesrepublik. Die Oskar-Nominierung für „Der Hauptmann von Köpenick“ 1957 zählt zu den größten Erfolgen der „Real Film“.
Angesichts des Kinosterbens verlegt Trebitsch sich 1960 auf das Medium Fernsehen. So entsteht das „Studio Hamburg“, einer der Marktführer der deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Der Zweiteiler „Die Geschwister Oppermann“ und erfolgreiche Serien wie „Diese Drombuschs“ stammen von dort.
Nicht ohne Bewunderung schildern Michael Töteberg und Volker Reißmann den Weg des Gyula Trebitsch, der treu seinem Motto „Gelebt wird nach vorn“, weit über die Grenzen Hamburgs hinaus Film- und Fernsehgeschichte geschrieben hat.
Michael Töteberg, Volker Reißmann Gyula Trebitsch, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2014, 152 Seiten mit 45 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0585-0, 14,90 EUR
Fritz Höger
Mit dem Chilehaus gab der Architekt Fritz Höger (1877 – 1949) Hamburg ein unverwechselbares Signet – und schuf zugleich sein Hauptwerk. Die ausdrucksstarken Reliefs der Klinkerfassade, deren Schwung und die schlank aufragende Spitze des Gebäudes von 1924 sind von expressiver Kraft.
Högers Wagemut hat zur Reform des hamburgischen Kontorhauses entscheidend beigetragen und Baugeschichte geschrieben. Der Architekturkritiker Ulrich Höhns charakterisiert in seinem Hamburger Kopf das ambivalent-austarierte Architekturkonzept Högers: Seine Bauten seien „innen modern, offen und flexibel, außen dagegen zeigen sie eine neu erfundene Heimatlichkeit.“ Fritz Höger, bei Elmshorn geboren, absolviert zunächst eine Zimmermanns-Lehre und verwirklicht dann seinen Herzenswunsch, Baumeister zu werden. „Er hat eine beispiellose Karriere als Architekt gemacht“, schreibt Höhns. Als angestellter Architekt hat Höger Teil am Geschäftshaus-Bauboom in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.
„Auf der Suche nach einer spezifisch hamburgischen Identität in der Architektur“ gelingt es ihm, an der Mönckebergstraße, Tradition und Neues geschickt zu verbinden und damit den Heimatschutzgedanken in eine moderne City zu tragen. Während der 1930er Jahre zeigt sich Högers Opportunismus, nicht allein der Aufträge wegen, sondern auch aus Überzeugung. Doch das nationalsozialistische Regime will ihn nicht: „Vielleicht war er zu unberechenbar, vielleicht zu eigenwillig, vielleicht passte sein ‚Klinkerismus‘ nicht in den Staatsklassizismus.“
Dass sich Höger aus einfachen Verhältnissen hocharbeitet, dass er stets im Predigerton und sehr selbstbewusst, ja überheblich auftritt, schildert sein Biograf in dieser faktenreichen Würdigung. Dem rastlosen, von seiner Arbeit besessenen Architekten fehlt „die kritische Distanz zu sich selbst.“ So bleibt ihm ungeachtet seiner beruflichen Erfolge letztlich in der Hansestadt, die ihm so viele wegweisende, prägende Gebäude verdankt, die gesellschaftliche Anerkennung versagt.
Ulrich Höhns
Fritz Höger, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2012, vergriffen
Salomon Heine
Heinrich Heine ist in Deutschland sicher der berühmteste Vertreter der Familie Heine. Für Hamburg jedoch spielt sein Onkel Salomon Heine (1767-1844) eine noch größere Rolle.
Salomon Heine kam in Hannover als Sohn einer jüdischen Familie zur Welt. Nach dem Tod seines Vaters ging er mit 17 Jahren und nur 16 Groschen nach Hamburg-Altona. Heute würde man den „Rothschild von Hamburg“ wohl als „Selfmademan“ bezeichnen. Ihm gelang der Aufstieg vom einfachen Boten zum Teilhaber des Bankhauses Popert, schließlich wurde er zum Alleininhaber einer Bank, die seinen Namen trug.
Der Bankier sah in seinem Reichtum aber auch stets eine Verpflichtung gegenüber Hamburgs Bürgern. So finanzierte er eine Schule, spendete die komplette Bausumme für ein neues Krankenhaus der jüdischen Gemeinde, allerdings mit dem Wunsch verbunden, dass unbemittelte jüdische Patienten kostenlos behandelt und Kranke aller Konfessionen aufgenommen werden. Auch sein Neffe Heinrich erhielt von ihm finanzielle Unterstützung, obwohl ihm dessen Berufswahl Dichter missfiel. Das Verhältnis zwischen Onkel und Neffe sollte zeitlebens schwierig bleiben und so schrieb Heinrich Heine in einem Brief: „Adieu, theurer, guter, großmüthiger, knickriger, edler, unendlich geliebter Onkel!“
Ein besonderes Verdienst Salomon Heines war sein Einsatz im Zusammenhang mit dem großen Hamburger Brand im Mai 1842. Er ließ die Opfer des Feuers versorgen und spendete namhafte Beträge, um die zerstörten christlichen Kirchen St. Petri und St. Nikolai wieder aufzubauen.
Dieser „Hamburger Kopf“ erhellt die spannungsreiche Beziehung von Bankier und Dichter - und erzählt vom Aufstieg einer bemerkenswerten Familie.
Wiborg, Susanne; Wiborg, Jan Peter
Salomon Heine, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2012, 184 Seiten, ISBN 978-3-8319-0466-2, 14,90 EUR
Gustaf Gründgens
Gustaf Gründgens’ Werdegang beginnt wenig erfolgversprechend: Abitur – nicht geschafft, Kaufmannslehre – abgebrochen, im Kriegsdienst – verwundet. Erst der Eintritt in die Düsseldorfer Hochschule für Bühnenkunst verschafft ihm 1919 erste Erfolge. Das Abschlusszeugnis bescheinigt ihm „ein ungewöhnliches Talent für die sinnfällige Ausformung der seelischen Struktur problematischer Naturen.“
Der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher will mit seinem Hamburger Kopf „Gustaf Gründgens“ das Bild des einzigartigen Theatermenschen durch ein differenziertes Bild des Privatmannes „Guy“ komplettieren. Er beleuchtet Aspekte seiner psychischen und gesundheitlichen Probleme, schildert die familiären, freundschaftlichen und partnerschaftlichen Beziehungen des in Düsseldorf geborenen Ausnahme-Schauspielers.
Beruflich sei der Industriekaufmannssohn ein selbstsüchtiger, skrupelloser Karrierist gewesen. Von Hermann Göring protegiert, von Bertolt Brecht und Albert Einstein bejubelt und als erster mit dem Titel „Preußischer Staatsschauspieler“ geehrt, poliert er „die Kulturfassade des Dritten Reichs“ auf. Seine Rollen als Mephisto, Hamlet und der pflichttreue Mörder Philipp II. in Schillers „Don Carlos“ machen ihn zum Mythos. „Er glitzerte und sprühte vor Talent, der charmante, einfallsreiche, hinreißende, gefallsüchtige Gustaf! Ganz Hamburg stand unter seinem Zauber. Welche Verwandlungsfähigkeit! Welche Virtuosität der Dialogführung, der Mimik, der Gebärde!“ – schreibt ein Kollege und Liebhaber von Gründgens. Zudem feiert „GG“ als Filmschauspieler, Regisseur und Theaterintendant große Erfolge. Von 1955 bis 1963 ist er Generalintendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Der von Gründgens’ inszenierte Faust I, in Hamburg ständig ausverkauft, wird ein triumphaler Welterfolg.
Privat war der verehrte Künstler und „bisexuelle Dandy“ ein einsamer, leidender und verzweifelter Bohemien. Migräneanfälle, Medikamentenabhängigkeit, Schlaflosigkeit und Depressionen führen zur schleichenden Abschottung und Vereinsamung. Gründgens verstirbt während einer Weltreise in Manila und findet in Hamburg seine letzte Ruhe. Thomas Blubacher gelingt eine imposante und mitreißende, aber auch eine tiefgründige Biografie einer schillernden Persönlichkeit.
Blubacher, Thomas
Gustaf Gründgens, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2012, vergriffen
Philipp Otto Runge
Die Werke des jung verstorbenen Maler-Genies Philipp Otto Runge (1777-1810) gehören zum Kernbestand der Hamburger Kunsthalle. Uwe M. Schneede, bis 2006 Direktor der Kunsthalle, hat eine Biografie des "Fremdlings auf der Erde“ verfasst.
Der Band in der Reihe Hamburger Köpfe zeigt einen einzigartigen Künstler, aber auch einsamen, „tief in sich gekehrten Menschen“. Aus dem pommerschen Wolgast kommt der 18-jährige Runge nach Hamburg. Nach Arbeitsjahren als Kaufmannslehrling im Kontor lebt er seinen künstlerischen Neigungen, setzt seine Ausbildung in Kopenhagen und Dresden fort.
Runge malt zahlreiche Selbstportraits sowie realistische Zeichnungen und Ölbildnisse seiner Familie, von Freunden und deren Kindern. Vom Brieffreund Goethe als „talentvoller Maler“ geschätzt, befasst sich Runge mit der Arbeit an der Farbenlehre, die 1810 in seiner Schrift Farbenkugel erscheint. Der arabeske Zyklus Die Zeiten, den Runge als „die Quelle der neuen Kunst“ plante, bleibt unvollendet. „Die poetische Erfindungskraft und der künstlerische Wagemut, der hohe Reflexionsgrad, die Mehrsinnigkeit und schließlich der Entwurf einer Ganzheit gleichen einem Aufbäumen gegen die Zeit und sind zugleich der Vorschein einer neuen Kunst“, schreibt Schneede.
Auch wenn seine Gemälde zu Lebzeiten kaum an die Öffentlichkeit gelangten, gilt Philipp Otto Runge neben Caspar David Friedrich als der maßgebliche Begründer der Romantik. Uwe M. Schneede nennt das „nicht sehr umfangreiche Werk im Vollendeten wie im Unvollendeten kunsthistorisch einzigartig“, sei Runge doch der erste Maler, der autonome Kunstwerke geschaffen habe.
Schneede, Uwe M., Philipp Otto Runge, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2010, 160 Seiten mit 50 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0424-2, 14,90 EUR
William Stern
Der Experimentalpsychologe William Stern (1871 – 1938) wird 1916 Professor in Hamburg. Eine akademische Karriere mit Hindernissen, denn wegen seiner jüdischen Herkunft hatte der gebürtige Breslauer in seiner Heimatstadt nicht Ordinarius werden können. Der Erfinder des Intelligenzquotienten war „zu seiner Zeit ein Star“, wie es im Hamburger Kopf heißt. Heute ist Stern kaum noch bekannt. Martin Tschechne porträtiert einen herausragenden Forscher, der im Exil an nationalsozialistischer Ausgrenzung und Verfolgung zerbrach.
