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Immer die Kurve gekriegt

Der ehemalige Finanzvorstand Michael Berndt berichtet, wie man eine Stiftung auch in wirtschaftlich stürmischen Zeiten auf Kurs hält.

Was bedeuten Extremsituationen für eine Organisation, die auf Dividenden und Zinserträge angewiesen ist? Als Finanzvorstand hat Michael Berndt die Geschichte der ZEIT-Stiftung entscheidend geprägt. Er war 20 Jahre im Amt und hat wirtschaftliche Höhen und Tiefen erlebt. Kurz vor seinem Abschied in den Ruhestand blickte er für uns noch einmal zurück.

2000: Kleine Gewinne, geringe Risiken

„Als ich im Jahr 2000 zur ZEIT-Stiftung kam, befand sich die Welt gerade in der sogenannten Dotcom-Blase: Vermeintlich zukunftsweisende Technologieunternehmen hatten eine große Euphorie entfacht. Die Börsenkurse waren steil nach oben gegangen, der DAX hatte einen neuen Höchststand erklommen. Ein idealer Zeitpunkt, um die Aufgabe als Finanzvorstand der ZEIT-Stiftung anzugehen – könnte man meinen. Die Förderprojekte werden ja nicht durch das Grundkapital einer Stiftung getragen, sondern durch die Gewinne durch verschiedene Investitionen. Damals spielten kurzfristige Aktienentwicklungen für uns aber noch keine so große Rolle.

Der Großteil des Kapitals war in festverzinslichen Anleihen angelegt. Höchstens 25 Prozent des Kapitals steckten in Aktien, und davon war ein nicht unerheblicher Teil an den Bertelsmann Verlag gebunden, eine Hinterlassenschaft von Gerd Bucerius. Auch an Immobilien besaßen wir nur unser Stiftungshaus an der Alster. Die Gebäude der Law School und das Literaturhaus waren keine Renditeobjekte. Es war unser Anspruch, das Geld mit möglichst wenig Risiko zu vermehren. Was damals auch mit Zinspapieren recht gut ging. Weil wir im Unterschied zu anderen Stiftungen mit der Law School und dem Kunst Forum zwei große eigene Projekte betreiben, war es für die ZEIT-Stiftung immer von zentraler Bedeutung, sie so verlässlich wie möglich finanzieren zu können.“

2003: Stabil bleiben im Kurssturz

„Die Börsenkurse stürzten ab, weil große IT-Unternehmen pleitegingen und politische Ereignisse wie der Irakkrieg eine große Unsicherheit verbreiteten, aber wir waren davon kaum betroffen. Uns stand damals sogar auf einmal mehr Geld zur Verfügung, um es anzulegen. Denn der Teil des Stiftungsvermögens, der nach dem Tod von Gerd Bucerius noch an den Bertelsmann Verlag gebunden war, war in mehreren Tranchen zu uns herübergewandert: 610 Millionen Euro zusätzlich. Das Ziel war natürlich, dieses Kapital zu erhalten, aber auch Erträge zu erzielen.

In Krisenzeiten kommt es vor, dass Aktienwerte auf einmal 20, 30 Prozent niedriger bewertet werden, obwohl sich eigentlich gar nichts verändert hat. Die Unternehmen dahinter sind vital. Aber auf einmal wollen alle Anleger raus aus den Märkten. In diesem Moment den Mut zu haben, gegenteilig zu handeln, zahlt sich langfristig meistens aus. Wir haben den Anteil des Stiftungsvermögens, der in Aktien angelegt ist, in dieser Phase daher auf teilweise über 30 Prozent erhöht. Als Finanzvorstand einer Stiftung ist es in solchen Momenten angenehm, wenn man nicht am Ende des Jahres Bilanz ziehen und Betrag X erwirtschaftet haben muss, sondern es sich erlauben kann, langfristiger zu denken und zu handeln.“

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2008: Die Finanzkrise trifft auch die ZEIT-Stiftung

„Die Überbewertungen auf dem US-Immobilienmarkt ließen sich erahnen. Dass sich das dann aber so stark auf Europa auswirkt, hätte ich nie erwartet. Die Krise war auch für uns schmerzhaft. Wir mussten 2008 einen zweistelligen Wertverlust hinnehmen. Das hat dazu geführt, dass wir im Folgejahr weniger Projekte bewilligen konnten. Unsere zwei großen Einrichtungen, die Law School und das Kunst Forum, liefen natürlich weiter. In einer solchen Phase schläft man nicht immer gut. Ich habe gezweifelt, ob es richtig war, dass wir ab 2003 mehr Geld in Aktien angelegt hatten.

Ich erinnere mich, wie wir einen unserer Fondsmanager einluden, der sich dann erklären musste. Letztlich entschieden wir, uns finanziell nicht neu aufzustellen. Die Wut, die in dieser Krise viele auf die ihrer Meinung nach zu gierige Finanzwelt entwickelten, kann ich partiell nachvollziehen. Wir leben in einer Marktwirtschaft. Das führt dazu, dass sich die Wirtschaft in Schwankungen entwickelt und manchmal Ergebnisse erbringt, die man sich nicht wünscht. Ja, das System ist unvollkommen und produziert gelegentlich Exzesse. Aus meiner Sicht gibt es trotzdem kein besseres.“

2015: Umgestaltung des Portfolios

„Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich die Börse nach der Weltfinanzkrise erholt und sogar neue Höchststände erreicht hat. Die Wende trat aus meiner Sicht ein, als China ein gigantisches Investitionsprogramm von 600 Milliarden US-Dollar ankündigte. Ich war überzeugt, dass davon auch große deutsche Firmen profitieren würden, die ja oft in China aktiv sind. VW zum Beispiel macht dort fast 40 Prozent seines Umsatzes. Deshalb haben wir in diesem Moment noch mehr Geld in deutschen Aktien angelegt. Und wir haben sogar erstmals über Fremdwährungsinvestitionen nachgedacht, davon aber aufgrund der unklaren globalen Lage wieder Abstand genommen.

