„Bildung soll echte Chancengerechtigkeit bieten“, sagt Bettina Stark-Watzinger, und: „Bildung gibt die Möglichkeit der Freiheit, zu entscheiden, wohin der Lebensweg gehen soll. Bildung ist die Grundlage für das selbstbestimmte Leben – in Broterwerb und demokratischer Teilhabe.“ Die Bildungsministerin (FDP) hält in der Bucerius Law School am Nikolaus-Abend 2022 eine Rede zur Lage und Herausforderungen der Bildungspolitik. Sie diskutiert außerdem mit der Bildungsforscherin Prof. Dr. Nina Kolleck, dem Bildungsrechtler Prof. Dr. Felix Hanschmann, Prof. Manuel Hartung und einem Publikum aus Studierenden, Lehrer:innen, Bundestagsabgeordneten und Interessierten über Bildungs(un)gerechtigkeit. Flächendeckend gerechte Chancen und Teilhabe, von denen die Ministerin spricht, bietet deutsche Bildungspolitik bisher aber noch nicht. Diese Diskussionsrunde ist deshalb der Auftakt der Programmreihe „Bildung ist Bürgerrecht 2023“, die die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Bucerius Law School im Studium generale ins Leben rufen, um Bildungsgerechtigkeit zu fördern.
„Unser Bildungssystem ist ungleich und ungerecht“
Von der Selbständigkeit der Schulen über die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, von verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, dem mehrgliedrigen Schulsystem bis hin zu neuen Lehrmethoden und der Lage von Lehrer:innen in Deutschland sprechen die Panel-Teilnehmer:innen an diesem Abend über viele Herausforderungen, die reale Bildungspolitik ausmachen. Sie sind ein guter Spiegel für die Themen, die uns in der Programmreihe beschäftigen sollen. Aber noch einmal kurz zur Vorgeschichte: 2021 hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Bildung für Kinder und Jugendliche als Grundrecht anerkannt. Wie wir dieses Grundrecht in der Praxis gestalten, steht noch offen. „Unser Bildungssystem ist ungerecht, ungleich und hat zu wenige Ressourcen“, fasst es Nina Kolleck treffend zusammen. „Wir alle wissen es und es passiert nichts – wir sind an einem Punkt angelangt, dass sich etwas ändern muss“.
Bildung ist mehr als Wirtschaftsinteresse
Damit das geschieht, benennen die Diskussionspartner:innen an diesem Abend erste Grundsätze, die aus dem Bürgerrecht eine Praxis machen. Über allen Lösungen steht das Ziel, dass Bildung für Bürger:innen ein freies Leben in einem Rechtsstaat möglich macht. Ministerin Stark-Watzinger zählt dazu auch „Resilienz und Selbstwirksamkeit“, also die Widerstandsfähigkeit und die Motivation, in der Welt etwas ändern, schaffen oder bewegen zu können. Einer der Mindeststandards in Bildung müsse die „Heranbildung mündiger Bürger:innen“ sein, formuliert auch Bildungsforscherin Kolleck. Warum das so wichtig ist? Auch unter jungen Menschen würde zum Beispiel die Empfänglichkeit für Verschwörungserzählungen steigen, gibt Kolleck an. Im Publikum geht Franziska Meifort, Historikerin und Biografin von Ralf Dahrendorf, noch darüber hinaus. Dahrendorfs Konzept von „Bildung als Bürgerrecht“ liegt dem gesamten Programm und diesem Abend zugrunde – mehr dazu hier. Der Soziologe, Publizist und Politiker, so vermutet Meifort als Wissenschaftlerin nur unter Vorbehalt, würde heute vermutlich auch dafür plädieren, dass Bildung ein Recht ist, weil es nicht nur wirtschaftlichen Interessen nutzt oder für Menschen gedacht ist, die engagierte Eltern haben oder sich mehr Bildung leisten können. Bildung fördert aber nicht nur die Verteidigung der eigenen Rechte, sondern auch das Umsetzen von Pflichten, beschreibt Bucerius Law School Präsidentin Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Katharina Boele-Woelki in ihrer Eröffnungsrede noch vor der Diskussionsrunde: „Bildung ist ein Grundrecht, aus dem staatsbürgerliche Verantwortung entsteht“.
Foto: © Bucerius Law School
Über Verteilung und Verantwortung in der Realität
Stichwort Verantwortung: Wessen Aufgabe ist es am Ende, das Grundrecht zu gestalten? Die von Bund, Ländern, Kommunen, Schulen, Einzelpersonen? Grundsätzlich müsse nach dem Wohl der Kinder und Jugendlichen entschieden werden, darüber ist sich der Raum einig. Ministerin Stark-Watzinger plädiert für eine „Kultur der neuen Bildungszusammenarbeit“. Die Balance einer einzelnen Verwaltung auf Länderebene und deren Kontrolle durch Staatsorgane zu halten, sei schwierig, erklärt Felix Hanschmann: „Da stoßen wir auf ganz schwierige kompetenzielle, grundgesetzliche Probleme. (…) Dieses Dilemma zwischen Zentralisierung, Kommunalisierung und Land…am Ende geht es um die Schule vor Ort und deren Handlungsmöglichkeiten und -spielräume, ihre Vernetzung mit der konkreten Bevölkerungsstruktur, mit sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen“.
Schon an diesem Abend wird klar, wie komplex die Fragestellungen aufgrund unterschiedlicher Perspektiven sind. Noch mehr davon beschäftigen auch das Publikum: Brauchen wir eine echte Revolution, die die Schule als Ganzes infrage stellt? Welche Rolle spielen zwei- und mehrgliedrige Schulsysteme für Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe? Wenn nach dem Wohl von Kindern und Jugendlichen entschieden werden soll, wie werden sie einbezogen? Wie wird die Schule als Sozialraum unterstützt? Wie muss sich der Lehrer:innenberuf schon in der Ausbildung verändern und welche Rolle spielt die Verbeamtung?
„Das Tempo auf die Straße bringen“
Für Bildungsministerin Stark-Watzinger liegen viele Lösungen im breiteren Denken von Bildung, in der Öffnung der Schule für sämtliche Lebensbereiche. Gleichzeitig dürfe die Schule als Institution aber nicht überfordert werden. Statt übermäßigem Detailwissen müssten neue Kompetenzen für Schüler:innen gelehrt werden, die weniger dem industriellen Zeitalter entsprechen und stattdessen Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Und wie? Am Ende sind das vor allem Geldfragen. Bei der Verteilung von Geldern müsse es um Menschen gehen, um konkrete Inhalte und gute Konzepte. Und eben ein weiteres Mal darum, wer die Verantwortung trägt. „Wenn es um Geld geht, werden wir über eine neue Aufgabenverteilung sprechen, durch diesen Handlungsdruck“, sagt die Ministerin zum Abschluss. „Das ist entgegen meiner eigenen Profession, aber ich finde es gut, weil wir dadurch Tempo auf die Straße bringen.“ Wie dieses Tempo mit den genannten Fragen befeuert und praktisch angegangen werden kann, sollen auch zukünftige Punkte unseres Programms zeigen – denn „Bildung ist Bürgerrecht“ gestern, heute, in 2023 und für alle Zeit darüber hinaus.
Welche Rollen Institutionen und Gesellschaft in Sachen Bildungsteilhabe einnehmen, fasst jetzt die Publikation „Zukunft Bildungschancen" zusammen.
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