Lecture mit dem Präsidenten der Universität Haifa Ron Robin an der Bucerius Law School.
Die Universität Haifa ist ein besonderer Ort: Hier lernen und forschen jüdische und arabische Studierende zusammen. Seit vielen Jahrzehnten – und auch jetzt. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und dem Beginn des Gaza-Krieges hat die drittgrößte Uni Israels den Lehrbetrieb Ende Dezember 2023 wieder aufgenommen, das erste Semester „seitdem“ ist gerade beendet.
Wie kann das gehen in Zeiten des Konflikts und der Gewalt? Können die Uni und ihr „Multiversity“-Konzept eine Blaupause für ein Zusammenleben sein? Woher rühren die anti-israelischen Proteste und Blockaden an US-amerikanischen Elite-Unis – aber auch an anderen Hochschulen weltweit? Und wie kann eine Zukunft nach dem Krieg aussehen?
Dazu, den Folgen des Terrors und der Rolle von Hochschulen beim Wiederaufbau einer vielfältigen Zivilgesellschaft sprach der Präsident der Universität Haifa, Professor Ron Robin, bei seinem Vortrag am Abend des israelischen Holocaust-Gedenktags in der Bucerius Law School in Hamburg. Er war auf Einladung von uns, der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, und dem Deutschen Fördererkreis der Universität Haifa vor Ort, um gerade in diesen herausfordernden Zeiten zu berichten, zu erklären, zu diskutieren und gemeinsame Wege aufzuzeigen.
Es ist unsere Aufgabe zu zeigen, dass es Hoffnung und einen Weg raus aus der Spirale der Gewalt und des Hasses gibt, sagte Professor Robin in seiner Rede. Und die Uni Haifa sei wie eine Kristallkugel – denn was in Haifa passiere, könne auch in anderen Städten funktionieren.
Im Publikum im vollbesetzten Moot Court waren unter anderem die Bundestagsvizepräsidentin und ehemalige Staatsministerin Aydan Özoguz, Staatsrätin Eva Gümbel, Rektor:innen und zahlreiche Vertreter:innen deutscher Universitäten und Bildungseinrichtungen, Manfred Lahnstein, Finanzminister a.D. und langjähriger Vorsitzender des Kuratoriums der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, Mitglieder des Deutschen Fördererkreises der Universität Haifa, Studierende, der Rektor und designierte Präsident der Uni Haifa Professor Gur Alroey, auch der Präsident der Bucerius Law School Michael Grünberger und unser Vorstandsvorsitzender Manuel Hartung.
Die Prinzipien von „how to think, not what to think“ und „shared society“
Der Terror des 7. Oktobers habe als „Überraschungs-Angriff“ vor allem darauf abgezielt, Angst zu verbreiten, jedes Gefühl von Sicherheit zu vernichten, den „Feind herauszufordern“ und mediale Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit weltweit zu generieren, sagte Professor Robin.
Weiter erklärte er das Prinzip seiner Arbeit, er wolle jungen Menschen beibringen, „how to think, not what to think“.
Für Robin liegt die Zukunft einer stabilen, diversen israelischen Gesellschaft im Konzept der „shared society“ – einer guten Zukunft für jede:n Einzelne:n. Auf dem Weg dorthin komme den Universitäten eine zentrale Rolle zu, denn es brauche unter anderem noch mehr Bildung für alle. Die Mission der Uni Haifa sei es, Trennungen zwischen Gruppen aufzuheben und beste Bildung für jeden zu ermöglichen, egal welcher Herkunft.
Auf der Grundlage könne sich eine neue werteorientierte Mittelschicht als Kern der Gesellschaft etablieren. Bereits heute ist der Anteil der Studierenden aus bildungsfernen Gruppen an der Universität Haifa um ein Vielfaches größer als an anderen Universitäten. Mit rund 40 Prozent arabischen Studierenden bildet sie zudem eine einmalige Wissensgemeinschaft in Israel.
Insgesamt käme gut gebildeten Frauen eine zentrale Rolle zu. Denn auch der hohe Frauenanteil von über 60 Prozent sei ein entscheidender Faktor dafür, dass das friedliche Zusammenleben in dem geschützten Raum der Uni Haifa funktioniere.
Berührende und kritische Diskussionsrunde
Nach Robins eindrucksvollen Erläuterungen und klaren Analysen ging es in die Diskussion, moderiert von Sonja Lahnstein-Kandel, der Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Fördererkreises der Universität Haifa. Auf dem Podium saß außerdem die jüdische Studentin Eliana Korn; digital zugeschaltet war Prof. Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main und Alumnus der Universität Haifa.
Der 7. Oktober habe alles verändert, das gesamte Leben, schilderte Eliana Korn. Die Studentin an der Bucerius Law School erzählte sehr berührend, welches Trauma das Massaker der Hamas bei Jüd:innen ausgelöst habe und warum ihre Kommilitonen in Deutschland das Ausmaß nur schwer nachvollziehen könnten.
Der zunehmende Antisemitismus in der Welt, aber auch konkret in Deutschland, sei beängstigend, aber auch vorhersagbar, erklärte Prof. Mendel. Denn in Zeiten von Krisen gebe es immer mehr Rassismus und Antisemitismus, weil sich Menschen einen Schuldigen suchten, um das Unerklärliche für sich erklärbar zu machen.
Bei der Diskussion ging es auch um Fragen des Mitgefühls für die Menschen im Gaza-Streifen und Kritik an der israelischen Regierung. Die Diskutierenden waren sich einig, dass es eine politische Lösung brauche.
Zum „Bucerius Institute“ an der Universität Haifa
Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS für Wissenschaft und offenen Austausch in Israel und an der Universität Haifa. Hier förderte die Stiftung 2001 die Gründung des „Bucerius Institute for Research of Contemporary German History and Society“, das sich seitdem der Erforschung der zeitgenössischen deutschen Geschichte und Gesellschaft widmet. Ergänzt wird dieses durch ein Stipendien- und Austauschprogramm. So fördert die Stiftung auch ein Programm, das es arabischen Frauen ermöglicht, an der Universität zu studieren.
Auch und gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS ein Anliegen, im Gespräch zu bleiben und offene kritische Debatten auch zu polarisierenden Themen anzuregen und zu fördern.
Mehr zum Institut, der Förderung und der Geschichte dahinter auch hier.