Welche Chancen haben Medien und Recht in Online-Debatten?

Zum Abschluss des „Journalistischen Kolloquiums“ diskutierten Expert:innen in der Bucerius Law School über Journalismus und Recht im digitalen Raum.

Von der juristischen Ausbildung in eine journalistische Karriere – geht das? Und wenn ja, wie? Mit Fragen wie diesen haben sich in den vergangenen Wochen Student:innen der Bucerius Law School beschäftigt. Unter der Leitung von ZEIT-Politik-Ressortleiter Dr. Heinrich Wefing fand im Rahmen des Studium generale die Veranstaltungsreihe „Journalistisches Kolloquium“ statt, die am 22. Februar mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion zu Ende ging. Interessierte Studierende sollten in der Reihe nicht nur das Zusammenspiel von Journalismus und Recht untersuchen, sondern auch die Möglichkeiten einer journalistischen Karriere mit juristischem Hintergrund kennenlernen.

Genau solch einen Weg hat Dr. Sarah Tacke beschritten. Die studierte Juristin arbeitet seit Jahren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und leitet heute die Rechtsredaktion des ZDF. Zur Abschlussveranstaltung des Kolloquiums kamen Dr. Sarah Tacke und Prof. Dr. Cornelia Mothes, Professorin für Journalismus & Media Management an der Hochschule Macromedia Leipzig, mit Dr. Heinrich Wefing zusammen. Im anderthalbstündigen Gespräch diskutierten die drei aber über weitaus mehr als den Karriereweg vom Jura-Studium an den Redaktionstisch. Die rund 90 Minuten des Panel-Talks entwickelten sich zu einem umfangreichen Austausch über den Status von Medien im öffentlichen Diskurs. Unter anderem ging es um die Herausforderungen und Chancen von Journalismus im Kontext von Social-Media-Debatten sowie die Themenwahl in Redaktionen. 

VaJourKoll2_Neuigkeit-3.jpg (188 KB)Foto: © Bucerius Law School

Vor allem letztere beide Bereiche gehören für Mothes zum ursprünglichen Versprechen der Digitalisierung: Man hatte gehofft, dass die Machtstrukturen und Themensetzung klassischer Massenmedien aufgebrochen würden und der öffentliche Diskurs sich mehr zu einem gleichberechtigten Prozess mit Teilnahme der Betroffenen bewege. Die Herausforderung sei stattdessen aber heute eine Gesellschaft mit Echokammern, Filterblasen, Desinformationen und „Empörungskulturen“, in der Fakten nicht immer die zentrale Rolle einnehmen. „Auch das Debunking, also die Richtigstellung, (…) ist nicht immer so zielführend, wie man sich das erst mal rational herleiten würde“, so die Medienwissenschaftlerin. Durch bloßes Mitlesen und passives Konsumieren könne sich außerdem auch die Wahrnehmung der öffentlichen Meinung verschieben – „und das kann auch realpolitische Konsequenzen auslösen“.

Tacke sieht in Debatten auf Social Media dennoch Chancen für den öffentlichen Diskurs. Er sei gerade durch diese Inhalte „sehr viel stärker, weil über das, was man dort mitteilt, im Anschluss auch diskutiert wird. Es wird sich mit dem, was man dort sagt, auseinandergesetzt – und das finde ich positiv“. In diese Auseinandersetzung spielt die Berichterstattung in Medien hinein. Mothes und Tacke diskutieren deshalb auch über die Trennung von Nachricht und meinungsgefärbten Kommentaren und die Pflicht für große Häuser, ein größtmögliches Spektrum an demokratischen Meinungen abzubilden. Als es dabei um Fragen zur Objektivität geht, steigt auch ZEIT-Ressortleiter Wefing in die Diskussion ein: „Schon die Auswahl dessen, worüber wir berichten, ist nichts Objektives, sondern mit Wertungen und Setzungen verbunden. (…) Und gerade für ein Orientierungsmedium, das nicht nur elektronisch News raushaut, ist es, glaube ich gar nicht denkbar, dass ein Reporter oder eine Reporterin (…) ohne Haltung oder Einstellung [an einen Ort geht]. So zu tun, als ließe sich das klinisch sauber trennen, überzeugt mich ehrlich gesagt gar nicht.“

VaJourKoll2_Neuigkeit-4.jpg (149 KB)Foto: © Bucerius Law School

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Hier passt die Frage zur Besetzung von Redaktionen und wie die soziale Herkunft, der Bildungsstand und die intersektionale Geschichte und Diskriminierungserfahrungen einer Person dafür eine Rolle spielen. Für das „Journalistische Kolloquium“ ist auch die Ausbildung von Journalist:innen und Redakteur:innen relevant: Im Journalismus fehle es an Fachkräften mit Hintergrundwissen von Medizin bis Recht, so Tacke. Diesen Missstand hatte auch schon Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, bei der Auftaktveranstaltung der Reihe hervorgehoben.

Ähnlich vielseitig wie die Gesprächsthemen sind abschließend auch die Fragen aus dem Publikum. Eine von ihnen schlägt den Bogen zum Beginn des Abends: Welchen Ausblick gibt es für den Journalismus, wenn Social-Media und ihre Algorithmen die vorherrschende Funktion von klassischen Medien aushebeln? Die Antwort liegt für Mothes und Tacke gleichermaßen in der direkten Auseinandersetzung mit User:innen – auch vor dem bedenklichen Hintergrund, dass Algorithmen eine Berichterstattung fördern, die stärker an Marketing- und Wirtschaftsinteressen orientiert ist. Es gebe nach wie vor ein starkes Bedürfnis, das User:innen mit Journalist:innen in Kontakt kommen wollten, so Mothes – auch, um deren Arbeit kritisch zu besprechen. Hierin läge eine Chance für Diskussionen auf Augenhöhe. Sarah Tacke führt diese schon lange in ihren selbst produzierten Reels auf Instagram: „Daraus nehme ich mit: Inhalte so verpacken, dass man die Leute erreicht. Wenn man sie erreicht, haben sie auch Freude daran, mitzusprechen – (…), weil sie eigene Gedanken und Meinungen dazu entwickeln. Und das wiederum wird von der künstlichen Intelligenz gefördert“.  Ob als User:innen oder produzierende Journalist:innen, diese Erfahrung im öffentlichen Diskurs dürften auch Jura-Student:innen machen – egal, für welchen Karriereweg sie sich letztendlich entscheiden.

Eine Aufzeichnung der Diskussion finden Sie hier