Wie sieht es aus vor der eigenen sprichwörtlichen Haustür? Für viele Menschen lässt sich diese Frage nicht mehr leicht beantworten – fehlt es doch an jeglicher Information dazu. Genauer: Es fehlt an lokaler Berichterstattung, an regionalem Journalismus. Lokaljournalismus ist bedroht, auch in Deutschland. Herausforderungen in der Finanzierung, Übergriffe auf Lokaljournalist:innen und eine allgemein bedrohte Pressefreiheit, lokal wie überregional, machen das deutlich. Stiftungen wie wir als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, unabhängige Berichterstattung und damit auch den Lokaljournalismus zu stärken. Welche Anforderungen aber müssen hierfür erfüllt werden, welche Lücken geschlossen? Und können wir in Deutschland bereits von sogenannten „Nachrichtenwüsten“ sprechen, also Regionen, in denen es faktisch gar keine Berichterstattung mehr gibt?
Über diese und weitere Fragen haben wir mit Expert:innen im Mai 2025 in Hamburg diskutiert. Im Rahmen der „Woche der Meinungsfreiheit“ kamen im Moot Court der Bucerius Law School über 100 Gäste mit den Panelist:innen und Moderator Georg Mascolo zusammen – für eine leidenschaftliche Diskussion über das was, vor der eigenen Haustür passiert und berichtet werden muss. Die Veranstaltung war eine Zusammenarbeit der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, der Körber-Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung. Eindrücke aus der Praxis lieferten auf dem Podium Sonja Schwetje, Geschäftsführerin und Programmchefin von RTL Nord, Anja Günther, Chefredakteurin des Landesfunkhaus Hamburg beim Norddeutschen Rundfunk (NDR), der Chefredakteur der WESER-Kurier Mediengruppe Benjamin Piel und Dr. Christian Wellbrock, Leiter Innovation und Studium Digital- und Medienmanagement an der Hamburg Media School.
Wüstenradar-Studie: Fehlender Lokaljournalismus hinterlässt spürbare Konsequenzen für Bürger:innen
Nachrichtenwüsten – davon spricht man bereits in anderen Teilen der Welt, so zum Beispiel in den USA. Lokaljournalismus ist hier ausgehöhlt oder gar nonexistent – und die Auswirkungen im direkten Handeln der Politiker:innen und Bürger:innen spürbar. In Deutschland seien wir noch nicht so weit –erste „Nachrichtensteppen“ bildeten sich aber auch hier, sagte Dr. Christian Wellbrock. Der Wissenschaftler stellte zu Beginn der Veranstaltung die Studie „Wüstenradar“ zum Status der Lokalzeitungen in Deutschland vor – mit warnenden Signalen für die Medienlandschaft. Fehlender Lokaljournalismus habe spürbare Konsequenzen für Menschen, so Wellbrock. Das Fehlen resultiere in geringerem politischem Interesse in der Bevölkerung und in einer sinkenden Politik-Kompetenz. Auch fühlten sich politische Vertreter:innen und Unternehmen weniger angehalten, im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln – und hätten mit Social Media ein Werkzeug an der Hand, dass eine eigene mediale Kontrolle zulässt, im Gegensatz zu einer kritischen Überprüfung durch Journalist:innen. In Deutschland könne man zwar noch nicht von vergleichbaren Nachrichtenwüsten sprechen, so Wellbrock, der Rückgang von immer mehr Lokalzeitungen bereits dazu geführt, dass es unter anderem in strukturschwachen Gegenden pro Landkreis nur noch eine Zeitung gibt – Wellbrock nennt das eine „Versteppung“ der Nachrichtenlandschaft in jenen Regionen.
Die Nähe zu Menschen bleibt das Wichtigste
Was ist mit jenen, die noch da sind? Wie sind Lokaljournalist:innen selbst herausgefordert? Ein Schlüssel liege vor allem in der Nähe und dem direkten Kontakt zu Menschen – als Quelle, aber auch vor allem als Konsument:in und Leser:in, darin war sich das Podium einig. Es sei wichtig, als Journalist:in von Menschen zu lernen, so RTL-Geschäftsführerin Sonja Schwetje. Dafür müsse aber auch Zeit da sein – Kolleg:innen müssten mit Menschen reden können, auch ohne, dass dabei ein konkretes Ergebnis herauskommt. Ihre Devise: „Raum geben, zuhören“. Auch die NDR-Lokalchefin in Hamburg Anja Günther hob hervor, wie bedeutsam es sei, außerhalb von Social Media mit Menschen in Kontakt zu treten. Medien müssten heutzutage noch vielmehr erklären, wie sie arbeiten und sich fragen: „Was soll gute Berichterstattung leisten?“. Auch offene Selbstkritik sei essenziell – denn gepaart mit den weiteren Schritten könne diese dabei helfen, das Vertrauen von Menschen in (lokalen) Journalismus zu stärken.