William Stern und seine Frau Clara beginnen die „Kindertagebücher“ mit Beobachtungen über die beiden Töchter Eva und Hilde und Sohn Günther, der als Günther Anders weltberühmt wird: „Niemals zuvor und nie seither hat ein Elternpaar die psychische und geistige Entwicklung seiner Nachkommen so verlässlich dokumentiert.“ Studien wie die „Psychologie der frühen Kindheit“ und die „Differentielle Psychologie“ sind Standardwerke. Neben der theoretischen Arbeit widmet sich Stern der angewandten Wissenschaft – ob Fähigkeitsdiagnose oder Begabungspotenziale, er entwickelt passende Tests, standardisierte Interviews und Beobachtungsschemata. Seine Experimente sind auch vor Gericht relevant, wenn es um Zeugenvernehmungen und die Erinnerungsqualität von Zeugen geht. Stern begründet mit der angewandten Psychologie einen Forschungs- und einen Berufszweig: „Nichts geht mehr ohne psychologische Expertise.“ 1912 führt er den Intelligenzquotienten in die wissenschaftliche Diskussion ein. Der IQ beziffert die Abweichung der Werte einer einzelnen Person vom Durchschnittswert einer Gesamtpopulation. Wirklich glücklich geworden sei er damit nicht, wie der Band darlegt. Stern entwickelt für die Messung von Intelligenz zwar neue und bis heute gültige Methoden, besteht aber darauf, dass jeder Mensch als unteilbares Ganzes zu betrachten sei: „Individualität ist auf differential-psychologischem Wege nicht fassbar.“ So zweifelt, ja verzweifelt er schließlich daran, „wie unbedacht die Instrumente und Verfahren eingesetzt werden, die er seiner Disziplin zur ökonomischen Anwendung zur Verfügung gestellt hat.“
Der Hamburger Kopf schildert die beeindruckenden Leistungen William Sterns. Seine entscheidende Rolle bei der Gründung der Hamburger Universität 1919 wird ebenso dargelegt wie seine schmähliche Vertreibung 1933, seine Maßstäbe setzenden Messverfahren zur Bestimmung menschlicher Fähigkeiten ebenso beschrieben wie seine Zerrissenheit angesichts deren Missbrauch.
Tschechne, Martin, William Stern, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2010, 160 Seiten mit 35 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0404-4, 14,90 EUR
Heinrich Hertz
Heinrich Hertz (1857-1894) gehört durch die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen zu den bedeutendsten deutschen Physikern. Er ging als Pionier der drahtlosen Telegrafie in die Geschichte ein, sein Name Hertz ist als Bezeichnung für die Frequenzeinheit (Schwingung pro Sekunde) weltweit gebräuchlich.
Der in Hamburg geborene Hertz, Sohn wohlhabender Eltern, ist ein ehrgeiziger Schüler. Technisch und mathematisch begabt, besteht er das Abitur auf der Gelehrtenschule Johanneum als Klassenbester. Anders als sein Vater und Bruder will Hertz nicht Jura studieren, sondern entscheidet sich für ein Bauingenieurstudium am Politechnikum in Dresden. Bei den Ingenieuren langweilt er sich, er entdeckt seine wahre Leidenschaft für die Physik und entscheidet sich 1877 für ein Studium dieses Fachs in München. Schon im ersten Semester mutet er sich Höhenflüge ins Reich der Mathematik zu, die sonst nur fortgeschrittene Studenten unternehmen. Euphorisch schreibt er: „Die erklärte Natur kommt mir weniger schön vor wie die unerklärte.“ Nach zwei Semestern setzt er sein Studium beim „Reichskanzler der Physik“ Hermann Helmholtz in Berlin fort und erfreut sich dessen höchster Wertschätzung. Nach nur vier Semestern wird der brillante Schüler zur Doktorprüfung zugelassen, die er mit magna cum laude besteht. Nach kurzer Assistenzzeit bei Helmholtz geht Hertz als Privatdozent nach Kiel. Als Professor in Karlsruhe macht er eine Reihe physikalischer Entdeckungen – und findet auch privates Glück. 1889 folgt er einem Ruf an die Bonner Universität, wo er in noch jungen Jahren einer Infektion erliegt. Heinrich Hertz liegt auf dem Friedhof Ohlsdorf seiner Heimatstadt Hamburg begraben.
Der Theoretiker und Experimentalphysiker Heinrich Hertz publiziert in den Annalen der Physik und genießt vor allem im Ausland große öffentliche Aufmerksamkeit. Er bestätigt erstmals experimentell die Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus und erklärt, was elektromagnetische Wellen eigentlich sind. Sein experimenteller Nachweis elektromagnetischer Wellen hat den Weg zu Telegrafie, Rundfunk, Fernsehen und Handy, zur elektronischen Telekommunikation überhaupt gewiesen, zu dem, was wir täglich benutzen und für selbstverständlich erachten.
Über Leben und Werk von Heinrich Hertz ist wenig bekannt. Der Hamburger Kopf schildert bahnbrechende Entdeckungen, der Autor Michael Eckert zeigt Hertz über den forschenden Physiker hinaus auch als tiefen Denker, die Krisen und Unzufriedenheit, das Auf und Ab eines Genies. Hertz’ Tagebucheinträge und Briefe geben allgemeinverständliche Einblicke in die Welt eines Ausnahmephysikers, der kurz vor seinem frühen Tod geschrieben hatte, dass er „zu den besonders Auserwählten gehöre, die nur kurz leben und doch genug leben.“
Eckert, Michael, Heinrich Hertz, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2010, vergriffen
Erik Blumenfeld
Der Hamburger CDU-Politiker Erik Blumenfeld (1915–1997) galt nicht nur als markanter Weltenbürger und diplomatischer Brückenbauer, sondern auch als eigenwilliger Grenzgänger, der in seiner Partei nicht wenige Konflikte verursachte.
„Als Sohn eines deutsch-jüdischen Vaters und einer dänisch-protestantischen Mutter in Hamburg geboren, war er im Ersten Weltkrieg in Dänemark aufgewachsen und von einer britischen Nurse erzogen worden: eine wahrhaft kosmopolitisch-europäische Herkunft.“, so der Zeithistoriker Frank Bajohr in seinem Hamburger Kopf Erik Blumenfeld. Kosmopolitisch-europäisch ging es denn auch weiter: Blumenfeld absolvierte eine Berufs- und Sprachausbildung in England, studierte Geografie und Metallurgie in Berlin und nahm 1940 am Frankreichfeldzug teil. 1942 wurde er als „jüdischer Mischling 1. Grades“ nach Auschwitz deportiert und später nach Buchenwald überstellt. Der Gaskammer knapp entronnen, wollte Blumenfeld am 8. Mai 1945, „eine Zukunft für das am Boden liegende Deutschland mit gestalten.“
Die Blumenfeld-Biografie schildert wichtige Lebensstationen dieses ungewöhnlichen Politikers und beschreibt die politische Lebensleistung des Christdemokraten. Der anfängliche Bewunderer und spätere Widersacher Konrad Adenauers verstand es, „der Bonner Diplomatie diskret Türen zu öffnen“. Er unterstützte die Ostverträge und vermittelte in krisenreichen Jahren zwischen Deutschland und Israel.
„Er ist weltoffen, liberal und fair – ein waschechter Hamburger“ hieß es in der CDU-Wahlwerbung 1974. Erik Blumenfeld wirkte lokal, national und international. Obwohl dieser Hamburger Kopf als „Aushängeschild“ hamburgischer und deutscher Politik galt, blieb er stets ein Mann der zweiten Reihe. Er beeinflusste die politischen Geschehnisse aus dem Hintergrund, etwa als außenpolitischer Berater des Kanzlers und wichtiger Repräsentant der Bundesrepublik im Ausland. Frank Bajohr legt eine facettenreiche Lebensgeschichte dieses bedeutenden Hamburgers vor.
Bajohr, Frank, Erik Blumenfeld, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2010, 128 Seiten mit 27 Abbildungen, ISBN 978-3-8319-0403-7, € 14,90
Max M. Warburg
„Ein Kaufmann soll nur der werden, der wirklich Kampflust hat“, heißt es im Hamburger Kopf zu Max M. Warburg. Diese Eigenschaft besaß der große Hanseat (1867–1946) zweifellos. Warburg sei ein herausragendes Beispiel „eines Hamburger Kaufmanns, der sich für sein Land und das Gemeinwohl persönlich verantwortlich fühlt“, schreibt seine Biografin Gabriele Hoffmann. Denn Warburg gilt nicht nur als herausragender Bankier und einflussreicher Finanzexperte der Weimarer Republik, sondern auch als furchtloser Wohltäter – in den 1930-er Jahren verhilft er rund 75.000 Juden zur Emigration.
Nach dem Militärdienst in München, einer Banklehre in Frankfurt und beruflichen Stationen in Amsterdam, Paris und London, baut Max M. Warburg gemeinsam mit seinen Brüdern die 1798 gegründete Bank M.M. Warburg & Co. zu einer der größten Privatbanken Deutschlands aus. Seine wirtschaftlichen Kenntnisse befähigen ihn zu politischer Mitwirkung, Warburg ist enger Berater des Reichskanzlers Prinz Max von Baden und Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft.
Ideenreich und zukunftsorientiert setzt sich Max M. Warburg für die Gründung der Hamburger Universität ein. 1921 wird er Ehrendoktor der Rechts- und Staatswissenschaften an der neugegründeten Hochschule. Zu seinen weiteren Initiativen gehören die Gründung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, der kulturwissenschaftlichen Bibliothek seines Bruders Aby M. Warburg und des Übersee-Clubs (zusammen mit dem Reeder Albert Ballin). Auch wohltätiges Engagement spielt eine wichtige Rolle in seinem Leben. Warburg ist im Vorstand der jüdischen Gemeinde Hamburg, der Talmud-Tora-Schule und des Israelitischen Krankenhauses.
Als ab 1933 die Judenverfolgung einsetzt, zeigt Warburg Zivilcourage. Zusammen mit Carl Melchior entwirft er Auswanderungsprojekte und entwickelt dafür Finanzierungsmodelle. Aufgrund seiner Verhandlungen mit Behörden und politische Verantwortlichen sowie seiner leitenden Tätigkeit in Hilfsorganisationen hilft er Zehntausenden von Juden, Deutschland zu verlassen. 1938 muss Warburg selbst emigrieren und die Bank verkaufen. 1946 stirbt er in New York.
„America was honored to have him as a citizen”, schreibt die New York Times. Auch in Deutschland wird Max Warburg posthum geehrt. Hamburgs Nachkriegsbürgermeister Max Brauer dankt ihm und weiteren jüdischen Mitbürgern für ihre Mitwirkung in Wirtschaft, Wissenschaft, Handel, Kunst und Wohltätigkeit: „Die Namen von Max Warburg, Albert Ballin, Heinrich Hertz, Mendelssohn Bartholdy und Ernst Cassierer werden nie der Vergessenheit anheim fallen. Sie sind die Mitträger des Ruhmes unserer Stadt.“
Dieser anschaulich bebilderte, eindrucksvolle Hamburger Kopf über das kampfesmutige Leben von Max Moritz Warburg ist Teil dieser andauernden Erinnerung.
Hans Schmidt-Isserstedt
Hans Schmidt-Isserstedt (1900-1973) gehörte nach 1945 zur internationalen Dirigentenelite und brillierte vor allem als Mozartinterpret.
