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© Bucerius Law School
Werke ohne Schöpfer? Diskussion über Kunst, KI und das Urheberrecht

Welche Auswirkungen hat generative KI auf künstlerische Arbeit? Welche urheberrechtlichen Herausforderungen stellen sich? Wie ist die Beziehung zwischen Werk und Schaffenden bei KI-generierter Kunst? Und ist das überhaupt Kunst? Diese zentralen Fragen wurden im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Hinter den Bildern. Gespräche zu Kunst, Recht und Gesellschaft“ diskutiert, die von der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS zusammen mit dem Studium generale der Bucerius Law School ausgerichtet wird. Mit dabei: Dr. Linda Kuschel, Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht, Immaterialgüterrecht sowie Recht und Digitalisierung, Julian van Dieken, Fotograf, Videoproduzent und KI-Künstler und Dr. Jürgen Scriba, Leiter der Arbeitsgruppe Technischer Fortschritt im Deutschen Fotorat. Die Moderation im Moot Court der Bucerius Law School übernahm der Kulturjournalist Ralf Schlüter.

Professor Dr. Michael Grünberger, Präsident der Bucerius Law School, setzte in seiner Begrüßung die Themen des Abends: Voraussetzungen für künstlerische Arbeit in Zeiten generativer KI und verlässliche urheberrechtliche Rahmenbedingungen. Seine einleitenden Überlegungen machten deutlich, welche grundlegenden Fragen zur Bedeutung von Kreativität und Werk sich heute stellen – und was zu beachten ist, um ein innovatives Umfeld zu gestalten, in dem neue Technologien und zukunftsfähige Geschäftsmodelle gedeihen können.  

Eine wesentliche Kontroverse betreffe etwa die Datennutzung: generative KI-Modelle, so genannte Large-Language Models (LLMs), werden mit Datensätzen trainiert, in denen auch urheberrechtlich geschützte Werke enthalten sind (so genanntes „Text und Datamining“, kurz: TDM). Sofern diese Werke ganz oder zumindest teilweise unverändert von KI-Modellen reproduziert werden, ergeben sich urheberrechtliche Probleme, da Künstler:innen ihrer Rechte beraubt werden. Die Datennutzung für automatisierte Forschung ist juristisch zwar erlaubt. Die Übertragung dieser Nutzungserlaubnis auf das großflächige Training generativer KI‑Modelle bleibt jedoch hoch umstritten.

Kunstwerk im Kopf: Ein Prompt als schöpferische Leistung? 

In seiner Anmoderation spannte Ralf Schlüter den Bogen bis zum Beginn der Schöpfung: „In der Genesis des Alten Testaments heißt es: ‚Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht.‘ –  Das ist eigentlich schon ein Prompt.“ Man könne plötzlich Dinge in Auftrag geben und in Sekundenschnelle erstellen lassen, habe es aber „immer noch mit einer Rechenmaschine zu tun, die Wahrscheinlichkeiten ausrechnet“. Schlüter wies darauf hin, dass KI-generierte Inhalte bzw. Outputs laut deutschem Urheberrecht nicht urheberrechtlich geschützt seien. Allerdings werde diskutiert, ob besonders kreative, intensive oder intelligente Prompts als schöpferische Leistung anerkannt werden sollten.

So erlangte Fotograf und KI-Künstler Julian van Dieken große Aufmerksamkeit mit ab 2022 erstellten humoristischen KI‑Bildern, darunter „Merkel und Obama am Strand“ oder „Das Mädchen mit den leuchtenden Ohrringen“. „Für mich war neu, dass ich jetzt als Fotograf ein Bild auch erdenken kann“, erklärte er und betonte den Wandel von der handwerklichen Aufnahme zum konzeptionellen Entwurf. Anfangs habe er sich nicht als KI-Künstler begriffen: „Wenn Bilder etwas in Jemandem auslösen können und berühren, reichte mir das.“ Inzwischen allerdings ist für Van Diekens künstlerische Arbeit relevant, ob ein KI-Bild geschützt werden kann, wobei die „Grenze für den Schöpfungsakt eines Prompts“ schwer zu bestimmten sei. Sein Vorschlag: Erstellende sollten selbst entscheiden, was schützenswert sei, ein rechtlicher Schutz von KI-Werken jedenfalls dringlich. Scharfe Kritik äußerte Van Dieken an großen Plattformen wie Meta und zog einen Vergleich zu Musik-Streaming-Diensten wie Spotify, die Musiker:innen nur in sehr geringem Umfang honorierten. Er befürchte vor diesem Hintergrund, dass eine mögliche Einführung von Abgaben für KI-Unternehmen ähnlich wie bei Spotify für die Rechteinhaber:innen kaum zufriedenstellend sein würde.

