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© Kevin Fuchs
Auftakt in Berlin: „Wissen unplugged“ zu Menschenrechten und Migration

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren,” lautet der 1. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Veröffentlicht wurde sie im Jahr 1948, im Schatten des zweiten Weltkriegs, unterzeichnet in einem UN-Saal in San Francisco. Das ist 75 Jahre her. Was damals als universeller Schutzschild für alle gelten sollte, gerät heute immer wieder ins Wanken und steht infrage – besonders, wenn es um Migration geht. Wie also steht es 2023 um die reale Einhaltung von Menschenrechten und wie lassen sie sich mit Fragen und Auseinandersetzungen zu Migration vereinbaren?

Um diese und weitere große Fragen greifbar zu machen, reisen wir an einem Dezemberabend in die Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museums. Hier treffen sich Autor:in Sinthujan Varatharajah und die Rechtsexpert:innen Elisabeth Hoffberger-Pippan und Christopher Paskowski zur Diskussion. Es ist der Auftakt der neuen Format-Reihe „Wissen unplugged“, die die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS und die Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam mit Deutschlandfunk Nova (Hörfunk) und ZEIT Campus (Print und Online) an diesem Abend ins Leben ruft. Moderiert wird das interaktive Panel von Amna Franzke, Leiterin der Jungen Angebote von ZEIT ONLINE und Rahel Klein, Moderatorin bei Deutschlandfunk Nova.

Achtung: Das gesamte Gespräch ist im Podcast „Hörsaal“ von Deutschlandfunk Nova verfügbar und überall, wo es Podcasts gibt!

Die drei Gäst:innen des Panels bringen verschiedene Blickwinkel auf (Menschen)recht und Migration in die Hallen der Hörsaalruine. Sinthujan Varatharajah ist Autor:in, u. a. von „An alle Orte, die hinter uns liegen“ und hat international bereits für verschiedene Menschenrechtsorganisationen gearbeitet. Er:sie teilt sich das Podium mit zwei Jurist:innen: Die Österreicherin Elisabeth Hoffberger-Pippan ist Expertin für Menschenrechte im bewaffneten Konflikt und humanitäres Völkerrecht und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am PRIF – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Christopher Paskowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bucerius Law School, ist aus Hamburg angereist.

„Wissen unplugged“: Verständliche Wissenschaft mit Teilnahme des Publikums

Nicht zuletzt mit solch multiplen Perspektiven sind umfangreiche Themen wie Migration und Menschenrechte oft nicht leicht zu fassen – die neue Eventreihe „Wissen unplugged“ aber steht für die verständliche Vermittlung von Forschung und will Gesellschaft und Wissenschaft auf nahbarer Ebene zusammenbringen, um sich gemeinsam den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Geführt von der Moderation gelingt das an diesem Abend vor allem durch die Struktur des Gesprächs: Per QR-Code stellen Besucher:innen direkte Fragen an die Panelist:innen, bewerten den Status Quo der Menschenrechte per Punkteskala oder können Schlussfragen mittels Vote bestimmen. Der Abend ist außerdem gegliedert durch die Lesung von drei Artikeln der Menschenrechtserklärung: Es geht um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, um das Recht auf Staatsangehörigkeit und das Recht auf soziale Sicherheit. Zwischen den Zeilen stehen dabei aber auch persönliche Geschichten und Themen wie Staatenlosigkeit, koloniale Strukturen und Fachkräftemangel – denn auch diese und viele weitere Themen sind Teil von Auseinandersetzungen über internationale Menschenrechte.

Christopher Paskowski gibt im Rahmen des ersten Artikels einen Einblick in die Entstehung der Menschenrechtserklärung: „Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und zweiten Weltkriegs haben sich die Staaten zusammengerauft und versucht, diese Erklärung zu verabschieden. Viele kleinere europäische und vor allem lateinamerikanische Staaten haben darauf gedrängt, dass man sie verpflichtend (…) verabschiedet. Das ist aber nicht passiert, weil die größeren europäischen Staaten Sorge hatten, zu viel von ihrer Souveränität und Macht in ein übergeordnetes Endorgan zu übertragen.“ In den 75 Jahren seit ihrer Einführung stand die Menschenrechtserklärung stets über den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen – und hat damit auch ihren Bezug zur gesellschaftspolitischen Realität verändert, zum Beispiel in Fragen der sozialen Teilhabe. Elisabeth Hoffberger-Pippan legt dabei den Finger in die Wunde, wenn es um Arbeit als Form der sozialen Teilhabe für Migrant:innen geht: „Grundsätzlich gilt, dass Asylbewerber:innen in Deutschland und Österreich nicht arbeiten dürfen – mit wenigen Ausnahmen, wie in Österreich die Saisonarbeit oder auch die Erntehelfer:innen(…). Wie könnten wir also beispielsweise dieses Gesetz in Österreich zu Fall bringen oder anfechten? (…) Wir sprechen ja immer noch von einer ,Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ -- und die ist einfach nicht rechtskundig. Was wir allerdings haben, ist der ,Internationale Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte‘, der wurde wenig später von der Staatengemeinschaft verabschiedet und ist rechtsverbindlich. (…) Allerdings kommt es immer darauf an, wie der jeweilige Staat oder die jeweilige Verfassungsordnung diesen Vertrag behandelt oder einordnet.“

(K)ein Update für die Menschenrechte?

Komplexe juristische Ebenen und Schlupflöcher der Auslegung – braucht es da ein Udpate der Menschenrechte, eine neue Auflage, ein Makeover? Sinthujan Varatharajah würde noch viel weiter gehen – und stellt grundlegende Konzepte infrage, in denen es Rechte für Menschen gibt, nicht aber für andere Lebewesen: „Dieser Überlegenheitsgedanke ist auch immer mit dem Ausschluss von anderem Leben verbunden (…) Man muss ja auch bedenken, wer überhaupt diesen Kompromiss der Menschenrechte eingegangen ist: Das waren vor allem europäischstämmige Menschen (…), dabei hatten viele Staaten und Bevölkerungen (…) gar keinen Einfluss auf die Interpretation dessen, was ,unser Leben‘ ist. Vieles von dem, was wir heute als internationales Recht oder System verstehen, ist immer noch ein imperial-europäisches System, das den Anspruch hat, universell für uns alle zu gelten – das entspricht aber faktual nicht der Wahrheit.“

Welche Wünsche, Hoffnungen und Forderungen die Panelist:innen stattdessen für die Menschenrechte der nächsten 75 Jahre haben, schildern Varatharajah, Hoffberger-Pippan und Paskowksi am Ende der 90-minütigen Diskussion, die ein gesellschaftlich aufgeladenes und komplexes Thema in präzisen Antworten vermittelt hat. Die Hörsaalruine leuchtet mit den Plädoyers und aufrüttelnden Gedanken der Expert:innen; Besucher:innen tauschen sich im Anschluss noch zwischen Fotos, Snacks und Blicken auf die imposante Kulisse aus. Im Kopf bleibt damit heute nicht nur die Diskussion, sondern auch die Vorfreude auf die nächste Veranstaltung der Reihe „Wissen unplugged“ – für deren Thema können Sie übrigens noch hier Vorschläge einreichen.

Die gesamte Veranstaltung ist im Podcast „Hörsaal“ von Deutschlandfunk Nova zu hören.

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