© Jüdisches Museum Rendsburg

Ansehen: Die radikale Vielfalt jüdischer Geschichte

Die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg zeigt 400 Jahre jüdisches Leben in Schleswig-Holstein – gegenwärtig, facettenreich, inklusiv.

„Jüdischsein beginnt und endet nicht mit dem Holocaust“, steht es an der Wand geschrieben. Und dennoch zeigen nicht zuletzt anhaltender Antisemitismus, Rassismus und zunehmende Gewalt gegen jüdische Menschen, warum es in der heutigen Mehrheitsgesellschaft klar gilt, die unzähligen Facetten jüdischen Lebens zu verteidigen und zu zelebrieren. So, wie im Jüdischen Museum Rendsburg: Nach großen Umbauarbeiten und umfangreichen Planungen eröffnete das Haus Anfang Juni 2023 die von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius geförderte neue Dauerausstellung.

JuedMus2.jpg (1.13 MB)Foto: © Jüdisches Museum Rendsburg

Mitgestaltet haben die Ausstellung jüdische und nichtjüdische Menschen, darunter jüdische Expert:innen der Kunst, Kultur und politischen Bildung aus ganz Deutschland. Vor allem aber übernahmen neben einem wissenschaftlichen Beirat drei Gruppen die Co-Konzeption, die sich teilweise auch intersektional überschnitten: Jüdische Gemeinden in Schleswig-Holstein, Schüler:innen des Gymnasiums Heide-Ost und Menschen mit Behinderung sind stark an der Gestaltung der Ausstellung beteiligt.

Mehr Barrierefreiheit, mehr Interaktion

Das Museumsgebäude aus dem 19. Jahrhundert barrierefrei zu gestalten – ein Teil davon besteht aus der einzig ursprünglich erhaltenen Synagoge Schleswig-Holsteins – war dabei eine Herausforderung. Und dennoch: Von der Hanghöhe eines Kunstwerks über Bodenleitsysteme für sehbehinderte Menschen und bauliche Veränderungen wurden in Zusammenarbeit mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen viele barrierefreie Maßnahmen umgesetzt. Das Ergebnis sind zeitgeistige, interaktive Ausstellungsräume, die Besucher:inenn mit Film, Foto, Video, Illustration, Text und Grafikdesign in den Bann ziehen, aber auch mithilfe von greifbaren Ausstellungsstücken und interaktiven Elementen durch Geschichte und Gegenwart führen.
 

JuedMus1.jpg (452 KB)Foto: © Jüdisches Museum Rendsburg

Was bewegt Jüd:innen in Deutschland – und wie lernen Schüler:innen dazu?

Schüler:innen der Arbeitsgemeinschaft Geschichte des Gymnasiums Heide-Ost berieten das Museum u.a. darin, welche Fragestellungen besonders für junge Besucher:innen wichtig sind und wie ihnen Inhalte am besten vermittelt werden können. Jüdische Gemeinden waren ohnehinaktiver Teil der Gesamtkonzeption. Was bewegt Jüd:innen in Schleswig-Holstein, aber auch ganz Deutschland? In Rendsburg geben sie Antwort, beziehen Position und sind vordergründig mit Film- und Fotoaufnahmen selbst sichtbar. Außerdem arbeiteten jüdische Menschen im Hintergrund an Texten oder organisierten und stellten Ausstellungsstücke bereit. Neben unzähligen Gesprächen fanden knapp 20 interne und externe Workshops statt, um die Ausstellung zu konzipieren.

JuedMues3.jpg (578 KB)Foto: © Jüdisches Museum Rendsburg

Die Deutungsmacht

„Wir als Museum haben eine Deutungsmacht darüber inne, was als ,jüdisch‘ gilt“, sagt Museumsleiter Jonas Kuhn in einem Interview auf der Website des Museums. „Für viele Menschen sind Museen wie unseres der einzige Kontaktpunkt mit dem Judentum. Deswegen ist es umso wichtiger mit Jüdinnen:Juden darüber im Austausch zu sein, wie sie in unserem Museum repräsentiert werden möchten.“

Damit geht das Jüdische Museum einen wichtigen Schritt, denn: In Deutschland liegt der Fokus in der Darstellung jüdischen Lebens nach wie vor stark auf der Schoa – von popkulturellen Erzählungen bis zu Unterrichtsmaterialien in Schulen. Auch das Jüdische Museum selbst habe facettenreiche Gegenwarten bisher kaum thematisiert, erklärt Kuhn im Online-Interview. Um darzustellen, dass Judentum schon immer vielfältig war und bleibt und mehr ist als eine Religion, wird dem Thema „Jüdischsein heute“ in der neuen Dauerausstellung ein Bereich gewidmet.

Radikal relevant

Einen Vorgeschmack gab es in der Vergangenheit bereits in Form anderer zeitgeistiger Sonderausstellungen: So zeigte das Jüdische Museum zum Beispiel schon im letzten Jahr mit „This is me – queer und religiös?“ verschiedene Biografien queerer Jüd:innen in einer Fotoausstellung. Und auch für die Zukunft wählt Museumsleiter Kuhn klare Worte, um das inhaltliche Spektrum in Rendsburg zu beschreiben: „Für uns braucht ein Museum radikale Vielfalt, um für möglichst viele Menschen Zugänge zu ermöglichen und gesellschaftlich und politisch relevant zu sein.“

jonas-kuhn.jpg (695 KB)Museumsleiter Jonas Kuhnn. Foto: © Jüdisches Museum Rendsburg