Wenn KI‑Unternehmen nicht in Europa ansässig sind, ist der rechtliche Spielraum gering

Die Juristin Prof. Dr. Linda Kuschel illustrierte anschaulich die komplexe Situation: uneinheitliche internationale Rechtsprechung, kollidierende Schutzinteressen von Persönlichkeit, Urheberrecht und Innovation – und warb für differenzierte Lösungen, die sowohl Rechte-Inhabenden als auch künstlerischer Freiheit Rechnung tragen. So betonte sie die Grenzen des europäischen Rechtsrahmens und verwies auf erste US‑Gerichtsentscheidungen im Juni (Anthropic und Meta), die allerdings noch kein klares Rechtsbild zeichneten, da die Gesetzeslage nicht eindeutig sei: „Man liest in dem Urteil zu Meta, dass der Richter gerne anders entschieden hätte.“ Für Kuschel ist die zentrale Frage, „was den Rechteinhabern wirklich hilft“, wobei sie sich etwa gegen den Ausschluss der Werke von der Datennutzung im Rahmen von TDM positionierte, u. a. auch, damit „unsere europäischen Werke und Werte in die Daten mit einfließen“. Sie wies ferner auf Grenzen des Schutzes hin und betonte, dass das Urheberrecht für bildende Künstler:innen oft eine andere Rolle spiele als für Schriftsteller:innen oder Musiker:innen: „Häufig brauchen bildende Künstler das Urheberrecht nicht so sehr wie Schriftsteller oder Musiker. Es geht nämlich viel mehr um die Idee, die man hatte. Die Idee schützt das Urheberrecht nämlich gerade nicht. Sondern nur die konkrete Gestaltung“, erklärte Kuschel die Herausforderung für KI-Kunst. Man müsse zudem bedenken, „dass man alles, was man schützt, ja auch wegnimmt“. Aus diesen Abwägungen heraus gab Kuschel normative Empfehlungen: Schutzbedürfnisse sollten ernst genommen werden. Zugleich solle man „Künstler:innen mehr Freiheiten einräumen“.

Ist das Urheberrecht noch zeitgemäß?

Demgegenüber formulierte Dr. Jürgen Scriba eine klare, existenzorientierte Position: „Es geht nicht nur um technische Fragen, sondern um die wirtschaftliche Existenz von Kreativen.“ KI sei für ihn nur der jüngste in einer Reihe von „Angriffen“ auf die Kunst, hier beispielhaft bezogen auf die Fotografie, der es „wieder schwieriger macht, mit Fotografie Geld zu verdienen“. Im Gegensatz zu Kuschel forderte er: „Es ist wichtig, dass wir klarstellen, dass KI‑Training nicht unter TDM fällt. Nur dann haben wir wieder eine Verhandlungsposition.“ Ohne eine solche Abgrenzung würden KI-Anbieter weiter „unsere Daten einsaugen und jetzt damit uns Konkurrenz machen“. Scriba lehnte es zudem ab, den Schöpfungsbegriff auf formale Kriterien festzulegen: Es sei „abstrus, an der Zahl der Buchstaben in einem Prompt festzumachen, wo die Schöpfungshöhe ist“ oder die Zahl der Prompts zu zählen. Hier drohe, dass Rechtsprechung die Wirklichkeit verfehlt. Sein Vorschlag für eine Bestimmung des schöpferischen Akts lautete stattdessen: „Derjenige, der die Entertaste drückt, ist der Schöpfer. Wir sind in der Kunst doch längst davon ab, dass es schwierig sein muss. Es geht nicht mehr darum, dass es erst dann Kunst ist, wenn ich so und so lange an einem Marmorblock rumgemeißelt habe.“ Der kreative Wert gehe nicht dadurch verloren, „weil ich den falschen Meißel verwendet habe“. Neue Werkzeuge dürften die Anerkennung der Urheberschaft nicht ausschließen.

Ralf Schlüter verwies an dieser Stelle auf die postmoderne Theorie. Seit den 1980er Jahren herrsche die Auffassung, dass Kunst nur sehr selten originär sei, Kunstwerke also selten aus dem Nichts oder aus einer Person heraus entstehen: „Jeder nimmt Sachen auf und verarbeitet sie. Stichwort Rezeptionsästhetik.“ Diese Erkenntnis macht die Bewertung von Urheberrechten und damit verbundenen Vergütungsinteressen freilich nicht einfacher.

Die Debatte hat eindrücklich gezeigt: Kunst, Urheberrecht und generative KI eröffnen erhebliche Spannungsfelder. Die Rechtslage ist vielfach ungeklärt. Notwendig sind etwa Transparenz mit Blick auf Trainingsdaten, stärkere Verhandlungspositionen für Kreative sowie klare Kriterien zur Zuschreibung von Schöpfungsakten, möglicherweise auch Mechanismen zur Vergütung und Durchsetzung. Dies ließe sich am besten interdisziplinär lösen. Die anschließende Publikumsdiskussion zeigte ebenfalls: die Aktualität und Tragweite der Fragen ist unbestreitbar. Ob auskömmliche Vergütungsmodelle im Zeitalter der KI möglich sind, bleibt offen.

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