Aufgewachsen in Berlin, der Vater ist Brauereidirektor, wird Schmidt-Isserstedt durch das musikalische Elternhaus geprägt. Ab 1919 studiert er Musikwissenschaften, aber auch Philosophie, Literatur- und Kunstgeschichte in Berlin und Heidelberg. Er nimmt Unterricht in Violine, Klavier und Musiktheorie an der Musikakademie in Berlin, besucht die Meisterklasse für Komposition und wird mit 31 Jahren jüngster Generalmusikdirektor am Hessischen Landestheater Darmstadt. 1935 wechselt er als Erster Kapellmeister an die Hamburgische Staatsoper und ist damit zuständig für das Philharmionische Orchester. Mit dem Umzug nach Hamburg geht für Schmidt-Isserstedt ein Traum in Erfüllung: „Ich hatte mir immer gewünscht, einmal in Hamburg zu leben, weil ich das Meer, die Schiffe und den Segelsport liebe. Hamburg ist meine Wahlheimat geworden seitdem.“
An der Hamburger Oper führt er Werke von Komponisten auf, die im Dritten Reich verboten sind, und fördert zeitgenössische Musik. Dies weckt auch überregional Interesse und der Begriff des „Hamburger Opernstils“ entsteht. Nach dem Krieg beauftragt die britische Besatzungsbehörde ihn 1945, ein Sinfonieorchester für den neuen Nordwestdeutschen Rundfunk, den späteren NDR, aufzubauen. In kurzer Zeit und praktisch aus dem Nichts formt er ein erstklassiges Orchester. So leistet Schmidt-Isserstedt einen entschiedenen Beitrag zum Neuaufbau des deutschen Musiklebens nach 1945. Rasch entwickelt sich das Orchester zu einem „Orchester der jungen Herzen“. Schmidt-Isserstedt findet mit seinen Konzerten bei jungen Zuhörern viel Anklang weil er „Altes und Neues so mischt, dass die unterschiedlichen Ansprüche der Zuhörer erfüllt werden.“
Bei den zahlreichen öffentlichen Auftritten des Sinfonieorchesters dirigiert Schmidt-Isserstedt Mozart und Brahms, aber auch Komponisten wie Richard Strauß, Sibelius und Wagner. Im Bereich der Moderne schätzt er Strawinsky, Hindemith, Bartók, Tippet, Britten und Rolf Liebermann. Schmidt-Isserstedt sei ein „auf Perfektion bedachter und auch selbst perfekter Dirigent mit einer so einmaligen Schlagtechnik und präzisen Zeichengebung“, schreibt Hubert Rübsaat in seinem Hamburger Kopf. Schmidt-Isserstedt fördert gezielt den musikalischen Nachwuchs. Er setzt sich für die Musikwissenschaft an der Hamburger Universität ein und engagiert sich für die Gründung der Musikhochschule in Hamburg. Von 1950 bis 1960 leitet er eine Meisterklasse für Dirigieren, aus der national wie international bedeutende Dirigenten hervorgehen.
Rübsaats Biografie lässt das Leben und Werk Schmidt-Isserstedts Revue passieren, sie spiegelt die politische und gesellschaftliche Situation in der Weimarer Republik, während des Nationalsozialismus und nach 1945 wider.
Rübsaat, Hubert, Hans Schmidt-Isserstedt, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2009, 160 Seiten mit 40 Abb. und CD, ISBN 978-3-8319-0350-4, € 19,95
Karl Schiller
Karl Schiller (1911–1994) zählt als Wirtschaftspolitiker zu den prägenden Gestalten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Aufgewachsen in kleinen Verhältnissen und schon in jungen Jahren von „fast fanatischem Aufstiegswillen beherrscht“, studiert der Hochbegabte Volkswirtschaft in Kiel, Frankfurt, Berlin und Heidelberg. Mit 36 Jahren wird er Universitätsprofessor in Hamburg, ein Jahr später Senator für das Ressort Wirtschaft und Verkehr, er ist damit der jüngste Senator der Stadt. Er macht sich einen Namen als einer der Wegbereiter für die Rückkehr der zerbombten Handelsmetropole auf die Märkte der Welt. Als Rektor der Hamburger Universität (1956–1958) treibt er mit großer Energie den Ausbau der Hochschule voran.
Überragende Intelligenz, rhetorische Begabung, Mut, Zähigkeit und Durchsetzungsvermögen machen Schiller auch bundesweit zum Ausnahme-Politiker. Als Bundeswirtschaftsminister der Großen Koalition von 1966 bis 1969 gelingt es ihm, die Wirtschaft der Bundesrepublik durch eine gezielte Erhöhung der Staatsausgaben aus der ersten großen Rezession in einen „Aufschwung nach Maß“ zu führen. Schnell wird er zu einer der einflussreichsten und prominentesten Figuren in Willy Brandts Regierung. Sein Biograf Uwe Bahnsen nennt Schiller „den mächtigsten Ökonomen der Republik“. Mit der Fähigkeit, einprägsame Metaphern zu formulieren, gepaart mit seinem profunden ökonomischen Wissen und einem ausgeprägten Realismus versteht er es, Wirtschaftspolitik verständlich, populär und greifbar zu machen. Seine keynesianische Wachstumspolitik bringt er auf die Formel: „Die Pferde müssen wieder saufen.“
Auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn ist Schiller 1971/72 als Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen einer der mächtigsten Männer der Republik mit weltweitem Ansehen. 1972 findet die steile politische Karriere des "Superministers" ein jähes Ende, auch wegen fehlenden Stallgeruchs in der SPD, so Bahnsen. Karl Schiller tritt im Juli 1972 zurück. Er wird zu einem gefragter Wirtschaftsberater und handelt dabei immer getreu seinem Motto: „Stabilität ist nicht alles, aber ohne Stabilität ist alles nichts.“
Für Karl Schillers Lebensleistung hat Hamburg eine besondere Bedeutung. Hier beginnt sein politisches Engagement in der SPD, hier festigen sich seine wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen und hier bietet sich ihm als erfolgreicher Wirtschaftssenator die Möglichkeit, die Durchsetzbarkeit eigener Konzepte zu erproben.
Nicht ohne Bewunderung schildert der Autor Uwe Bahnsen die triumphalen, aber auch tragischen Phasen in Schillers Leben, einen brillanten Kopf, der auch schwierig und unbequem war.
Bahnsen, Uwe, Karl Schiller, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2008, vergriffen
Eduard Bargheer
Eduard Bargheer (1901-1979) führte ein Leben zwischen Finkenwerder und Forio (Ischia), sein künstlerisches Werk verdankt sich der Hamburger Prägung ebenso wie südlichem Licht: „Der Ausgangspunkt meiner Erlebnisse, die zur Gestaltung in der Malerei drängten, war die Elbe, der große Strom mit seinen Gezeiten, der Ebbe und Flut, welcher mein Leben reich machte mit der Riesenskala seines Temperaments.“ Der Maler, Zeichner und Graphiker Bargheer feierte im Kreis der 1919 gegründeten Hamburgischen Sezession erste Erfolge und prägte in den 1920er und 1930er Jahren das Kulturleben der Hansestadt. Seine Freundschaft mit Erwin Panofsky, dem Begründer der kunstwissenschaftlichen Ikonologie in Hamburg, war nur eine jener Begegnungen mit Personen der Geistesgeschichte, die sein Leben und seine Kunst bereicherten. Bargheers Werk „ist der wichtigste Beitrag Hamburgs zur Malerei der Moderne“, schreibt Volker Plagemann. Der ehemalige Senatsdirektor der Hamburger Kulturbehörde hat diesen ersten Band der Hamburger Köpfe verfasst, der einem bildenden Künstler gewidmet ist.
Bargheer bereiste 1925 Florenz, seine frühen Paris-Aufenthalte verbanden die Kunst seiner Heimatstadt mit zeitgenössischen Positionen der internationalen Kunst, und er knüpfte Kontakte zu Wissenschaftlern am Kunsthistorischen Institut in Florenz, was ihm eine dauerhafte Bleibe in Italien während des Nationalsozialismus ermöglichte. Volker Plagemann hat für seine Biographie zahlreiche neue Quellen erschlossen, darunter der wichtige Briefwechsel mit der Hamburger Künstlerin Gretchen Wohlwill, die Bargheer seit 1927 auf zahlreichen Reisen begleitete. Beider intensiver freundschaftlicher Austausch erschließt neue Perspektiven auf die Künstler der Hamburgischen Sezession. Er beleuchtet darüber hinaus Wohlwills Weg in die von den Nationalsozialisten erzwungene Emigration.
Bargheer hat die norddeutsche Landschaft mit der Erfahrung des südlichen Lichtes zu berührenden Kompositionen zu verbinden vermocht. Seine Bilder voll eigentümlicher Schwermut versöhnen den deutschen Impressionismus mit dem Expressionismus. 1955 gehörte er zu den Künstlern, die die Bundesrepublik auf der ersten documenta der Weltöffentlichkeit repräsentierten. Dieser bilderreiche Hamburger Köpfe-Band zeigt ein weit gespanntes Künstlerleben, das mit Hamburg eng verbunden ist – schließlich hat Bargheer die Landschaft des Nordens neu gedeutet.
Plagemann, Volker, Eduard Bargheer, im Rahmen der Hamburger Köpfe herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2008, vergriffen
Gabriel Riesser
In Hamburg als Nachkomme einer traditionsreichen Rabbinerfamilie geboren, setzt sich der Rechtsanwalt, Journalist und Politiker Gabriel Riesser (1806 – 1863) sein Leben lang intensiv für die Gleichberechtigung der Juden ein: „Es war ein Kampf, den er fast gegen die gesamte Gelehrten- und Politikerwelt führen musste“, wie Arno Herzig in seinem soeben erschienenen Hamburger Köpfe-Band feststellt.
Als dem promovierten Rechtswissenschaftler wegen seiner jüdischen Herkunft eine Universitätskarriere und die Zulassung zur Advokatur verweigert wird, engagiert sich Riesser – selbst kein religiöser Mensch – publizistisch für die Gleichstellung der deutschen Juden: Juden seien eine Religionsgemeinschaft und keine Nation, seien entweder Deutsche oder heimatlos. Über Jahre schreibt und argumentiert er unermüdlich, bis er 1840 in Hamburg aufgrund einer Ausnahmeregelung schließlich doch Notar werden kann.
Riesser setzt sich auch als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung für die Judenemanzipation ein. Er „verstand seine Rolle in der Paulskirche nicht als Vertreter der jüdischen Minderheit, sondern des liberalen Bürgertums.“ Wortgewandtheit und Überzeugungskraft verschaffen ihm hohes Ansehen. Herausragend sind seine Verdienste um die Beratung der Grundrechte für die neue Verfassung. Dank ihm gelingt es, die Gleichstellung der religiösen Minderheiten in Deutschland durchzusetzen – mit dem In-Kraft-Treten der Grundrechte sind die Juden in Deutschland erstmals rechtlich voll emanzipiert.
So kann Riesser, mit 43 Jahren, in seiner Heimatstadt Bürger werden– und bleibt politisch aktiv. Er wird Mitglied und Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft. 1869 zum Richter am Hamburger Obergericht berufen und am Ausbau der neuen städtischen Verfassung beteiligt, wird Gabriel Riesser, dem man erst die Advokatur verwehrte, zu einem der höchsten Richter Hamburgs, ja: „Er war der erste jüdische Richter in Deutschland überhaupt.“
Wie der Historiker Arno Herzig darlegt, war Riesser als Sprecher aller Juden in Deutschland weithin anerkannt. Er hat „die falsche Scham getilgt, welche die sogenannten Gebildeten bei dem Namen Jude empfanden.“ Seine Schriften, Reden und politische Arbeit haben den Emanzipationsprozess der Juden entscheidend befördert. Herzig charakterisiert Riesser als gradlinige Persönlichkeit voller Unabhängigkeitsgefühl, als herausragenden, prägenden Vertreter des deutschen Judentums, als erfolgreichen Kämpfer für die Gleichstellung der Juden.
