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Bucerius Law School
„Einmal im Leben etwas wirklich Neues machen“

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Jubi 2021 im 50-Jahre-Magazin der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. Seit dem 1. Januar 2022 ist Prof. Manuel Hartung Vorsitzender des Vorstands der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. Seit dem 1. Oktober 2023 ist Prof. Dr. Michael Grünberger Präsident der Bucerius Law School. Mehr Informationen zu den Interview-Partner:innen finden Sie hier.

Eine Idee kommt in die Welt

MICHAEL GÖRING: Eine Sache treibt mich seit langer Zeit um: Was kann eine von privater Hand gegründete, aber mit einem Gemeinwohlauftrag versehene Einrichtung in einem Land wie der Bundesrepublik bewirken? Also eine Einrichtung wie unsere. Und so war Ende der 1990er Jahre klar, dass die ZEIT-Stiftung bald ein großes Projekt angehen würde. Die Frage war nur: Welches genau?

KARSTEN SCHMIDT: Im Jahr 1997 hatte der damalige Bürgermeister Voscherau ins Rathaus geladen, um im kleinen Kreis zu diskutieren, wie man einen Braindrain am Wissenschaftsstandort Hamburg verhindern könnte. Als Vertreter der ZEIT-Stiftung waren auch Manfred Lahnstein, Michael Göring, Helmut Schmidt, Gräfin Dönhoff dabei – und Klaus Asche. Dessen Sohn Florian ging damals auf eine Law School in den USA. Man müsste so etwas hier gründen, sagte er. So kam die Idee in die Welt.

GÖRING: Wir dachten darüber nach, die Jura-Ausbildung mit anderen Bereichen wie den Wirtschaftswissenschaften zu verbinden. Unser Gründer Gerd Bucerius war ja Anwalt, Politiker, Geschäftsmann und Stifter. Am Beispiel seiner Person zeigt sich, wie breit ein gut ausgebildeter, kluger Jurist in vielen gesellschaftlichen Positionen reüssieren kann.

SCHMIDT: Im Jahr 1997 unternahmen wir Fact-Finding-Missionen nach London und in die USA und sprachen mit Dekanen in New York, Berkeley und Stanford. Diese Kontakte brachten uns neue Perspektiven.

GÖRING: Wir mussten natürlich auch in unserem wunderbaren Kuratorium für die Idee werben. Helmut Schmidt hatte zunächst so ein bisschen Bedenken, zitierte Shakespeare: „First kill all the lawyers“. Aber insgesamt war eine Bereitschaft für ein solches Projekt da. Wir haben die Satzung geändert, dass die ZEIT-Stiftung auch eigene Einrichtungen gründen darf.

KRISTA SAGER: Im Januar 1998 war ich Wissenschaftssenatorin in der ersten rot-grünen Regierung in Hamburg. Ich wusste von den Vorgesprächen nichts. Dann haben sich die Herren Göring, Lahnstein und Asche in meinem Büro in der Hamburger Straße angemeldet. Was wollen die jetzt von mir?, dachte ich mir.

GÖRING: Natürlich gab es auch Skepsis. Ein SPD-Mitglied der Bürgerschaft sagte, er wäre sofort dafür, wenn wir die Hochschule im Arbeiterviertel Wilhelmsburg errichten würden. Das ist irgendwie auch normal.

SAGER: Ich fand ein Engagement von Stiftungen im Wissenschaftsbereich prinzipiell nicht schlecht – die Hamburger Fernhochschule der Deutschen Angestelltengewerkschaft war kurz zuvor genehmigt worden. Damals sahen viele in einer privaten Hochschule ein neoliberales Projekt, und es wurde heiß über Studiengebühren diskutiert. Mir war wichtig, dass auch weniger privilegierte Studierende über Stipendien Zugang hatten.

SCHMIDT: Es gab natürlich ein Geraune an den juristischen Fakultäten. Im Rückblick kann ich das verstehen. Wir bastelten ein Konkurrenzprodukt und stellten die akademische Welt vor unangenehme Fragen: Ist unsere juristische Ausbildung im internationalen Vergleich noch wettbewerbsfähig? Wir wollten die Drop-out-Rate im Jurastudium verringern, neue Herausforderungen angehen und Akzente setzen – manche wollten gar das Staatsexamen abschaffen.

SAGER: Der große Bringer war der Verkauf des Gebäudes an der Marseiller Straße. Die ZEIT-Stiftung machte ein Angebot über dem erwarteten Marktpreis zugunsten des staatlichen Hochschulbaus. Das war damals ein wirklich guter Deal. Für alle Seiten.