In der Vertrauenskrise gegenüber Medien stehen Politik und Journalismus einander ebenfalls gegenüber – ergänzt um große Tech-Konzerne, die nach wie vor die großen, privatwirtschaftlichen Social-Media-Plattformen kontrollieren. Benjamin Piel, Chefredakteur der WESER-KURIER Mediengruppe, machte an diesem Abend seine Zweifel deutlich, inwiefern Politiker:innen ein ernsthaftes Interesse an der Unterstützung von lokaler Berichterstattung hätten – oder ob viele nicht vielmehr begrüßten, mit Social Networks eine Plattform zu haben, auf der sie das eigene Narrativ weiterhin relativ uneingeschränkt verbreiten können. Dennoch herrsche auch unter Journalist:innen ein Problem in der nötigen Distanz zu Politker:innen – man versuche, „durchzukuscheln“, um Informationen zu erhalten, so Piel – ein nachvollziehbares, aber dennoch schwieriges Verhältnis. Faktische Berichterstattung machten Streit und Lösungen aber gar erst möglich, fügte Moderator und Journalist Georg Mascolo im Verlauf des Gesprächs hinzu.
Diskussion mit Publikum: Wie wird Lokaljournalismus finanziert?
Eine der größten Herausforderungen für unabhängigen Lokaljournalismus bleibt seine Wirtschaftlichkeit. Hierzu stellt auch das Publikum entsprechende Fragen. Sonja Schwertje brachte das Gespräch dazu erneut auf die Rolle von großen Tech-Unternehmen, die journalistische Inhalte ihr zufolge „gatekeepen“, also von ihren Plattformen zurückhalten, und stellte selbst die Frage, warum es Medienhäusern noch nicht gelungen sei, (Lokal-)journalismus auf Social-Media-Plattformen nachhaltig zu etablieren. „Das gute alte Modell „was einem was wert ist, kostet auch“ gilt auch im Journalismus“, ordnete Moderator Georg Mascolo ein. Christian Wellbrock forderte neben Regulationen im Digitalen bessere Produkte im Lokaljournalismus; eine Bündelung von Medien und Zeitungen sei hier beispielsweise sinnvoll. Auch Benjamin Piel forderte weitere Verlagshäuser auf, die eigenen finanziellen Strukturen zu reflektieren – und unterstrich dafür ein Beispiel aus dem Publikum, nach dem politische Abendveranstaltungen nicht mehr von Medienvertreter:innen besucht werden, aufgrund von dadurch entstehenden unbezahlten Überstunden. Aber: „Lokalpolitische Prozesse müssen weiterhin begleitet werden“, so Piel.
Nicht zuletzt schlägt sich die Krise des Lokaljournalismus auch in dessen Themenwelten nieder – das Podium diskutierte hierzu mit dem Publikum über die Themenauswahl, die manchmal vermeintlich leichte Themen bevorzugt. Hier liege aber auch die Kraft einer guten Berichterstattung: Über lebensnahe Beispiele den Zugang zu komplexen zu Themen schaffen, sei laut RTL-NORD Chefin Schwetje wichtig für die Glaubwürdigkeit eines Lokalmediums seien. Für wen aber sind diese Themen profitabel – für Konsument:innen oder doch Medien, die dadurch Klickzahlen steigern und Aufrufe generieren?, will eine Zuschauerin an diesem Abend wissen. Der Anspruch solle nicht runtergeschraubt werden, so Schwetje, Menschen müssten aber dort abgeholt werden, wo sie aufnahmebereit sind. Vereinfachung bleibt eine große Herausforderung, fand auch Georg Mascolo. Es sei eine der schwierigsten Aufgaben im Journalismus, komplexe Sachverhalte runterzubrechen, ohne deren Substanz zu verfälschen. Dafür brauche es aber auch eine Voraussetzung, die über die Verantwortung von Lokaljournalist:innen letztendlich hinausgeht: „Wir brauchen wieder die Fähigkeit, respektvoll gegenüber anderen Meinungen sein zu können.“
Respektvoll mit Meinungen umgehen, kurz: Aufrichtig streiten, entschlossen handeln – das ist auch unser Ziel als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS in unserer Arbeit in der Presseförderung. Mehr zur Rolle von Lokaljournalismus für Pressefreiheit insbesondere in Hamburg erfahren Sie insbesondere auch bei der nächsten Hamburger Woche der Pressefreiheit vom 2. bis 7. November 2025. Mehr Informationen zur Aktionswoche HIER und zu unseren Aktivitäten rund um Medien- und Nachrichtenkompetenz HIER.