Arno Herzig, Gabriel Riesser, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, ISBN 978-3-8319-0311-5, 192 Seiten mit 52 Abb., Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2008, € 14,90
Alfred Toepfer
Der begeisterte Naturfreund und Wandervogel Alfred Toepfer (1894-1993) hatte Landwirt werden wollen – er wurde zu einem der bedeutendsten Getreide- und Futtermittelunternehmer Europas. Darüber hinaus war der einflussreiche Kaufmann auch „ein mächtiger Stifter“ – und Ehrenbürger seiner Vaterstadt Hamburg.
Jan Zimmermanns Hamburger Köpfe-Band charakterisiert Alfred Toepfer, geprägt von der Teilnahme an zwei Weltkriegen, als eine starke Persönlichkeit, die selbst geprägt hat: „Ordnungswille, Disziplin und Selbstdisziplin, Pflichtbewusstsein und Leistungsbereitschaft – diese Tugenden bestimmten Alfred Toepfers gesamtes Leben.“ Trotz intensiver Recherchen kann der Autor nicht alle biografischen Lücken schließen, Details der Freikorpszeit nach dem Ersten Weltkrieg etwa und der Internierung nach 1945 müssen offen bleiben. Während des Zweiten Weltkriegs ist Toepfer Abwehroffizier und wird zwischen 1945 und 1947 von den Alliierten interniert, doch ließen sich „Verstrickungen Toepfers in das verbrecherische Wirken des Nationalsozialismus nicht belegen, weder als Soldat noch als Unternehmer.“
Diese Biografie arbeitet die drei Leitaktivitäten Toepfers klug heraus, sein intensives Natur-Erleben und die Begeisterung für das Wandern, sein Geschick bei der Leitung des 1920 gegründeten, international tätigen Handelshauses und vor allem seine Faszination von einem geeinten Europa, der Idee Europa, der er sich intensiv widmet. 1932 nimmt die Stiftung F.V.S. in Hamburg ihre Tätigkeit auf. Alfred Toepfer lebt fortan „seinen gesellschaftspolitischen Tatendrang“ aus, unterstützt den Bau von Jugendherbergen, erwirbt Güter und lässt sie zu vorbildlichen Höfen umgestalten. Überzeugt davon, dass Preise ein weitreichendes Echo erzielen, etabliert Toepfer zudem ab 1935 hoch dotierte Auszeichnungen für kulturelle und wissenschaftliche Leistungen, darunter den Shakespeare-Preis. Er stiftet insgesamt rund 70 verschiedene Preise und Medaillen.
Unternehmerischer Erfolg schafft die materiellen Voraussetzungen für das beispielgebende mäzenatische Engagement Alfred Toepfers und der von ihm gestalteten, weithin wirkenden Stiftungsarbeit. Jan Zimmermanns Hamburger Kopf porträtiert nicht allein den Naturfreund, Unternehmer und Stifter Alfred Toepfer, sondern beleuchtet zudem, was dieser eindrucksvolle Angehörige der Hamburger Wirtschaftselite bewegt hat – bis heute.
Jan Zimmermann, Alfred Toepfer, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2008, vergriffen
Johann Hinrich Wichern
Er lebte ein Christentum der Tat – der Hamburger Theologe Johann Hinrich Wichern (1808 - 1881) kämpfte für die Schwachen und gegen die Gleichgültigkeit der Starken.
Der Theologe wagte angesichts großen sozialen Elends und weit verbreiteter Armut in Hamburg das pädagogische Experiment des Rauhen Hauses, mit großem Erfolg bis heute. Seine in christlicher Überzeugung wurzelnden Innovationen machen Wichern zum Begründer der inneren Mission, „zu einem der Gründungsväter für die moderne Pädagogik und insbesondere die Sozialpädagogik“.
Seine Biografin Sigrid Schambach charakterisiert Johann Hinrich Wichern als eine der stärksten und eindruckvollsten Persönlichkeiten des Protestantismus im 19. Jahrhundert. Er sah die Not der schlesischen Weber, Kinderarmut und soziales Elend, das in manchen Landstrichen mehr als 60 Prozent der Bevölkerung betraf. Mittel- und haltlosen Kindern eine Heimstatt, soliden Unterricht, Betätigung und menschliche Zuwendung zu geben – diese Ideen leiten Wicherns sozialreformerisches Tun. Der Pionier des Sozialen steht dem 1833 etablierten Rauhen Haus in Hamburg vor. Er entwickelt die Ausbildung der Zöglinge ebenso wie die der Erzieher. Wichern will Armut und Not bekämpfen, Staat und Gesellschaft von innen heraus heilen, durch christlichen Glauben und christliche Liebestätigkeit: „Innere Mission bedeutete für Wichern nicht nur Wortverkündigung in der Kirche, sondern christliche Tat draußen.“ Weit über Hamburg hinaus bekannt durch sein aktives Tun, durch Denkschriften und Vorträge, entwirft Wichern sein Konzept der inneren Mission. Später wirkt er außerdem an der Gefängnisreform in Preußen mit. Schambach porträtiert Wichern als Mann von „überragendem Leistungswillen, verbunden mit unbedingtem Sendungsbewusstsein.“
Als sich die Zeiten wandeln, die Arbeiterbewegung erstarkt und die soziale Frage politisch beantwortet, versteht Wichern die Welt nicht mehr. Sein patriarchalisches Führungsverständnis, die Orientierung am traditionellen Familienmodell bilden die sich verändernde Wirklichkeit nicht mehr ab. Der einstige Mann des Aufbruchs erstarrt in der Beharrung. Im 200. Geburtsjahr Johann Hinrich Wicherns hat Sigrid Schambach eine ebenso anschauliche wie vielschichtige Lebensbeschreibung in der Reihe Hamburger Köpfe vorlegt.
Sigrid Schambach, Johann Hinrich Wichern, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2008, vergriffen
Johan Melchior Goeze
Er gilt als Lessings Antipode: Johan Melchior Goeze (1717 – 1786), Theologe und langjähriger Hauptpastor an St. Katharinen in Hamburg. In der Hansestadt, damals eines der Zentren der deutschen Aufklärung, sah sich der in Halberstadt geborene wortmächtige Theologe immer wieder herausgefordert, vor Verweltlichungstendenzen der Religion zu warnen und eine rigorose Glaubensauffassung zu vertreten.
Seit 1760 war Goeze Senior der hamburgischen Kirche, also ihr wichtigster Wortführer und Repräsentant. Doch wurde er zunehmend als inquisitorisch empfunden, richteten sich seine Schriften und Predigten doch gegen die eigenen Glaubensbrüder, denen er sich zunehmend entfremdete. In einer Zeit, in der Streitfragen von der Kanzel aus öffentlich ausgefochten wurden, galt Goeze als unerbittlicher entschiedener Orthodoxer. Als die Kirchen als Bezugsstätten des Lebens an Bedeutung verloren und Kaffeehausgeselligkeit, Theater und Pressezirkel die Menschen anzuziehen und zu unterhalten begannen, reagierte der streitbare Wächter über den rechten Glauben panisch-polemisch: Er wurde „zum rücksichtslosen Kämpfer gegen die Ausweitung der Toleranz.“
Der Autor und bekannte Verlagslektor Ernst-Peter Wieckenberg erfasst den Charakter und das Wirken Goezes in seinem Hamburger Köpfe-Band und stellt ihn abseits des Klischees vom unerbittlichen Streiter und Zänker vor. Der aufkommenden Moderne, dem Nachlassen der Kirchlichkeit habe sich Goeze mit theologischer Kritik entgegengestemmt. In diesem Aufbegehren gegen eine sich verändernde Zeit, dieser „Modernisierungsverweigerung“ liege seine Tragik, sie habe ihn verhärtet und zu einem „Orthodoxismus“ geführt, den Gotthold Ephraim Lessing zu Recht so heftig kritisierte.
Ernst-Peter Wieckenberg, Hamburger Kopf Johan Melchior Goeze, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag Hamburg, 2007, ISBN 978-3-8319-0294-1, € 19,95
Joseph Carlebach
"Er sei ein Mann von innerer Stärke gewesen, von breiter, tiefer Bildung, eine unbestrittene Autorität, ein gläubiger Jude, der sich nicht verschloss, sich aber auch nicht assimilierte – Joseph Carlebach (1883-1942). Der bedeutende Oberrabbiner hat maßgeblich in Hamburg gewirkt bis zuletzt – am 26. März 1942 wurden er, seine Frau und drei Töchter ermordet.
Andreas Brämer, stellvertretender Direktor des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, porträtiert in der Buchreihe Hamburger Köpfe den „Wortführer des Hamburger Judentums“. Der Autor schildert die Lebensstationen des einflussreichen, charismatischen Carlebach, der in Lübeck zur Welt kam und dort auch seine Kindheit und Jugend verbrachte. Tiefe Religiosität und erzieherische Begabung zeichneten ihn aus. Als junger Dozent lebt er zwei Jahre in Jerusalem und setzt seine wissenschaftliche Ausbildung 1905 in Berlin fort. Traditionsbewusst und streitbar zugleich, sucht Carlebach nach geeigneter Betätigung. Der Erste Weltkrieg verschlägt ihn ins litauische Kaunas, wo er eine Schule gründet und leitet. Seine Enthusiasmus, seine Persönlichkeit, seine Kenntnisse wirken weit über die pädagogische Sphäre hinaus. 1920 wird er Rabbiner in seiner Heimatstadt Lübeck. Nicht lange danach zieht es ihn nach Hamburg, wo er weithin wirkt, zuerst in Altona und dann als Oberrabbiner der Hansestadt Hamburg, an die Bornplatz-Synagoge.
Die Biografie zeigt Carlebachs pädagogische Verdienste bei der Etablierung der Talmud-Tora-Realschule am Hamburger Grindel, die bald zur Modell-Institution wird, und die Ausstrahlung des Geistlichen, der auf die Orthodoxie und ihre Geschlossenheit orientiert. Angesichts des rassistischen Nationalsozialismus engagiert sich Carlebach für den Aufbau und die Festigung religiöser Einrichtungen. „Seine Hoffnung, dass das deutsche Judentum in Anbetracht der gemeinsamen Verfolgungserfahrung zu größerer Geschlossenheit gelangen werde, erwies sich letztendlich als Utopie“, so Andreas Brämer. Überzeugt davon, solange irgend möglich in Deutschland bleiben zu müssen, erwies sich Joseph Carlebach als vorbildliche, starke Persönlichkeit in mörderischer Zeit.Andreas Brämer, Hamburger Köpfe Joseph Carlebach, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2007
216 Seiten, 40 Abb., € 14,90; ISBN 978-3-8319-0293-4
Amandus Augustus Abendroth
Mit dem Hamburger Kopf Amandus Augustus Abendroth (1767 – 1842) lenkt der Autor
Daniel Tilgner den Blick auf einen bedeutenden Hamburger Politiker des 19. Jahrhunderts. Damals war die Hansestadt ein Zentrum der deutschen Aufklärung, und diesem Geist fühlte sich Abendroth in besonderem Maße verpflichtet.