GÖRING: In Harvard hatte ich gesehen, dass ein Institut nicht nur nach innen wirkt und die Studierenden klüger macht, sondern auch die Gesellschaft bereichert. Und deshalb war für mich klar, wenn wir eine Law School gründen, muss das ein Zentrum sein für Hamburg, für den Austausch mit interessierten und interessanten Leuten.

CLAUDIANA TRISKATIS: Kurz vor dem Abitur 2000 war ich bei der Berufsberatung im Arbeitsamt Pinneberg. Ein verrauchtes Zimmer, in dem eine ältere Dame saß. Als ich ihr erzählte, dass mein Vater Jurist ist und ich gern was im Ausland machen würde, meinte sie: „Da hab ich was gehört.“ Und gab mir ein kleines Zettelchen mit einer Telefonnummer. Da rief ich dann an.

Die richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort

GÖRING: Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es uns wirklich gelingen wird, gute Professor:innen zu berufen, die sagen, ich brauche nicht den Beamtenstatus.

SCHMIDT: Zum Segen für die Hochschule haben wir Hein Kötz als Gründungspräsidenten gewonnen. Ein Glücksgriff! Kötz, der unter anderem Mitglied der Academia Europaea und der British Academy ist, war uns allen an internationaler Vernetzung voraus. Ihm musste man glauben, dass es uns mit den großen Plänen ernst war.

GÖRING: Und da merkte ich, jetzt sind wir auf einem guten Weg. Die Mitglieder unserer Gründungskommission: Experten von der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung, Hein Kötz als erster Präsident, Karsten Schmidt als Éminence grise, Klaus Landry, der damalige Präsident der Anwaltskammer in Hamburg … Aus aktueller Sicht fehlen natürlich herausragende Frauen, die heute Teil der Kommission wären.

DORIS KÖNIG: Irgendwann las ich eine Stellenanzeige. Bewerbungsfrist: 31.12.1999. Eine Professur in meiner Wohnstadt Hamburg war natürlich attraktiv. Im März 2000 fand ein Vorstellungsgespräch statt: Ich berichtete über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, „Frauen in der Bundeswehr“, nach dem Frauen nun aktiv in den Militärdienst eintreten durften. Es gab hitzige Diskussionen – und trotzdem ein Angebot. Man bekommt nicht häufig im Leben die Chance, an etwas wirklich Neuem mitzuwirken.

GÖRING: Das Abitur ist auch bei uns Voraussetzung fürs Studium, aber dazu musste jeder, der zu uns wollte, ein Aufnahmeverfahren durchlaufen. Es gibt drei Kriterien: eine gewisse intellektuelle Fähigkeit der Bewerber und Bewerberinnen, dann die Frage, wo sie in ihrem bisherigen Leben Verantwortung zeigen mussten und wann sie selbst eine Initiative vorangebracht haben.

TRISKATIS: Der schriftliche Test im Congress Center Hamburg hat mich ziemlich eingeschüchtert: ein Riesensaal voller klug erscheinender Menschen.

SEBASTIAN NABER: Wir sind nicht alle ähnlich, sondern komplementär im positiven Sinne. Fast alle Kommiliton:innen waren politisch engagiert oder interessiert. Von Julis bis Jusos alles dabei. Der gemeinsame Nenner sind tolle Menschen mit interessanten Hobbys und Leidenschaften. Von Musik über Kunst bis NGOs.

TRISKATIS: Das mündliche Auswahlverfahren in der Law School hat mir viel Spaß gemacht, man musste einen Vortrag halten, es gab Diskussionen, und die Jury war ehrlich an uns interessiert. Ein Anwalt fragte mich, was für ein Klavierstück ich zuletzt gespielt hatte. Es war Beethovens „Pathetique“, dritter Satz. Da summte er die Melodie aus dem Kopf. Es ging an diesem Tag nicht nur um Jura, sondern um das Leben selbst.

NABER: Was für ein Schritt. Gerade noch Zivildienst, plötzlich wurde man Teil der Hamburger Gesellschaft. In Zehnergruppen in Hilde von Langs Wohnung in der Schönen Aussicht zum Abendessen. Eine ganz andere Welt. Ich hatte richtig Ehrfurcht vor dem eigenen Leben.

Die Stunde null

KÖNIG: Ich kann mich an die Klausurtagungen mit Hein Kötz und Michael Göring erinnern. Wir waren fünf relativ junge Leute, die sehr konstruktiv und engagiert versuchten, eine mitreißende Form der Lehre zu entwickeln. Wir haben damals zum Beispiel Skripte für alle Vorlesungen geschrieben, damit die Studierenden die Inhalte besser nachlesen konnten.

