Gerd Bucerius: 5 Momente für Pressefreiheit und Debatte

Der Einsatz für eine offene Debatte und Pressefreiheit hat das Leben von Gerd Bucerius geprägt. Er bewies dabei Loyalität und Standhaftigkeit.

Die 89 Lebensjahre von Gerd Bucerius waren mehr als bewegte Jahrzehnte. Die nationalen, politischen und medialen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts hat Bucerius als Zeitzeuge an erster Stelle erlebt und mitgestaltet - als Journalist, Anwalt, Verleger, Politiker und Stifter. Welches Zeitgeschehen und welche Meilensteine Bucerius Entscheidungen und Beobachtungen nachhaltig beeinflusst haben, fasst jetzt ein biografischer Text unseres Archivars Axel Schuster zusammen, der ab sofort in den Deutschen Biographien zu lesen ist.

Beim Blick auf die Gesellschafft stand für Gerd Bucerius immer die Pressefreiheit und Debattenkultur im Vordergrund. In seiner Lebensgeschichte gibt es deshalb einige entscheidende Wendepunkte, an denen Bucerius herausfordernde Diskussionen ermöglicht und geführt hat und widerstandsfähig geblieben ist. Fünf Schlüssel-Momente stehen dabei hervor, die Bucerius‘ vielseitige Wirkungsbereiche umfassen und auch seine Loyalität gegenüber unabhängigen Presse-Kolleg:innen beschreiben.

Bucerisu-Dalchow.jpg (272 KB)Foto: Christian Dalchow/ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius

1. Die Höllenfeuer-Affäre: Am stärksten kommen Gerd Bucerius‘ Haltung und Arbeit wohl 1962 zusammen. Die sogenannte „Höllenfeuer-Affäre“ beendet in diesem Jahr nicht nur seine Karriere als CDU-Politiker, sondern setzt auch ein Zeichen für Pressefreiheit und unabhängigen Journalismus. Der Hintergrund: Nach einem kritischen Text im stern über Konfessionen in der Partei sah sich der CDU-Vorstand in seinem christlichen Empfinden „zutiefst verletzt“. Im Text mit dem Titel „Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?“ hatte der Autor die Annäherung von evangelischer und katholischer Kirche angezweifelt und (hier widersprach Bucerius unter anderem) stellte sogar die These auf, evangelische CDU-Abgeordnete hätten sich in Entscheidungen ihren katholischen Kolleg:innen untergeordnet. Nach der Veröffentlichung des Artikels stellte der Parteivorstand die Vereinbarkeit von Bucerius medialer und politischer Arbeit in Frage. Der stern-Verleger kam daraufhin einem möglichen Parteiausschluss zuvor und trat aus der Partei aus. Er entschied sich damit für den demokratischen Diskurs und den unabhängigen Journalismus. Mehr zur Affäre lesen Sie hier.

2. Solidarität in der Spiegel-Affäre: Nur wenige Monate nach dem „Höllenfeuer“ setzte Bucerius ein weiteres Zeichen für Pressefreiheit. Im Zuge der Spiegel-Affäre, ausgelöst durch die journalistische Kritik an der Verteidigungspolitik der BRD, solidarisierte er sich mit dem Magazin Spiegel und Verleger Rudolf Augstein. Den Mitarbeiter:innen des Spiegel stellte Bucerius für die Fertigstellung der nächsten Ausgabe Räumlichkeiten und Schreibmaschinen in der stern-Redaktion zur Verfügung.

3. Streitgespräch PEN: Als Förderer von Debattenkultur ließ Bucerius 1961 mit der ZEIT ein Streitgespräch zwischen den DDR- und BRD-Abteilungen der Schriftstellervereinigung „PEN“ nachholen. Der Austausch in Hamburg war zuvor vom Polizeisenator verboten worden.

4. Redaktionskrise: Auch vor hart geführten Debatten in den eigenen Reihen machte Bucerius nicht Halt, bewahrte dabei aber Haltung. Im Streit um die politische Ausrichtung der ZEIT ergriff er in der Redaktionskrise von 1954/55 die Seite von Marion Gräfin Dönhoff. Sie hatte die Zeitung wegen der Veröffentlichung eines Textes von Nationalsozialist Carl Schmitt verlassen. Bucerius entließ den damaligen Chefredakteur, der den Text zu verantworten hatte, und Gräfin Dönhoff kehrte in die Redaktion zurück.

5. Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius: Seinen Einsatz für eine offene, agile Demokratie setzte Gerd Bucerius zehn Jahre nach seinem Weggang aus der Politik um: Er gründete die ZEIT-Stiftung. Mit der Stiftungsarbeit wollten Bucerius und seine Frau und Mistifterin Ebelin eine Zivilgesellschaft fördern, die den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft entgegentritt – gemeinschaftlich. Die Tätigkeitsfelder der Stiftung sind deshalb auch heute noch durch Themen definiert, die die Zivilgesellschaft bewegen: Kunst und Kultur, Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Forschung, Politik und Gesellschaft. Durch alle Förderbereiche zieht sich der Wunsch nach einem offenen Miteinander, einer freien Gemeinschaft im ständigen (Meinungs-) Austausch. Die Leitmotive Pressefreiheit und Debattenkultur, wie auch Bucerius sie verfolgt hat, ermöglichen diesen Austausch. So tragen auch wir sie weiter in unsere Stiftungsarbeit der Zukunft.