Als er 1800 das Amt des Senators antrat, schwor er: „Niemals soll Hamburg diese Wahl bereuen!“ Er konnte nicht ahnen, unter welch schwierigen Bedingungen er seine politische Laufbahn fortsetzen würde – von 1806 bis 1814 war seine Heimatstadt fast ununterbrochen durch Truppen Napoleons besetzt. Abendroth, während dieser Zeit Amtmann von Ritzebüttel, musste mit den Durchzügen und der Einquartierung feindlicher Militärs fertig werden. „Gegen den Niedergang des Landes konnte Abendroth nichts ausrichten, aber für das Wohl seiner Bewohner erreichte er doch einiges.“ Schließlich lösten die Franzosen den Hamburger Senat auf, um die Stadt in das Reich Napoleons einzugliedern. An die Spitze der neuen Stadtregierung beriefen sie Abendroth. „Ohne Zweifel wusste er um die Gefahr, in den Geruch der Kollaboration zu geraten, doch gelang es ihm in den Wirren der folgenden Jahre, zumindest in politischen Kreisen diesen Vorwurf von sich fernzuhalten.“ Dies bestätigt nicht zuletzt seine Wahl zum Hamburger Bürgermeister im Jahr 1831.
Kennzeichnend für Abendroths politisches Wirken war vor allem sein sozial-karitatives Engagement. Er förderte die Armenfürsorge und schuf Bildungsangebote auch für sozial schwache Bevölkerungsschichten. Dabei sah er sich immer anderenorts nach bewährten Modellen um und übertrug diese dann in sein Verantwortungsgebiet. Nach Londoner Vorbild gründete er in Hamburg das Magdalenenstift, um Prostituierten einen Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft zu ermöglichen, und auch der erste Kindergarten der Hansestadt geht auf Abendroth zurück. „Es war typisch für ihn, dass er sich einer bereits vorhandenen nützlichen Sache annahm, sie vollständig durchdachte und mit zusätzlichen Argumenten und Ideen versehen neu in Gang setzte.“ In die Geschichte ging er vor allem durch zwei Innovationen ein: Im Jahr 1816 verwandelte Abendroth das kleine Fischerdorf Cuxhaven in ein Seebad, 1827 initiierte er die Hamburger Sparkasse. Mit Hilfe der so genannten ’Ersparungskasse’ konnten einfache Bürger ihr beiseite gelegtes Geld in ein zinsbringendes Guthaben umwandeln.
Sein Biograf Daniel Tilgner bezeichnet Abendroth als „aktiven Verfechter der Aufklärung […], in deren Geist eine Sache von Privatleuten zum Besten für die Gemeinschaft vorangetrieben und umgesetzt wurde“.
Daniel Tilgner, Hamburger Köpfe Amandus Augustus Abendroth, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2006, vergriffen
Hans Albers
Hans Albers (1891 - 1960) sei schon zu Lebzeiten ein Mythos gewesen, schreibt Matthias Wegner in seinem Hamburger Köpfe-Band. Der gebürtige Hamburger Albers, der strahlende Held mit den leuchtenden, blitzenden Augen, "muss der Prototyp eines Schulversagers gewesen sein", so Wegner. Mit dem Vater teilt er die Liebe zum Theater. Der junge Albers tritt 1911 zuerst in Bad Schandau auf, es folgen Demmin, Teterow, Bützow, und 1914 Hamburg, das Thalia-Theater. Nach drei Jahren im Krieg steht Albers wieder auf der Bühne. Berlin wird nun seine Stadt. Doch auch wenn seine burschikosen Auftritte gefallen, seine unverwechselbare Singstimme ankommt: "Ich musste zwanzig Jahre warten und schuften, bis meine große Chance kam", sagt Albers später. Er spielt in unzähligen Salonkomödien, Operetten und Revuen. Besser läuft es mit dem Filmen, das bringt Geld. Diese harten Jahre bedeuten "zu viel Alkohol, zu viel "Zocken", zu viele Frauen, abends Bühnenauftritte und tagsüber Filmaufnahmen." Sein Metier ist die Revue, und als Ende der 1920er Jahre Revuen die Bühnen erobern, wird Albers zum Star: "Ein Blick, und er hat das Publikum. Ein Ton, und er hat das Parkett", urteilt ein Kritiker.
Jeden Abend wollen Albers 2.000 Zuschauer auf der Bühne in Molnars "Liliom" sehen. Mit dem Tonfilm wächst ihm dann landesweite Wirkung zu, begeistern Filme wie "Der blaue Engel" und "Der Sieger" die Massen. 1932 ist er der populärste Filmschauspieler Deutschlands, "genießt die süße Droge Erfolg. Hans Albers war ihr mit Leib und Seele verfallen." Er, der sich nur für sich selbst interessiert, wirkt zwischen 1933 und 1945 in 20 Filmen als Kassenmagnet mit. Seine Egomanie wirkt als Schutz vor den braunen Machthabern, die er verachtet. "Er gehörte zu den Nutznießern, nicht aber zu den Willfährigen", bilanziert Wegner. "Er war mutig - für sich."
Der Hamburger Kopf Hans Albers zeigt diesen Schauspieler, der "wie kein anderer für die Bruchstellen der deutschen Geschichte" steht. Er verdeutlicht darüber hinaus, wie sehr seine Filme und vor allem seine Lieder die Ausstrahlung seiner Heimatstadt Hamburg bis heute entscheidend mit bestimmt haben.
Matthias Wegner, Hamburger Köpfe Hans Albers, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2005, vergriffen
Carl Philipp Emanuel Bach
Der "Hamburger Bach" - Leben und Werk von Carl Philipp Emanuel Bach
Der zweitälteste Sohn Johann Sebastian Bachs - Carl Philipp Emanuel Bach (1714 - 1788), im 18. Jahrhundert "großer Bach" genannt - geht wie seine Brüder durch die Schule des Vaters.
Nachdem er in Berlin als Kammercembalist Friedrich des Großen tätig war (1741-1768), übernimmt er 1767 als Nachfolger seines Patenonkels Georg Philipp Telemann das Amt des Johanneum-Kantors und ist Leiter der Kirchenmusik für die fünf Hauptkirchen in Hamburg. Nach 27 Jahren im Hofdienst erlebt Bach in der Hansestadt einen gänzlich anderen Wirkungskreis und verlagert seinen Schwerpunkt von der Instrumentalmusik auf die Vokalmusik. Hier entstehen seine Oratorien, Chorwerke und Kirchenmusiken. Überdies ist Bach als Virtuose, Dirigent und Verleger eigener Werke tätig. Sein Werk umfasst etwa 200 Klavierkompositionen, 19 Symphonien, zahlreiche geistliche Lieder und Oden sowie ein zweiteiliges Lehrbuch. In Hamburg zählt er bald zu den angesehensten Bürgern, ist mit Lessing, Klopstock, Claudius und anderen Dichtern befreundet. Mozart und Haydn schätzen ihn.
Dorothea Schröder schildert das wirkungsreiche Leben von Carl Philipp Emanuel Bach der als Hauptvertreter des empfindsamen Musikstils zu den berühmtesten Komponisten Europas gehörte. Heute wird seine individuelle Tonsprache neu entdeckt.
Dorothea Schröder, Hamburger Köpfe, Carl Philipp Emanuel Bach, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 112 Seiten, 33 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2014, Sonderausgabe, € 9,95, ISBN 978-3-8319-0562-1.
Albert Ballin
Albert Ballin - der "Souverän der Seefahrt"
"Mein Feld ist die Welt" - dieses Motto der Hapag Lloyd passt auch auf ihren Generaldirektor Albert Ballin (1857 - 1918), den einflussreichen Reeder der wilhelminischen Ära. Ballins Aufstieg vom Nobody zum "Souverän der Seefahrt" beginnt mit der Idee, Laderäume von Frachtschiffen für den Massentransport von Menschen herrichten zulassen. Zu Anfang reisen so vor allem russische Juden, die vor den Pogromen in die Vereinigten Staaten fliehen. Mit 31 Jahren jüngster Direktor der Hapag, setzt Ballin schon vor 1900 auf den Tourismus, veranstaltet regelmäßig Kreuzfahrten und unterhält eigene Reisebüros.
Man nannte ihn "des Kaisers Reeder": Wirtschaftlicher Erfolg und politischer Einfluss - beides wurde Ballin zuteil, doch blieb sich der stolze Jude seiner Außenseiterrolle stets bewusst. Der robuste, zugleich aber sensible Kosmopolit und Vertrauter Kaiser Wilhelms II. muss miterleben, wie die Spannungen zwischen Deutschland und England in den Ersten Weltkrieg mündeten. Trotz planvoller Diplomatie gelingt es ihm nicht, die Führung des Reiches vom Kriegskurs abzubringen - woran er zerbricht. Eindringlich schildert Susanne Wiborg den einmaligen wirtschaftlichen Aufstieg wie die persönliche Tragödie Albert Ballins.
Susanne Wiborg, Hamburger Köpfe Albert Ballin, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 144 Seiten, 57 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 4. Auflage 2013, € 12,95, ISBN 978-3-8319-0536-2.
Johannes Brahms
Hamburg versagte Johannes Brahms (1833-1897) die Anstellung als Leiter der Philharmonischen Konzerte, und so klagte der Sohn der Stadt: „Hätte man mich zur rechten Zeit gewählt, so wäre ich ein ordentlicher bürgerlicher Mensch geworden.“ Da er in seiner Vaterstadt keinen Musikberuf ausüben konnte, schuf er schließlich in Wien sein sinfonisches und kammermusikalisches Lebenswerk.
Der Musikpublizist Matthias Kornemann folgt in seinem Hamburger Köpfe-Band den Lebens- und Erfahrungsspuren des musikalischen Genies Brahms. Er rekonstruiert dessen Jugend- und Lehrjahre in Hamburg, beginnend mit dem ersten Konzert 1848 und der Darbietung eigener Variationen bereits ein Jahr später. 1853 geht Brahms auf eine erste Konzertreise, mit der „sein Leben in eine beispiellos ausholende Bahn geriet.“
Kornemann zeichnet in dieser distanziert-kundigen Biografie die Entwicklung Brahms nach, die „ihn von einer blassen, völlig unbekannten Gestalt des Hamburger Kleinbürgermilieus zu einer in allen Musikzirkeln Europas diskutierten Berühmtheit machte, nahezu einzigartig in der Musikgeschichte.“ Nicht Brahms, wie die Literatur ihn erfand, interessiert Kornemann, sondern er blickt hinter die Lügen und Legende, analysiert den bekannten Huldigungsartikel des verfallenden Mentors Robert Schumanns, schildert, wie die exaltierten Zuschreibungen auf den jungen Komponisten zum unpersönlichen, abstrakten Märchenbild gerinnen, ihn hemmen und belasten.
Dank Matthias Kornemann erfahre man „die wirkliche Wahrheit über Johannes Brahms“, schrieb DIE WELT denn auch nach Erscheinen des Bandes: Der Autor sucht „das Beziehungsgeflecht zwischen Brahms und Robert und Clara Schumann zu entwirren, so schwierig der Legendenpanzer auch zu sprengen ist, den Clara sich, ihrem geistesverwirrten Gatten und ihrem verliebten Hausfreund umlegte.“ In dieser Brahms-Biografie wird die Ungleichzeitigkeit eines Künstlerlebens sichtbar, das schließlich auseinanderklafft in künstlerische Entwicklung und armseliges Leben.
Matthias Kornemann, Hamburger Köpfe Johannes Brahms, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2014, 184 Seiten mit 31 Abb., ISBN 978-3-8319-0586-7, € 9,95.
Max Brauer
Der populäre Patriarch Max Brauer - eine sozialdemokratische Karriere für Hamburg
Er ist der bekannteste Bürgermeister Hamburgs im 20. Jahrhundert: Max Brauer (1887-1973). Zunächst Oberbürgermeister von Altona, präsidiert Brauer von 1946 bis 1953 und von 1957 bis 1960 dem Hamburger Senat - sein Name ist untrennbar verbunden mit dem erfolgreichen Wiederaufbau der Hansestadt nach dem 2. Weltkrieg. Helmut Schmidt beschreibt ihn in seinem Nachruf als "Arbeiter, sodann Autodidakt und politischen Führer, dem insbesondere die kleinen Leute vertrauten."