GÖRING: Es gab im juristischen Studium ja über Jahrzehnte den Repetitor. Und wir hatten gesagt, wer zu uns kommt und bei uns studiert, der wird keinen Repetitor brauchen. Der kriegt all das bei uns an der Hochschule geboten, was er oder sie für das Staatsexamen braucht.

KÖNIG: Das Zentrum für Juristisches Lernen, an dem neue Didaktikmethoden erdacht und erprobt werden, hat sicher einen erheblichen Anteil an den guten Examensergebnissen.

NABER:  Es hatte etwas Start-up-Mäßiges. In meiner ersten Strafrechtsvorlesung wurden DIN-A4-Reader mit einer Schubkarre hereingefahren. Man hat aber von Anfang an gemerkt, dass vom Gründungsteam viel Leidenschaft und viele gute Ideen kamen. Das war beeindruckend und toll. Man merkte, dass hinter der etwas schrabbeligen Oberfläche viel Konzept stand.

KÖNIG: Zu Beginn war auch Improvisationsgabe gefordert, die Fähigkeit, Widrigkeiten auszuhalten und dennoch eine gute Lehre zu bieten. Wegen erheblicher Bauarbeiten haben wir Vorlesungen teilweise im Festsaal des Restaurants Seeterrassen in Planten un Blomen gehalten. Die Heizung fiel aus, Studierende schrieben in Daunenjacken ihre Hausarbeiten. Es gibt an der Bucerius Law School einen besonderen Spirit: neue Ideen aufgreifen und dann mit voller Power in kürzester Zeit umsetzen.

TRISKATIS: Die ersten Monate an der Law School waren für mich wahnsinnig hart. In der ersten Verfassungsrechtsvorlesung bekamen wir einen Stapel mit sechs BVG-Urteilen auf den Tisch. Vom wissenschaftlichen Arbeiten hatte ich ja keine Ahnung. Es war schon ein großer Schritt, vom Gymnasium auf die Universität, raus aus dem Elternhaus. Aber ich hab mir gesagt: Bis zum Auslandsaufenthalt hältst du auf jeden Fall durch.

GÖRING: Und da sind schon auch einige dabei gewesen, die bis an ihre Grenzen gekommen sind. Auch Eltern, die bei mir angerufen haben und gesagt haben:

„Unsere Sophia hat immer nur Einsen geschrieben, die war schon in der Kita immer die Jahrgangsbeste. Und jetzt schreibt die plötzlich eine Vier, das kann nicht sein. Das Mädchen ist völlig am Boden zerstört.“ Es war für Sophia eine wichtige Erfahrung wie für ihre Eltern. Heute haben wir eine Psychologin am Campus, die Unterstützung anbietet.

KÖNIG: Natürlich mussten wir manche unserer vermeintlich guten Ideen auch an die Realität anpassen. Es stellte sich heraus, dass wir mit unserem unglaublich dicht getakteten Zeitplan zumindest einige der Studierenden überforderten. Wir mussten mehr Feedback und Übungsklausuren einplanen.

SCHMIDT: Wir haben im Jahr 2000 genau 100 Student:innen aufgenommen, in der Annahme, dass wir dann auch 100 Absolvent:innen erwarten können. Das war naiv. Es gab von Anfang an Studierende, die sich wieder von uns lösten und die Weichen anders stellten – etwa zu Medizin oder Theologie wechselten.

TRISKATIS: Die Law School hat kommuniziert: Ihr seid die Ersten. Ihr habt es in der Hand, dass das eine Erfolgsstory wird. In den 1,5 Jahren vor dem Staatsexamen hab ich 120 Übungsklausuren geschrieben, war sechs Tage die Woche am Schreibtisch.

KATHARINA BOELE-WOELKI: In den Nullerjahren lehrte ich an einer niederländischen Hochschule. Eines Tages kam ein Kollege zurück, der an der Law School einen Vortrag gehalten hatte und über den Campus und den Fokus auf Exzellenz schwärmte. Ich fand gut, dass es so eine Initiative in der deutschen Bildungslandschaft gab. Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages ein Teil dieser Geschichte werde?

KÖNIG: In meiner Zeit als Präsidentin haben wir auch eine Gleichstellungsperson eingesetzt und versucht, die Chancengleichheit von Frauen im Kollegium und unter den Studierenden zu verbessern. Zu Beginn hatten wir knapp 33 Prozent Frauenanteil unter den Studierenden, 20 Jahre später sind es gut 46 Prozent.