Als ich im Jahr 2015 eine Mehrjahresplanung erstellte, wurde überdeutlich, dass sich die ordentlichen Erträge der ZEIT-Stiftung dramatisch nach unten entwickeln würden, wenn wir unsere Vermögensallokation nicht verändern würden: Zinsen von weniger als einem Prozent drohten. Wir haben unser Geld deshalb von nun an etwa zur Hälfte in Aktien angelegt – und sind damit bewusst vermehrt Risiken eingegangen. Außerdem investieren wir seitdem verstärkt in Immobilien, was rund 15 Prozent unseres Vermögens ausmacht. Wir achten bei den Gebäuden auf Nachhaltigkeit, etwa bei der Energieversorgung. Uns gehören unter anderem Studierenden- und Ausbildungswohnheime. Und wenn wir direkt in Gebäude investieren, dann machen wir das in Hamburg, weil wir hier verwurzelt sind und den Markt gut kennen.“ 

2017: Gewinne in den USA und Asien, moralische Zwickmühlen

„Als Donald Trump Anfang 2017 in den USA zum Präsidenten ernannt wurde, hat sich das sehr zwiespältig auf die Weltwirtschaft ausgewirkt. Was von den Finanzmärkten nicht so goutiert wurde, waren seine Handelsbeschränkungen. Gleichzeitig erreichten mit ihm aber viele Indizes in den USA Höchststände. Damit muss man sich als Anleger natürlich auseinandersetzen. Trumps Wahl hat bei uns letztlich dazu geführt, dass wir endgültig umgedacht und uns finanziell internationaler aufgestellt haben.

Der asiatische Markt verfügt über ein riesiges Wachstumspotenzial – man muss direkt dabei sein. Damit haben wir uns zweifellos in eine moralische Zwickmühle begeben: Was China angeht, profitieren wir von einem System, das uns aus einer demokratischen Perspektive heraus nicht immer gefällt. Wir haben in unserem Finanzausschuss viel über dieses Dilemma diskutiert, aber noch keinen Königsweg gefunden. Die Debatte muss weitergehen. Das heißt aber selbstverständlich nicht, dass wir bei unseren Anlagen keine Werte verfolgt hätten. Bestimmte Aktien würden wir nie erwerben. Das gilt zum Beispiel für eine Firma wie Rheinmetall, die überwiegend Rüstungsgüter herstellt. Das lässt sich mit unserer Haltung als Stiftung nicht vereinbaren.“

2021: Zurück in den Krisenmodus

„Die Zeit vor meinem Abschied in den Ruhestand im März 2021 hat mich völlig unerwartet noch mal in eine große Unruhe gestürzt. Der Kurseinbruch im März 2020 erfolgte ja noch schneller als der von 2008. Auf einmal war ich wieder im Krisenmodus: Ist die ZEIT-Stiftung richtig aufgestellt? Aber die schnelle Erholung und alle Rahmenbedingungen, die ich bisher erkennen kann, zeigen mir, dass wir es sind. Dass die Wirtschaft kurz- oder mittelfristig noch mal stark einbricht, glaube ich nicht. Langfristig sind die gewaltigen Geldmengen, die in der Krise investiert wurden, ein Thema. Es könnte ein Problem werden, dass die Schuldenspirale immer weitergedreht wurde. Müssen wir irgendwann nicht doch eine höhere Inflation in Kauf nehmen? Das wird man sehen.

In dieser Situation fällt mir der Abschied trotzdem nicht schwerer als sonst. Wenn ich ganz ehrlich bin, hat mich die Verantwortung für die finanzielle Sicherheit der Stiftung auch zuweilen belastet. Dieser Druck fällt nun weg. Und das ist eine kleine Befreiung. Selbstverständlich macht man nie alles richtig, aber wenn ich auf die vergangenen 20 Jahre zurückblicke, bin ich zufrieden. Die wirtschaftliche Situation der ZEIT-Stiftung ist selbst jetzt in der Coronakrise gut. Keine unserer Mitarbeiterinnen und kein Mitarbeiter muss um den Arbeitsplatz fürchten. Die wichtigste Entscheidung in meiner Zeit als Finanzvorstand war sicher, verstärkt in Sachanlagen zu investieren, insbesondere in Aktien. Wenn ich mir andere Stiftungen angucke, waren wir hier Vorreiter. Trotzdem besitzen wir immer noch einige festverzinsliche Wertpapiere, die nur knapp über Null rentieren. Sie haben sich früher mal gut entwickelt, für die Zukunft aber ist nichts mehr zu erwarten. Da muss mein Nachfolger Achim Lange sicherlich dran arbeiten. Dafür wünsche ich ihm nur das Beste und allgemein ein gutes Händchen!“

Michael Berndt kam von der Albingia-Versicherungsgruppe im Jahr 2000 zur ZEIT-Stiftung. Dort leitete er den Bereich Finanzen. Im März 2021 ging er in den Ruhestand. Sein Amt übernahm Achim Lange.