Von Max Brauers Verwurzelung in seiner Vaterstadt Altona, vom sozialen Aufstieg des gelernten Glasbläsers durch die Sozialdemokratie zum geachteten Stadtoberhaupt handelt Axel Schildts anschauliche, mehr als vierzig Jahre politisches Wirken umspannende Biographie. Der Historiker Schildt, Leiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, würdigt Brauers Engagement für seine Vaterstadt vom Beginn seiner politischen Tätigkeit 1916 bis zur Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten, der Flucht ins rettende Exil. Der Remigrant wird zur prägenden Gestalt der Hamburger Nachkriegspolitik. Geschätzt wegen seines politischen Instinkts, seines Weitblicks und Charismas, kann er lange als Erster Bürgermeister wirken - ein populärer Patriarch.
Axel Schildt, Hamburger Köpfe Max Brauer,
Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 144 Seiten, 43 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2014, vergriffen
Justus Brinckmann
Museumsmann aus Passion - Justus Brinckmann
Redakteur, Jurist, Kunstkenner, Museumsgründer - Justus Brinckmanns (1843-1915) weit gefächerte Betätigungen kennzeichnen eine reiche, vielfältig begabte Persönlichkeit. Als seine Lebensaufgabe sah er das Sammeln, Erforschen, Ordnen und Präsentieren des "Kunstgewerbes" an. 1866 rief er in Hamburg zur Gründung eines Museums für Kunst und Gewerbe auf. Durch keine Sammlung gebunden, entwickelte er dessen Konzept nach eigenen Vorstellungen nicht als Kunstgewerbe-Museum, sondern als Zeugnis für die Einheit der Künste. Sein Plan wurde 1877 Wirklichkeit - und er selbst zum Leiter des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Mit großem Sachverstand und Geschick wusste er in seinem Haus eine europaweit bedeutende Sammlung zu schaffen. Die Aufmerksamkeit für die Plakatkunst gehört ebenso dazu wie die für Fotografien wie für den Jugendstil und ostasiatische Kunst, die er in Deutschland propagiert.
Heinz Spielmann, selbst erfahrener Museumsmann, porträtiert Brinckmann und stellt dessen Museumskonzeption in der Tradition der Arts-and-Crafts-Bewegung und beeinflusst von William Morris und Gottfried Semper vor und dokumentiert sein Sammlergeschick. Hamburg verdankt Brinckmann ein großes Museum.
Heinz Spielmann, Hamburger Köpfe Justus Brinckmann, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 120 Seiten, 38 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2002, € 14,90, ISBN 978-3-8319-0013-8.
Barthold Hinrich Brockes
"Meine Seele hört im Sehen" - der sprachmächtige, bildkräftige Dichter Barthold Hinrich Brockes
Barthold Hinrich Brockes (1680 - 1747) gilt als sprachmächtiger und bildkräftiger "Vater der deutschen Naturlyrik". "Die folgenden Seiten hat kein Unbeteiligter geschrieben" bekennt sein Biograph Eckart Kleßmann. Er würdigt das reiche Leben des Dichters und Hamburger Ratsherrn. Denn seit 1720 gehört Brockes auf Lebenszeit dem Rat seiner Heimatstadt an und wirkt sieben Jahre lang als Amtmann in Ritzebüttel, dem heutigen Cuxhaven. Er initiiert eine Gesellschaft zur Pflege der deutschen Sprache - und ist Mitbegründer der Patriotischen Gesellschaft von 1723, für deren Journal Der Patriot er im Geist der Frühaufklärung schreibt.
Irdisches Vergnügen in Gott - als 1721 der erste von insgesamt neun Bänden mit 5675 Seiten erscheint, macht das lyrische Werk den Autor in kurzer Zeit im ganzen deutschen Sprachraum berühmt. Die literarische Welt des 18. Jahrhunderts blickte nach Hamburg - erhielt von Hamburg aus durch Brockes entscheidende Impulse. Brockes Dichtung öffnet dem Leser die Augen und lehrt ihn, die Welt als Offenbarung Gottes, zu sehen, wie sie sich in der Schönheit der Natur zeigt: "Wie ein Liebhaber an der Geliebten hängt er an einer Blume, an einer Frucht, an einem Gartenbeet, einem Tautropfen! Mit überströmender Wortfülle malt er seinen Gegenstand", urteilt Johann Gottfried Herder. Brockes’ beobachte und beschreibe präzise und beziehe so die Erfahrung der Sinne ein, wie Kleßmann betont, wir verdankten ihm eine neue Art des Sehens.
Eckart Kleßmann, Hamburger Köpfe Barthold Hinrich Brockes, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 120 Seiten, 31 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2003, vergriffen
Ernst Cassirer
Ernst Cassirer (1874 – 1945) war einer der letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts und der bedeutendste Philosoph, den die Universität Hamburg für sich zu gewinnen wusste. In seinen produktiven Jahren als Berliner Privatdozent hatte sich Cassirer bereits durch seine historisch wie systematisch grundlegenden Werke zur Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie einen Namen gemacht. Seit seiner Berufung an die neugegründete Hamburgische Universität hat er zwischen 1919 und 1933 den wirkungsmächtigen systematischen Teil seines Lebenswerkes erarbeitet. Sein opus magnum, die "Philosophie der symbolischen Formen", entwickelt die Einsicht in die Unhintergehbarkeit der Kultur für das Verständnis des Menschen. Der Mensch hat als animal symbolicum seine Wirklichkeit in der Kultur als der Sphäre selbstgeschaffener Werke aller Art: „Kultur“ meint damit nichts anderes als das System aller möglichen Weisen der aneignenden Sinnstiftung durch Symbolerzeugung. In Sprache, Mythos, Religion, Kunst, Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Recht und Moral schaffen die Menschen sich selbst in ihrer Welt. In seiner methodischen Bemühung um die Einheit der Kultur und die Einheit der Wissenschaft, die im Horizont seiner Philosophie der symbolischen Formen als einer Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen steht, darf Cassirers Denken als richtungweisend gelten.
In seinem Hamburger Köpfe-Band zeigt Thomas Meyer die Anfänge des bedeutenden Denkers in Berlin und Marburg nach, sein wachsendes akademisches Renommee, die legendäre Disputation mit Martin Heidegger 1929, Cassirers Rektorat in Hamburg und sein öffentliches Eintreten für die Demokratie. 1933 muss Cassirer Deutschland verlassen, eine Emigrationsodyssee führt ihn von Schweden in die USA, wo er 1945 stirbt.
Als „großes Porträt“ (Süddeutsche Zeitung, 5.12.2006), als „maßgebliche Lebensdarstellung“ (Berliner Zeitung, 2.1.2007), als „höchst verdienstvolle Biografie“ (DIE ZEIT, 4.1.2007) wurde das Buch sogleich aufgenommen. Thomas Meyer zeigt darin, dass Cassirer vermochte, die philosophischen Probleme in ihrem historischen Zusammenhang zu sehen und so den großen abendländischen Denkprojekten eine Linie zu geben und für die Gegenwartsdiskussion fruchtbar zu machen.
Thomas Meyer, Hamburger Köpfe Ernst Cassirer, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 296 Seiten, 45 Abb., ISBN 978-3-8319-0217-0 19,95 Euro
Ida Ehre
„Wiener Charme und hanseatische Gediegenheit“ - die „verehrte Prinzipalin“ Ida Ehre
Als Gründerin und langjährige Leiterin der Hamburger Kammerspiele hat Ida Ehre (1900- 1989) Theatergeschichte geschrieben: "Ihr Theater erschien den Menschen in Hamburg nach Jahren der Zensur, der Bomben und des Hungers wie ein Paradies" - mit diesen Worten beschrieb Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau die 1945 gegründeten Hamburger Kammerspiele: Hier wurde 1947 Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür uraufgeführt, gelangten Thornton Wilders Wir sind noch einmal davongekommen und Franz Werfels Die Troerinnen des Euripides auf die Bühne. Ida Ehre faszinierte und bewegte das Publikum durch ihre starke schauspielerische Leistung - sowie das Zeitgefühl der deutschen Nachkriegsjahre auf der Bühne auszudrücken.
Die in Wien geborene Ida Ehre, die als Jüdin während des Nationalsozialismus im Gefängnis in Fuhlsbüttel inhaftiert war, legte ihre ganze Energie in die Theaterarbeit und machte die Kammerspiele zu einer einmaligen Institution, schuf in Hamburg "Welttheater auf kleinster Bühne", so Anna Brenken über die Charakterdarstellerin, Intendantin und kämpferische Bürgerin Ehre.
Anna Brenken, Hamburger Köpfe Ida Ehre,
Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 104 Seiten, 33 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2002, vergriffen
Carl Hagenbeck
Der Tierpark Hagenbeck in Hamburg-Stellingen öffnete am 7. Mai 1907 seine Tore und setzte Maßstäbe in Haltung und Präsentation wilder Tiere. ZEIT-Journalist Haug von Kuenheim portrtiert den Zoo-Begründer Carl Hagenbeck (1844-1913) in seinem Hamburger Kopf als außergewöhnlichen Kaufmann mit innovativen Geschäftsideen, die überdauert haben – Hagenbeck ist zum Markenzeichen geworden.
Originalität und Geschäftstüchtigkeit, Risikobereitschaft und Menschenkenntnis zeichneten Carl Hagenbeck aus. Mit 15 Jahren steigt er in den väterlichen Fischhandel auf St. Pauli ein. Die sechs Seehunde, die der Vater 1848 erstmalig den staunenden Hamburgern präsentiert, machen klar: „Man kann Geld verdienen, indem man Leuten Tiere zeigt. Und man kann Geld verdienen, wenn man Tiere verkauft. Der Hagenbeck’sche Tierhandel nahm seinen Anfang.“ Carl mit seiner Passion für die Tierwelt scheut das risikoreiche und gelegentlich auch verlustreiche Geschäft nicht. Als Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland die ersten zoologischen Gärten entstehen und die Eisenbahn Tiertransporte über lange Strecken ermöglicht, übernimmt Carl die „Handlungs-Menagerie“ des Vaters. Er, der kaum die Schule besucht hat, lernt aus praktischer Erfahrung, wobei ihm seine zupackende Arbeitsweise zustatten kommt – ob ausgerissene Elefanten auf der Lombardsbrücke wieder einzufangen oder Löwen zu bändigen sind. Ehrgeiz und Geschäftssinn machen Carl Hagenbecks Tierhandlung „zur ersten Adresse auf dem Kontinent“, das Motto des Hamburgers: „fix oder nix“. Hagenbeck etabliert auch die seinerzeit sensationellen – und überaus lukrativen – Menschenschauen, die in ganz Europa zu sehen sind. Aus den „Thier-Menagerien“ werden oft zoologische Gärten, und Hagenbeck, der „zoologische Großindustrielle“, der 20 Tierfänger unter Vertrag hat und 15 Tierstationen in Afrika, Asien und Europa unterhält, verschmilzt den Handel mit Tieren und deren Präsentation, als er 1874 am Neuen Pferdemarkt „Carl Hagenbeck’s Thierpark“ eröffnet. Der clevere Geschäftsmann entwickelt zudem das neuartige „naturkundliche Panorama“, das er sich 1896 patentieren lässt – ein naturgetreues Abbild der natürlichen Lebenssituation fremder Tiere zu schaffen und sie darin zu zeigen. Diese revolutionären inszenierten Zoo-Landschaften, die Freilufthaltung der Tiere, machen Hagenbecks Tierpark einmalig. Kuenheim schildert den risikoreichen Geschäftsmann und macht die beeindruckende Lebensleistung Hagenbecks deutlich, seine Ausstrahlung, Popularität und Wirksamkeit: Er habe ein Welthaus geschaffen, sein Leistungswillen sei mit dem von Krupp, Siemens und Rockefeller vergleichbar – Carl Hagenbeck ist eine prägende hanseatische Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts.