Weiter in die Zukunft

NABER: Nach dem ersten Examen waren wir in einer Summer School in Peking. Und haben uns mit anderen Law-School-Studierenden getroffen, die gerade Praktikum gemacht haben. Man hat immer eine Anlaufstelle. Und man weiß, dass es ein interessanter Abend wird.

TRISKATIS: Heute gibt es 15 Alumni-Jahrgänge. Es ist ein globales Supportsystem entstanden, das allen Absolventinnen und Absolventen beruflich und auch persönlich helfen kann. Wenn mich jemand von der Law School anschreibt, dann bin ich immer für ihn oder sie da!

BOELE-WOELKI: Als ich 2014 von der Law School eine E-Mail erhielt, dachte ich erst, dass man mich nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt fragt. Erst beim persönlichen Gespräch habe ich gemerkt: Es geht ja um mich. Ich habe lange mit mir gerungen, aber eigentlich sollte man, wenn man den Höhepunkt an einer Institution erreicht hat, immer wechseln und etwas Neues beginnen. Ich hatte viele Erfahrungen gemacht, die ich einbringen wollte.

SAGER: Die Law School ist heute etablierter Teil im Hamburger Netzwerk. Und die Absolvent:innen sind exzellent – was bei einer kleinen, gut ausgestatteten Einheit mit Hochbegabten zu erwarten ist. Bleibt die Frage: Wo soll in Zukunft inhaltlich ihre Avantgarde-Position liegen? Ich bin gespannt, welche Antwort die Law School darauf gibt.

GÖRING: Der Anspruch bleibt, anderen möglichst immer ein, zwei Schritte voraus zu sein. Es ist ganz wichtig, dass unsere Leute reisen, dass sie zu internationalen Kongressen fahren. Und wir schaffen in Hamburg die Strukturen: Aktuell läuft ja ein Architektenwettbewerb für zwei neue Gebäude. Genau wie sich der Aufbau von Büros verändert hat, wird es auch dort eine Abfolge aus Rückzugsräumen und Kommunikationsinseln geben. Da wird auch irgendwo ein Kicker stehen. Das Miteinander soll einfach funktionieren.

SCHMIDT: Gerd Bucerius war ein wertkonservativer Mensch und hatte gleichzeitig die innere Freiheit, seine Umwelt immer wieder aufs Neue zu überraschen. Deshalb passen Law School und Stiftung so gut zu dem Namen Bucerius: Anpassungsfähigkeit, gelebte Gedankenfreiheit, ein lernendes System.

BOELE-WOELKI: Eine der wichtigsten Aufgaben ist, wie wir als rein juristische Hochschule interdisziplinären Austausch ermöglichen. Und bei uns gibt es den. Wir haben Projekte im Klima- und Energierecht, Legal Tech und Medizinrecht. Wir schauen immer nach außen und prüfen, welche Ideen und Impulse wir für uns nutzbar machen können. Rechtswissenschaftliche Forschung geht bei uns Hand in Hand mit der Einbindung anderer Wissenschaftsgebiete. Diesen Weg ermöglichen wir mit zusätzlichen Fördermitteln.

NABER: Die Law School ist kein weißes Blatt Papier mehr. Es sind Rituale und Regeln entstanden. Nun geht es darum, dass man sich durch den eigenen Status quo nicht einschränken lässt. Ich wünsche mir, dass die Law School ihren eigenen Anspruch auch in den nächsten 20 Jahren hochhält – um auch über die Hochschule hinaus eine Wirksamkeit zu entfalten.

BOELE-WOELKI: Wir haben nie mehr als 550 Studierende auf dem Campus. Das versetzt uns in die Lage, schnell und flexibel zu handeln. Gerade in der Pandemie kam uns das zugute. Die technischen Möglichkeiten für hybriden Unterricht wurden geschaffen. Wir mussten dafür sorgen, dass Studierende den Anschluss an Stoff und Community nicht verlieren, dass sie in Verbindung bleiben. Und so haben etwa 100 Studierende ein Lied über Zoom aufgenommen. Das ist der Bucerius-Spirit.

GÖRING: Die Gründung der Law School ist das Wichtigste, was ich in meinem Berufsleben machen durfte. Es hat auch der ZEIT-Stiftung gutgetan. Wir waren damit in der Stadt angekommen. Und wir blicken weiter in die Zukunft! Ich hatte mir eigentlich gewünscht, dass eine andere Stiftung noch eine weitere Fakultät bei uns gründet. Aber vielleicht kommt das noch!

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