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Pressefreiheit: Bewegende Sendung zur Aktionswoche

Live-Sendung im NDR mit Stimmen des Journalismus wie Dmitry Muratov oder Can Dündar gibt Startschuss zur 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit.

Am Montag, den 11. September 2023, geht es im Studio des NDR um harte Fakten, erschreckende Zahlen, bewegende Geschichten und beklemmende Aussichten. Es geht aber auch um Hoffnung, Zusammenhalt, Mut und Wertschätzung und um Demokratie – denn all diese Realitäten kommen zusammen, wenn es um Pressefreiheit geht. An diesem Morgen findet im NDR-Studio in Hamburg die 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit ihren Auftakt, initiiert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gemeinsam mit der Körber-Stiftung und unterstützt von mehr als 20 starken Partner:innen. Einer davon ist auch der NDR, dessen Live-Sendung über NDRInfo, auf tagesschau24 und in der Mediathek der erste Termin im reichhaltigen Programm der Aktionswoche aus Workshops, Veranstaltungen und Ausstellungen darstellt.

Nobelpreisträger Muratov spricht über Ende des Journalismus in Russland

NDr1.jpg (4.17 MB)Foto: © NDR/Jann Wilken

Moderiert von Ingo Zamperoni wartet die Live-Sendung mit prominenten internationalen Stimmen des Journalismus auf. Ein besonderer Gast in der Runde ist Dmitry Muratov, der Gründer der russischen Zeitung Novaya Gazeta und Friedensnobelpreisträger des Jahres 2021. Seine Zeitung wurde mittlerweile verboten, acht Journalist:innen seiner Redaktion seit dem Jahr 2000 ermordert oder schwer verletzt. Gerade aktuell im Juli dieses Jahres wurde auchdie Korrespondentin und Gewinnerin unseres Free Media Awards, Elena Milashina, Opfer eines brutalen Angriffs. Das Foto ihrer Rücken-Verletzungen hält Dmitry Muratov während der Live-Sendung in die Kamera und fasst in nüchternen Worten die grausame Realität von Journalist:innen in Russland zusammen: „Die Geschichte des unabhängigen Journalismus ist vorbei, ist abgeschlossen“, sagt Muratov und fragt: „Ist die Pressefreiheit überhaupt ein wichtiger Wert für das russische Volk? (…) Viele sehen keinen Zusammenhang zwischen Verlusten an der Front und der fehlenden Pressefreiheit“. Er selbst könne in dieser Sendung ebenso wenig sagen, wie auf russischem Boden, erklärt der Preisträger.

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Vergebens ist Muratov jedoch keinesfalls nach Deutschland gereist. Am Abend schildert er seine eindrücklichen Erfahrungen ebenfalls während seiner Rede bei dem Senatsemfpang im Hamburger Rathaus. Auch hier berichtet er viel von seiner engen Verbindung zu Michail Gorbatschow, dem er eine weitere Zeitung namens „Gorby“ widmen wolle – die russische Regierung verweigerte die Lizenz. In der Sendung des NDR wie auch am Abend beim Senat zeigt der Journalist eine bildliche Botschaft, die nachwirkt: Er glaube nicht, dass die Novaya Gazeta nie wieder aus Moskau berichten werde, so Muratov – und hält ein Brillenputztuch in die Kamera, auf das eine Brille mit Weltkugeln als Gläsern aufgedruckt ist, darunter die Worte, die seine Wünsche beschreiben und ebenso unbeugsam wie hoffnungsvoll zu verstehen sind: „Das werden wir noch sehen“.

Sicherheit oder Pressefreiheit?