Haug von Kuenheim, Hamburger Köpfe , herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2015, 216 Seiten, 66 Abbildungen, € 9,95, ISBN 978-3-8319-0627-7.
Conrad Hansen
"Die Begabung ausweiten in immer tieferes Verstehen“ - der Klaviervirtuose Conrad Hansen
Schon früh zeigt sich Conrad Hansens herausragendes Talent: 1906 in Lippstadt geboren, geht der Fünfzehnjährige allein ins ferne Berlin, um zu lernen. Sein Kapital - sein virtuoses Klavierspiel. Er macht sich das Credo seines Lehrers Edwin Fischer zu eigen, dass der Interpret "nur noch Medium, nur Mittler zu sein habe zwischen dem Göttlichen, dem Ewigen und dem Menschen." Der Ton- und Klangfanatiker Hansen widmet seine Verstehens-Kunst großer Musik vor allem Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Chopin und Liszt - er feiert weltweit Triumphe als Konzertpianist. 1945 siedelt Hansen nach Hamburg über und entdeckt auch seine Liebe zur Vermittlung von Musik. Neben Solo-Auftritten und Konzerten mit seinem Hansen-Trio initiiert er unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eine Musikhochschule in Detmold. Zwischen 1960 und 1984 lehrte der Klaviervirtuose und Musikpädagoge an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er stirbt 2002 in der Hansestadt.
Hansen hat Bedeutendes für das Musikleben im Nachkriegsdeutschland getan. Sein selbstgesetzter Anspruch: "Aus dem Notenbild herauslesen: Was passiert da? Und dann versuchen, die Erkenntnisse in Klanggeschehen umzusetzen. Die Begabung ausweiten in immer tieferes Verstehen. Sich dem Leben aussetzen."
Heinz Josef Herbort, Hamburger Köpfe Conrad Hansen, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2001, vergriffen
Friedrich Gottlieb Klopstock
Klopstock - Dichter der Seele
Hamburgs "Klopstockzeit" ruft der zweihundertste Todestag des Dichters mit einer neuen Biographie wieder in Erinnerung. Klaus Hurlebusch, Leiter der Klopstock-Arbeitsstelle der Hamburger Klopstock-Ausgabe, zeichnet das wechselreiche Wirken dieses "ersten deutschen Berufsschriftstellers" (Peter Rühmkorf) nach: Er, der "ungekrönte König im geistigen Leben Hamburgs von 1770 bis 1803", sei ein Stern erster Ordnung, der nicht mehr strahle. Der Heilssänger des Messias, einst als "Patriarch der deutschen Dichtkunst" verehrt, war mit fortschreitender Säkularisierung der Gesellschaft nur noch für Literaturfreunde und Germanisten von Interesse. Dass die Nationalsozialisten ihn als "Großen des deutschen Geistes" feierten, hat ihn nach 1945 kompromittiert. Hurlebusch hebt hervor, dass Klopstock die deutsche Literatur um die Sprache des Gefühls bereichert und die Erneuerung des Seelenlebens zum Angelpunkt des Dichtens gemacht habe. Und im Spiegel seiner Biographie zeigt der Autor Hamburg als Metropole der deutschen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Klaus Hurlebusch, Hamburger Köpfe Friedrich Gottlieb Klopstock, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 128 Seiten, 33 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2003, vergriffen
Eva König
Eva König (1736 - 1778) sei ihrem Mann Gotthold Ephraim Lessing ebenbürtig gewesen, schreibt Paul Raabe in seiner Biographie und nennt sie "eine der tragischen Frauengestalten in der Literaturgeschichte" - eben weil man sie nur als Beiwerk zum Leben eines berühmten Mannes kenne. Raabes Hamburger Köpfe-Band rückt Eva König nun aus dem Schatten Lessings ins Licht der Leser.
Wie die gebürtige Heidelbergerin den Kaufmann Engelbert König heiratet und mit ihm nach Hamburg geht, ihm sieben Kinder gebiert und der berühmte Dichter Lessing zum "aufgeschlossenen und anregenden Freundeskreis" der Familie gehört, legt Raabe im ersten Teil seiner Biographie dar. Drei produktive Jahre verlebt Lessing in Hamburg, wo er das Schauspielhaus am Gänsemarkt zu einem Deutschen Nationaltheater umgestalten soll - seine "Hamburgische Dramaturgie" hat dieser Zeitspanne ein literarisches Denkmal gesetzt.
Der Dichter wird 1768 Pate des jüngsten Kindes von Eva König. Als ihr Mann 1769 stirbt, bittet er Lessing: "Nehmen Sie sich meiner Frau und Kinder an." Eindrücklich schildert die Biographie, wie die Kaufmannswitwe den Samt- und Seidenhandel ihres verstorbenen Mannes in Wien besorgt, wie eigenständig sie die Geschäfte führt und als Unternehmerin aktiv wird: "Eva König war eine angesehne und geschätzte Fabrikantin, selbstsicher und frei nach außen, gewandt in der Konversation, klug und souverän in ihren Verhandlungen."
Der in Wolfenbüttel ansässige Lessing wird in den folgenden Jahren Eva Königs Vertrauter, schließlich bekennen sie einander ihre Liebe und verloben sich 1771. Dass die tätige Eva König es mit dem schwierigen Dichter, mit seiner "negativen Lebensauffassung, seiner Hypochondrie, seiner Briefsaumseligkeit" nicht leicht hat, lässt Raabe deutlich werden. Als die beiden 1776 heiraten, ist Eva König 40 und Lessing 47 Jahre alt. Das Paar lebt fortan in Wolfenbüttel. Doch die Geburt des ersten gemeinsamen Sohnes bedeutet den Tod von Kind und Mutter. Lessing schreibt 1778 in verzweifeltem Schmerz: "Wenn Du sie gekannt hättest!"
Raabe zeigt, dass Eva König mit ihrer Herzensgüte und Lebensklugheit, ihrer Tüchtigkeit und Treue in ihrem Wesen Lessing in nichts nachgestanden hat. Er erzählt ein Frauenleben im 18. Jahrhundert. Auf kluge, einfühlsame Weise macht dieser Hamburger Köpfe-Band mit Eva König bekannt.
Paul Raabe, Hamburger Köpfe Eva König, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2005, vergriffen
Alfred Lichtwark
Der konsequente Kunsterzieher Alfred Lichtwark
Alfred Lichtwark (1852-1914), der Hamburger Müllerssohn, große Kunstpädagoge, Kulturförderer und Museumsmann, begründet eine wegweisende kunsterzieherische Tradition und gibt der Hamburger Kunsthalle seit 1886 ihr unverwechselbares Profil als Ort der Gegenwartskunst. Sein Credo: "Wir wollen nicht über die Dinge reden, sondern von den Dingen und vor den Dingen."
Rudolf Großkopff zeichnet Lichtwarks "unsystematischen Werdegang" nach. Der spätere Museumsmann promoviert in Leipzig und ist dann in Berlin journalistisch tätig, wo er die wichtigsten Maler seiner Zeit kennen lernt. Mit Beginn seiner Direktorentätigkeit an der Hamburger Kunsthalle wird sein weitgesteckter Anspruch als Kurator sichtbar. Trotz aller Widerstände - für die Zeitgenossen war sein Bekenntnis zum Impressionismus eine Provokation - öffnet er das Museum für die Gesellschaft, verankert es in der Stadt und verfolgt zudem sein fortschrittliches pädagogisches Programm. So würdigt diese Biographie die Lebensleistung des konsequenten, zukunftsweisenden Kunsterziehers Lichtwark.
Rudolf Großkopff, Hamburger Köpfe Alfred Lichtwark, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 144 Seiten, 33 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2002, vergriffen
Rolf Liebermann
Rolf Liebermann – „ein Glücksfall für das Opernleben Hamburgs"
Rolf Liebermann (1910-1999) hat nicht nur die Hamburgische Staatsoper und das kulturelle Leben der Hansestadt geprägt, sondern weit darüber hinaus gewirkt. Zu Beginn seiner Hamburger Zeit leitet er die Hauptabteilung Musik beim Norddeutschen Rundfunk, es folgen viele Jahre an der Hamburgischen Staatsoper. Liebermanns Einstellungsgespräch dauert nur wenige Minuten, hatte er doch auf die Frage nach seinen Konzeptionen geantwortet: "Es kann doch nur die Praxis etwas zeigen." Hemmschwellen vor der Avantgarde abzubauen und der Oper beispielsweise mit günstigen Tarifen für Studenten und Jugendlichen ein neues, junges Publikum zu erschließen - beides hat Liebermann in Hamburg erfolgreich praktiziert. Die "Ära Liebermann" währt schließlich von 1959 bis 1973. Dass der Intendant nach sieben Jahren als künstlerischer Direktor der Grand Opéra in Paris 1985 erneut an die Hamburger Oper zurückkehrt, zeigt Liebermanns Verbundenheit mit der Hansestadt.
"Kompakt und gut recherchiert" nennt DIE WELT Gisa Aurbeks Liebermann-Biographie. "Mit anschaulichen Anekdoten, Berichten von Zeitzeugen und viel Faktenwissen zeichnet Aurbek ein konzentriertes und lesenswertes Porträt, ohne den charismatischen Opernmann zu verklären."
Gisa Aurbek, Hamburger Köpfe Rolf Liebermann, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 137 Seiten, 36 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2001, vergriffen
Herbert List
Fotografie als Magie - das Werk des Fotokünstlers Herbert List
Sein Biograph nennt ihn "einen der bedeutendsten Fotokünstler des zwanzigsten Jahrhunderts" - Herbert List (1903 - 1975). Der Sohn eines Hamburger Kaffeehändlers führt lange Jahre eine Doppelexistenz. Er, der den väterlichen Betrieb übernehmen soll und deshalb nach Guatemala, Brasilien und Mexiko reist, beginnt zu fotografieren. Es ist der Beginn eines rastlosen kreativen Lebens, das Emanuel Eckardt in seinem abbildungsreichen Hamburger Kopf beschreibt. Herbert List gewinnt Gustaf Gründgens und Oskar Kokoschka, Erika und Klaus Mann als Freunde. Doch er führt auch ein Leben außerhalb der Bohème, wird 1929 Prokurist bei List & Heineken, betreibt das Fotografieren als Passion: "Seine Bilder sind musikalisch, in Grauwerte vertonte Realität."
Als die geschäftlichen Einschränkungen zunehmen, und Lists Homosexualität während des Nationalsozialismus Anstoß erregt, verlässt er Deutschland, lebt in London, Paris und Athen - dort, fasziniert von der Antike, schärft er seinen fotografischen Blick. Die Fotografie wird zum Beruf. Nach Deutschland zurückgekehrt, zeigt List seine Meisterschaft in der Reportage, wird nach dem II. Weltkrieg zum Chronisten der "Stunde Null". Herbert List ist nun berühmt, nicht zuletzt wegen seiner Porträts, die Gesichter der Epoche einfangen: "Wenn das Objektiv wirklich objektiv wäre, hätte die Fotografie nichts mit Kunst zu tun, da es jedoch sehr subjektiv sein kann, ist es ebenso reich an Ausdrucksmöglichkeiten wie Meißel, Pinsel oder Zeichenstift."
