Die lästige Pendelstrecke entfällt, denn man arbeitet gemeinsam mit den Nachbarn im Shared Office. Im T-Shirt, wohlgemerkt – Anzüge sind etwas für den stets adretten, virtuellen Avatar. Sowohl im Berufsleben als auch in der Freizeit besteht die Möglichkeit, virtuell oder vor Ort an Veranstaltungen teilzunehmen. Das kommt nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch schüchternen Naturen zugute. Empörungswellen in den sozialen Medien werden durch KI-gesteuerte Filter, die auch Fake News im Zaum halten, auf Wunsch zu einem leisen Hintergrundrauschen. Der intelligente Home-Assistent hat das Gastgeschenk für den anstehenden Abend mit Freunden bereits besorgt. Doch beim geplanten Lagerfeuer selbst muss das omnipräsente Helferlein zuhause bleiben, damit es nicht zu lästig wird. Klingt gut?
So lautet die erste Utopie der Science-Fiction Autorin Theresa Hannig, die den Auftakt der Rasender Stillstand-Session „Werte: Updates für ein digitales Miteinander“ bildet. Aber wie realistisch ist dieses Szenario? Was müssen wir für eine wünschenswerte digitale Zukunft tun? Und welche Werte stehen im Mittelpunkt, um die technischen Möglichkeiten sinnvoll und für alle ausschöpfen zu können?
Darüber diskutierten:
Zunächst ist sich die Runde einig, dass der Begriff „digitaler Raum“ nur behelfsweise und mit Vorsicht genutzt werden sollte. Denn, so macht Geraldine de Bastion deutlich: Die damit angedeutete Trennung zweier unabhängiger Lebensbereiche – der realen Welt und dem digitalen Raum – ist längst überholt. Stellen sich im digitalen Raum überhaupt andere ethische Fragen? Jessica Heesen weist dies zurück. Die Frage sei letztlich immer: „Wo handeln Menschen, wo werden sie wirksam?“ Das gelte selbstverständlich auch fürs Internet.
Jörg Noller ergänzt, dass die Idee eines virtuellen Handlungsraums konsequent weitergedacht werden sollte. Er fordert eine Verabschiedung von der Vorstellung, das Internet sei nur eine riesige Sammlung von Informationen. Und ebenso, wie das Internet nicht nur ein Medium sei, sollten Nutzer:innen nicht nur als Konsument:innen oder Objekte kommerzieller Nutzung verstanden werden, sondern als Subjekte, die ihre Autonomie in der virtuellen Welt vergrößern können. Gerade, weil der virtuelle Raum einer anderen Raum-Zeit-Logik gehorcht, rückt ein Wert für den Philosophen besonders in den Mittelpunkt: Freiheit als Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten.
Jessica Heesen stimmt zu, dass im virtuellen Raum zunächst einmal dieselben zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Werte gelten. Kontrovers sei vielmehr, wie diese in der Praxis realisiert werden können. Dies zeige auch das Beispiel Freiheit. Wessen Freiheit ist hier gemeint? Die Freiheit der Wirtschaft zur Ausweitung der Plattform-Industrie? Die Freiheit der Nutzer:innen – auch zu Hatespeech? Die Medienethikerin macht deutlich, dass regulierende Eingriffe durch die Politik nur scheinbar einen Widerspruch zur geforderten Freiheit darstellen. Vielmehr handle es sich um einen völlig normalen, demokratischen Prozess: Freiheiten müssten eingeschränkt werden, wenn sie die Freiheit anderer gefährden.
Ein Beispiel: Während ein gleichberechtigter Diskurs den virtuellen Handlungsraum vergrößert, verkleinern Fake News diesen. Da es sich um ein globales Phänomen handle, ergänzt Geraldine de Bastion, sei für Regulierungen auch ein transnationaler Rahmen – wie etwa durch die Europäische Union – wichtig. Diese Entwicklungen stimmen sie optimistisch: europäische Vorstöße wie der Digital Services Act, der Digital Markets Act und die KI-Verordnung seien wichtige Weichenstellungen und Zeichen eines Bewusstseinswandels auf dem Weg zu einer virtuellen Welt, die auf einheitlichen Datenstandards beruht und damit ein besseres Zusammenspiel verschiedener Systeme und Techniken erlaubt.
Wenn das Internet ein selbstverständlicher Teil unseres Handlungsspektrums ist, dann sollten auch alle Menschen Zugang dazu haben. Entsprechend fordert Jörg Noller, den Zugang zum Internet als Grundbedürfnis oder gar als Grundrecht zu begreifen, ähnlich wie der Zugang zu Wasser oder Strom. Jedoch sollte, gibt Jessica Heesen zu Bedenken, aus einem Grundrecht keine Pflicht werden. Was, wenn Menschen sich bewusst für ein „rein analoges“ Leben entscheiden wollen? Für sie müssen analoge Parallelstrukturen erhalten bleiben, fordert die Medienethikerin. Dies sei auch in anderer Hinsicht erstrebenswert: Bei der Digitalisierung unseres Alltags müsse stets auch die gesamtgesellschaftliche Resilienz mitgedacht werden. Schließlich könne Strom auch ausfallen oder zu einem knappen Gut werden.
Dass der digitale Raum letztlich eng mit der „echten“ Welt verknüpft ist, macht Geraldine de Bastion anhand eines weiteren Beispiels deutlich. Schließlich werde immer häufiger auch über den Ressourcenverbrauch von Servern und digitalen Endgeräten diskutiert. Gerade in der Digitalisierung sieht die Unternehmerin jedoch auch eine Chance, unser Verhältnis zur Natur zum Positiven zu verändern. Schließlich lehren uns intelligente Datenanalysen, die Natur immer besser zu verstehen.
„Rasender Stillstand“ heißt eine digitale Reihe mit Gesprächen zur Mittagspause, die das Bucerius Lab der ZEIT-Stiftung gemeinsam mit Holtzbrinck Berlin und Wissenschaft im Dialog initiiert hat. Gäste aus Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft beleuchten in einer moderierten Diskussion aktuelle Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen, geben Impulse und steuern Lösungsansätze bei. Die Zuschauer:innen können Fragen stellen und mitdiskutieren.
Alle Videos der Reihe finden Sie in der Rasender Stillstand-Playlist, außerdem gibt es eine Zusammenfassung der aktuellen Staffel in Textform.
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