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Das Zurückhalten oder bewusste Abwägen von Äußerungen ist eines der zentralen Themen des Auftakts der 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit und eine Realität, die auch Muratovs Journalisten-Kolleg:innen wie Anton Troianovksi und Can Dündar kennen. Der Leiter des Moskauer Büros der New York Times und der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhüriyet sind ebenfalls zu Gast im Studio von Ingo Zamperoni. „Alle ausländischen Redaktionen müssen sich diese sehr schwierigen Gedanken machen: Wie gehen wir unserer Verantwortung nach, den Menschen zu erzählen, was wirklich in Russland passiert, und auch unsere Risiken zu managen?“, erklärt Troianovski, der selbst vorrangig aus dem Berliner Exil berichtet. Dass es nicht nur um die Gefährdung der eigenen Person geht, sondern auch um Kolleg:innen, die noch im Land (zu)arbeiten, weiß auch Can Dündar – seine Heimat, die Türkei, liegt im Ranking der Pressefreiheit nur wenige Plätze vor Russland, auf Platz 165. „Wenn man die Regierung kritisiert oder etwas auf Social Media verbreitet (…), dann wird die Polizei ganz klar früh morgens an die Tür klopfen“, schildert er. „Das wissen die Menschen. Deswegen haben sie nicht (mehr) den Mut, in dieses Geschäft [des Journalismus] einzutreten“.

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In Deutschland und weltweit: Misstrauen gegenüber Journalist:innen

Pressefreiheit ist weltweit bedroht – auch hier in Deutschland. So findet auch der lokale Themenschwerpunkt Platz in der 60-minütigen NDR-Sendung. Über die Situation hierzulande sprechen Katja Marx, Programmdirektorin des NDR, Michael Rediske, Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen, und Jan Hollitzer, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, dessen Mitarbeiter erneut vor nicht allzu langer Zeit gewaltsam angegriffen wurde. Dies seien keine Einzelfälle mehr, so Hollitzer, auch persönlich würden seine Kollegen angeschrieben, beschimpft, in Direktnachrichten auf Facebook zum Beispiel. Der Grund hierfür wird zu einem weiteren Schwerpunkt der Sendung: die „Vertrauenskrise“ gegenüber Medien, in der diese – so schildert es Michael Rediske – auch mit der Politik vermischt würden und dadurch erst recht Misstrauen erzielten.

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Pressefreiheit und Demokratie sind voneinander abhängig

An diesem Morgen geht es auch um Pressefreiheit als eine zentrale Säule einer jeden Demokratie. „Demokratie hat uns geistige Freiheit in die Wiege gelegt“, so Katja Marx, „unsere Aufgabe als Journalisten ist es, diese geistige Freiheit nicht als etwas Selbstverständliches zu nehmen, sondern es jeden Tag als Verpflichtung zu sehen, damit verantwortungsvoll umzugehen.“

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Hinterfragen der Filterblasen

Was aber können Gesellschaften tun, um Pressefreiheit zu verteidigen und zu unterstützen? Huberta von Voss, Direktorin des Institute for Strategic Dialogue (ISD), plädiert dafür, auch die Rolle großer Social-Media-Plattformen und Unternehmen durch neue Gesetze wie dem für digitale Dienste auf den Prüfstand zu stellen. Jede:r Einzelne müsse dafür auch auch auf sich selbst schauen: „Es ist an uns allen, die Pressefreiheit auch in unser eigenes Leben aktiv mit hineinzugeben. (…) Deshalb muss jeder Einzelne von uns auch fragen: Wer spricht hier eigentlich zu mir? Werden meine Emotionen vielleicht in irgendeiner Art und Weise manipuliert? Zu welchem Zweck? Werde ich dadurch klüger oder einseitiger?“

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NDR6.jpg (6.36 MB)Fotos: © NDR/Jann Wilken

Pressefreiheit geht uns alle an, sie findet in jedem Moment und dem Leben einer jeden Person statt. Gefeiert, verteidigt und gemahnt wurde sie bisher vor allem am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit. Warum es darüber hinaus eine weitere Aktionswoche geben müsste, will Moderator Ingo Zamperoni von den Vorständen der die Aktionswoche initiierenden Stiftungen wissen. Manuel J. Hartung, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, dass Pressefreiheit auch mehrfach im Jahr gefeiert und gefördert werden könne. Es geht in dieser Aktionswoche um Solidarität, um den Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen, um harte Fakten und bewegende Geschichten – und um Hoffnung, um Zusammenhalt. Freiheit für die Wahrheit.

Alle Infos zur Aktionswoche, das Programm etc. finden Sie unter www.pressefreiheit.hamburg