„Der Beschluss des Bundesvorstandes ist ein mir Unbegreiflicher und in der CDU nicht üblicher Fall von Intoleranz“, erklärte Gerd Bucerius am 8. Februar 1962 in einem Telegramm. „Er zwingt mich, die CDU und den Bundestag zu verlassen.“ Mit diesen Worten beendete der Jurist und Verleger seine politische Karriere, nachdem er sich 15 Jahre lang in der Partei engagiert hatte und für sie im Deutschen Bundestag saß. Der Auslöser für den Streit war ein Artikel im Stern mit dem Titel „Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?“. Der CDU-Bundesvorstand missbilligte den Text und sah beim Stern-Verleger Bucerius eine Verantwortung für den Text, der „christliche Empfindungen“ verletze.
Deswegen sollte sein Hamburger Landesverband darüber entscheiden, ob die Veröffentlichung mit der Mitgliedschaft von Bucerius in Partei und Fraktion vereinbar sei. Der kam einem möglichen Parteiausschluss zuvor und erklärte seinen Rücktritt. Dabei hielt Bucerius den Artikel selbst nicht für gelungen. Jürgen von Kornatzki hatte darin geschrieben, dass mit einer Annäherung zwischen katholischer und evangelischer Kirche nicht mehr zu rechnen sei. Er macht dies unter anderem daran fest, dass Rom „Misch-Ehen“ mit Ehepartner:innen von beiden Konfessionen diskriminiere.
Für die Union hochbrisant: Der Autor äußerte in dem Text auch die These, dass sich evangelische CDU-Abgeordnete bei wichtigen Abstimmungen im Bundestag „dem Willen der katholischen Abgeordneten gebeugt“ hätten. Gerd Bucerius teilte diese Annahme nicht. „Der unberechtigte Vorwurf des Stern-Autors traf die CDU hart“, schrieb er eine Woche später in der ZEIT. Die politische Zusammenarbeit beider Konfessionen mache die Partei aus. „Wäre die Zusammenarbeit in Wahrheit eine Unterwerfung der evangelischen unter die katholischen Abgeordneten (ich betone: sie ist es nicht), so würden die evangelischen Wähler die CDU verlassen.“
Die Partei habe jedes Recht gehabt, diesen Angriff zurückzuweisen, aber der Bundesvorstand habe darüber hinaus von „einer Verletzung christlicher Empfindungen“ gesprochen. Bucerius verurteilte diese Vermischung von religiösen Gefühlen und politischen Standpunkten. Ihm missfiel zwar der Artikel, aber es ging dem Verleger um Grundsätzliches: um Pressefreiheit und das Zulassen eines offenen demokratischen Diskurses. Von Parteifreund:innen brachte ihm das viel Kritik ein. Schon vor der sogenannten Höllenfeuer-Affäre waren er und die CDU immer wieder aneinander geraten, unter anderem, weil er den Bundeskanzler Konrad Adenauer öffentlich kritisierte.
(Bild: KAS/ACDP, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de)
Das Ende seiner politischen Karriere, kam rückblickend jedoch genau zur richtigen Zeit, sagt Axel Schuster, Archivar bei der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. „Bucerius entfaltete sich zum Verleger mit großen Ambitionen“, erklärt Schuster. In den Folgejahren gründete er zusammen mit Richard Gruner und John Jahr senior das Verlagshaus „Gruner + Jahr“, 1973 wurde er Aktionär bei Bertelsmann. Sein Vermögen vererbte Bucerius 1995 der ZEIT-Stiftung. „Die Stiftung wäre heute um ein Vielfaches kleiner, wenn Gerd Bucerius bis zum Pensionsalter oder darüber hinaus Politiker geblieben wäre“, glaubt Schuster. Von seiner Entscheidung profitiere die Gesellschaft insofern bis heute – exakt 60 Jahre später.
Mehr über das Leben und Wirken von Gerd Bucerius lesen Sie in der Dokumentation „ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius: eine Chronik 1971 – 2021“. Die von ihm gegründete ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gehört heute zu den größten Stiftungen in Deutschland. Sie setzt sich seit 50 Jahren für die Förderung der Zivilgesellschaft ein, dazu zählt auch die Förderung der Presse. Die ZEIT-Stiftung stärkt unabhängige Medien und streitbare Journalist:innen in osteuropäischen Staaten, sie engagiert sich gegen Hass im Netz und für innovative journalistische Konzepte.
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