Die Biographie Herbert Lists gründet auf dem unveröffentlichten Nachlass des Fotografen und zeigt eine Fülle seiner Fotografien - sie vermag zu zeigen, dass Lists Werk keine Patina ansetzt, dass es nicht verstaubt, sondern auf ganz eigene, unzerstörbare Weise zeitlos ist.
Emanuel Eckardt, Hamburger Köpfe Herbert List, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 144 Seiten, 79 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag Hamburg 2003, vergriffen
Hans Erich Nossack
Die erste Biographie Hans Erich Nossacks in der Reihe Hamburger Köpfe
"Ich habe den Untergang Hamburgs als Zuschauer erlebt" - so beginnt Hans Erich Nossacks Erzählung "Der Untergang" über die Luftangriffe auf die Hansestadt im Sommer 1943. Der Zweiundvierzigjährige ist als kaufmännischer Angestellter tätig. Er verliert Wohnung und Habe sowie alles, was er bis dahin - für die Schublade - geschrieben hat: "Für mich ging die Stadt als Ganzes unter". Doch verbindet sich mit diesem "Untergang" auch die Geburtsstunde des Schriftstellers Nossack: "Mit dem Berichterstatter des ‚Untergangs’ hat er seinen eigenen erzählerischen Ton und Gestus, eine unverwechselbare literarische Handschrift gefunden", schreibt Gabriele Söhling in ihrer Biographie.
Der in Hamburg geborene Hans Erich Nossack (1901 - 1977) gehört zu den großen Außenseitern der Nachkriegsliteratur. Gabriele Söhling, die bereits die Briefe Nossacks edierte (siehe auch unter Publikationen), legt nun in der Reihe Hamburger Köpfe die erste Biographie des "bestgetarnten deutschen Schriftstellers" (Nossack über Nossack) vor. Sie schildert seine Jugend in Hamburg, das abgebrochene Studium, die politischen Pendelausschläge vom Freikorpsstudenten zum KPD-Mitglied und die Zeit der inneren Emigration während des Nationalsozialismus. Das jahrzehntelange Doppelleben als Kaufmann und Schriftsteller kann Nossack erst 1956 aufgeben, im Literaturbetrieb der 1960er- und 1970er Jahre genießt er hohe Anerkennung, erhält 1961 den Büchner-Preis.
Diese präzise recherchierte und klug komponierte Lebensgeschichte macht einen introvertierten Einzelgänger sichtbar, der bei allen Erfolgen "sich und den anderen fremd bleibt". Grundiert wird diese Biographie von Nossacks Überzeugung, was von der Literatur unserer Tage übrigbleiben werde, könne nur Monolog sein.
Gabriele Söhling, Hamburger Köpfe Hans Erich Nossack, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 222 Seiten, 41 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2003, € 19,95, ISBN 978-3-8319-0127-2.
Friedrich Christoph Perthes
Nicht nur der Mond wurde in Hamburg erfunden (von Mathias Claudius), sondern auch der Sortimentsbuchhandel (von Claudius’ Schwiegersohn Friedrich Christoph Perthes). Der gebürtige Rudolstädter Friedrich Christoph Perthes (1772 - 1843) erwirbt 1798 das Bürgerrecht in Hamburg, wo er 1796 eine neuartige Buchhandlung eröffnet, der sofort viele Kunden zuströmen – 1814 gilt sie als größte in Deutschland. Dieser Neubürger ist ein Glückfall für Hamburgs geistiges Leben. Belesen und kontaktfreudig, die Denkströmungen seiner Zeit durch vielfältige Verbindungen aufnehmend, ist Perthes der umtriebige, kommunikationsgeschickte Buchhändler schlechthin.
Niemand besitze wie er so viel Kenntnis von der Nützlichkeit der verschiedensten Werke der Literatur aller Völker, niemand wisse sie so gut zu finden und anzuschaffen, schreibt Inge Grolle in ihrer Perthes-Biographie in der Reihe Hamburger Köpfe. Perthes Neugier und Regsamkeit werden weithin gerühmt, und so zeichnet seine Biographin die Verbindungen des gelehrten Buchhändlers nach Dänemark, Schweden und St. Petersburg nach, berichtet von seinen zahlreichen Briefwechseln und persönlichen Bekanntschaften. „Als Verbreiter von Gedankengut fühlt er sich im Besitz einer Macht, auf welche die Intellektuellen angewiesen waren. Selbst nicht Gelehrter, sah Perthes in seiner Stellung als Verbreiter wissenschaftlicher Schriften die Möglichkeit, Gelehrten eine Freistätte zu bieten.“
So knüpft Perthes nicht allein Bücher-Bande, er engagiert sich auch politisch – gegen die Franzosenherrschaft und ihre unerträglichen Zensurbestimmungen, und zugunsten der Bürgerwehr und der Armenhilfe in Hamburg. In einer Zeit territorialer Zerrissenheit fasst er sein Gewerbe als „Transportmittel nationalen Geistes“ auf, sieht Bücher als „Bindungs-Mittel der Deutschen“ an. Nach jahrzehntelanger erfolgreicher Arbeit in Hamburg geht Perthes 1822 nach Gotha, wo er den Gothaer Verlag gründet, wenig später begründet er den Börsenverein der Deutschen Buchhändler mit, ruft dann 1834 das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels ins Leben.
Inge Grolles Perthes-Biographie ist Lebensbeschreibung und Zeitpanorama in einem: Perthes wird als „Anwalt des deutschen Buchhandels“, als außergewöhnlicher Buchhändler sichtbar, der für die Entwicklung der Lesekultur Unschätzbares getan hat.
Inge Grolle, Hamburger Köpfe Friedrich Christoph Perthes, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2004, 152 Seiten, 44 Abbildungen, 14,90 Euro, ISBN 978-3-8319-0183-8.
Carl Petersen
Carl Petersen - ein Hamburger Liberaler in Zeiten des Umbruchs
Als Carl Petersen (1868-1933) politisch aktiv wird, ist der Rechtsanwaltsberuf Voraussetzung für eine politische Karriere. Aus guter Hamburger Familie stammend, erlebt er Kaiserreich, Weltkriegszeit und die unruhigen Jahre der Weimarer Republik. Die hamburgische Konsens-Tradition hatte sich überlebt: Das erfährt er als Mitglied in der Bürgerschaft, später dann als Senator und Erster Bürgermeister. Petersen bekennt sich zu liberaler Politik - er ist Mitbegründer der Vereinigten Liberalen in Hamburg und steht schließlich der Deutschen Demokratischen Partei vor. Er akzeptiert die Sozialdemokraten als neue politische Kraft. Seit 1919 gehört er der Nationalversammlung an, leitet den Untersuchungsausschuss zu Ursachen und Verlauf des Ersten Weltkrieges.
Die Historikerin und Journalistin Sigrid Schambach schildert Petersen als Mann der Kompromisse. Dass gerade dieser Hamburger Bürgermeister - "die herausragende politische Persönlichkeit Hamburgs in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik" - die brutale Machtdurchsetzung der Nationalsozialisten miterleben musste, bleibt eine bittere Erfahrung am Ende eines reichen politischen Lebens, unmittelbar gezeichnet durch historische Umbrüche - und liberales Engagement.
Sigrid Schambach, Hamburger Köpfe Carl Petersen, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 112 Seiten, 22 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2001, vergriffen
Otto Stolten
Otto Stolten - der erste Sozialdemokrat im Hamburger Rathaus
Im Jahre 1901 wird Otto Stolten (1853-1928) als erster und zunächst einziger Sozialdemokrat in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt. Ein gelernter Schlosser zieht dort ein, wo sonst nur Angehörige des wohlhabenden Bürgertums unter sich sind. 1904 übernimmt Stolten den Vorsitz der ersten Sozialdemokratischen Fraktion und wird 1919 als erster SPD-Politiker mit dem Amt des Zweiten Bürgermeisters betraut, das er bis 1925 inne hat. Anfangs als enfant terrible wahrgenommen, beginnt mit dem wachsenden Wahlerfolg der Sozialdemokratie auch der Wandel der politischen Kultur und der politischen Gewichte in Hamburg und anderswo. Als August Bebel 1913 stirbt, wird der kluge und gewissenhafte Stolten für dessen Reichstagsmandat nominiert und auch gewählt.
Die Historikerin Christiane Teetz zeichnet ein umfassendes Bild des Menschen und Politikers Otto Stolten und nennt seinen Lebensweg typisch für eine sozialdemokratische Karriere in der wilhelminischen Ära: Starken Willen, hohe Disziplin und kämpferischen Geist zeichneten diesen Führer der Arbeiterbewegung aus, der kein Revolutionär, sondern ein Pragmatiker war, "ein staatstragender hamburgisch-hanseatischer Sozialdemokrat".
Christiane Teetz, Hamburger Köpfe Otto Stolten, Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, 120 Seiten, 28 Abbildungen, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2001, vergriffen
Georg Philipp Telemann
Georg Philipp Telemann (1681-1767) hat 46 Jahre in Hamburg gewirkt - 1721 wurde er Kantor am Johanneum und Musikdirektor der fünf Hauptkirchen. Er lobte seine Wahlheimatstadt Hamburg, die ihn aufmuntere und viele Musikkenner aufweise. Seine Zeit feierte ihn als den größten deutschen Musiker der Epoche. Telemann wurde weit über Deutschlands Grenzen hinaus bewundert - ein Komponist und Weltbürger. Sein äußerst produktives Schaffen umfasste Kompositionen von geistlichen Kantaten und Passionsmusiken, von Opern für das Hamburger Opernhaus, von Festmusiken zu städtischen, kirchlichen, schulischen und privaten Anlässen (darunter alljährlich ein "Oratorio" und eine "Serenata" zum Konvivium der Kapitäne der Bürgerwache). Telemann gab zudem die erste deutsche Musikalienzeitschrift Der getreue Music-Meister heraus.
Sein Biograph Eckart Kleßmann, ein intimer Telemann-Kenner und -Liebhaber, zeichnet das Leben des Ausnahme-Musikers nach und verdeutlicht die enorme Schaffenskraft des gebürtigen Magdeburgers - bis zu drei Opern im Jahr, darunter eine für den Bayreuther Hof, gehörten zu seiner umfänglichen Produktion ebenso wie die Kirchenkantate für jeden Sonntag. Neun Opern von Telemann sind überliefert, darunter Der geduldige Sokrates, und seine Vertonung von Klopstocks Messias hat Musikgeschichte geschrieben. Kleßmann lobt die "geschmeidige Eleganz seiner Musik" als Stilmerkmal Telemanns. Sein Hamburger Köpfe-Band geht jedoch auch auf die kritische Telemann-Rezeption ein: Lange Jahre wurde Telemann mit Bach verglichen und für zu leicht befunden. So zeigt Kleßmanns verlässliche und detailreiche Biographie, dass Bach, Händel und Telemann gleichermaßen das musikalische Dreigestirn einer Epoche bildeten.
Eckart Kleßmann, Hamburger Köpfe Georg Philipp Telemann, herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2015, Sonderausgabe Broschur, 140 Seiten, 42 Abb., € 9,95, ISBN 978-3-8319-0611-6