Welchen Bedrohungen und Einschränkungen ist die Wissenschaftsfreiheit weltweit ausgesetzt? Wie kann die Zivilgesellschaft bedrohte Forscher:innen schützen und unterstützen? Diesen Fragen wollen die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS und die VolkswagenStiftung in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin und dem Tagesspiegel nachgehen – in der gemeinsamen Veranstaltungsreihe „Protecting Academic Freedom“.
Unter dem Titel „Scholars at risk, scholars in exile“ fand am 18. Oktober 2023 die Auftaktveranstaltung statt. Nach gemeinsamen eröffnenden Worten von Prof. Manuel J. Hartung (ZEIT STIFTUNG BUCERIUS), Dr. Matthias Nöllenburg (VolkswagenStiftung) und Reinhard Altenhöner (Staatsbibliothek) sprach Tagesspiegel-Redakteurin und Moderatorin Anja Wehler-Schöck mit der ukrainischen Soziologin Prof. Dr. Viktoria Sereda und der türkischen Historikerin Prof. Dr. Nazan Maksudyan über die Situation von Wissenschaftler:innen in bzw. aus ihren Heimatländern.
Foto: © Kevin Fuchs
Viktoria Sereda, die das neu gegründete “Virtual Ukraine Institute for Advanced Study” leiten wird, betonte, dass die Wissenschaftsfreiheit in der Ukraine nicht grundsätzlich infrage gestellt sei. Wegen des Krieges arbeiteten viele Kolleginnen und Kollegen jedoch unter schwierigen Bedingungen: „Viele Schulen und Universitäten wurden zerstört, manche Institutionen befinden sich unter russischer Besatzung, manche wurden an andere Orte verlegt“. Darüber hinaus stünden ukrainische Wissenschaftler:innen unter einem doppelten Druck. „Zum einen sind bestimmte Informationen aufgrund des Krieges nicht vorhanden oder dürfen nicht verbreitet werden.“ Außerdem fragten sich viele, „wie sie ihre Rolle als Forscher und ihre Rolle als Bürger vereinbaren können. Wie können Sie über den Krieg sprechen und schreiben?“
Forschung in Deutschland: Wie wird man das Label des:der Exilwissenschaftler:in los?
Als Historikerin, die die Geschichte des armenischen Genozids untersucht, wurde Nazan Maksudyan in der Türkei schon früh mit Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit konfrontiert. Diese seien in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen – allen Hoffnungen auf eine demokratische Öffnung zum Trotz. Maksudyan, die derzeit am Centre Marc Bloch in Berlin ein Forschungsprojekt leitet, beobachtet in ihrer Heimat außerdem einen zunehmenden Anti-Intellektualismus: „Immer weniger junge Menschen wollen studieren. Die Wissenschaftler sind weitgehend deprimiert.“
Die beiden Panel-Teilnehmerinnen richteten aber auch einen Appell an die deutsche Forschungscommunity. So sagte Sereda: „Wir müssen darauf achten, dass Wissenschaftler im Exil nicht für immer als solche gelabelt werden. Damit sie nicht dauerhaft als diejenigen angesehen werden, denen man helfen muss, sondern als das, was sie sind: Experten in ihrem Feld.“ Maksudyan ergänzte: „Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Nach sieben Jahren in Deutschland frage ich mich, wie lange es dauert, bis man nicht mehr als ‚Scholar in Exile‘ wahrgenommen wird.“
Lounge-Gespräche mit Expert:innen: Aktive Teilhabe der Gäste
Auf die spannende Podiumsdiskussion folgten offene Lounge-Gespräche zwischen dem Publikum, den Panel-Teilnehmerinnen und weiteren Expert:innen: Dr. Tuba İnal-Çekiç vom Center for Comparative Research on Democracy (CCRD) in Berlin, Dr. Oksana Zaporozhets vom Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung und Christina Rogers, Projektleiterin des Programms „Academics in Solidarity“ an der Freien Universität Berlin, diskutierten mit den Teilnehmer:innen und berichteten von ihren Initiativen und individuellen Erfahrungen.
Das Fazit der Veranstalter: Ein perspektivenreicher Abend und ein gelungener Auftakt der Diskussionsreihe „Protecting Academic Freedom“. Weitere Ausgaben werden im Jahr 2024 folgen, darunter am 24. Januar die Veranstaltung „Academia and Democracy – Why is freedom of inquiry essential for a democratic political culture?“.