Bekämpft man Rechtsextremismus am besten, indem man nicht über ihn redet? Nein, war sich die Mehrheit der Teilnehmer:innen einig nach dem brandaktuellen Streitgespräch unserer neuen Debatten-Reihe „Streit & Zuversicht“.
„Unsere Geschichte hat gezeigt, dass das Nicht-Sprechen, das Unterschätzen, das Ignorieren, das Wegducken bei Rechtsextremismus ihm leider die Tür geöffnet hat“, mahnte Marcel Hopp, Lehrer, Politiker und seit 2021 Angeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus: „Ich glaube, dass nicht über Rechtsextremismus zu sprechen auch in letzter Konsequenz [dazu führt], Rechtsextremisten die Deutungshoheit über Rechtsextremismus zu geben.“
Wenige Tage nach der Europawahl diskutierte er mit Marina Weisband, ehemalige Frontfrau der Piratenpartei und Publizistin, sowie der Journalistin Gilda Sahebi und dem Soziologen Nils Kumkar im Heimathafen in Berlin Neukölln. Zugrundliegende Kernfrage von Folge Zwei unseres neuen Debattenformats „Streit & Zuversicht“, moderiert von Anna Dushime, war: Bekämpft man Rechtsextremismus am besten, indem man nicht über ihn redet?
Dazu gab es ein spannendes Setting: Zwei Gegenüber, zwei konträre Meinungen, Argumente im Schlagabtausch und zwei weitere Expert:innen, die alle untereinander, aber auch mit dem Publikum diskutieren – ergänzt durch aktive Beteiligung und Abstimmungen durch die Teilnehmenden.
Das Debattenformat realisieren wir als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS gemeinsam mit Holtzbrinck Berlin.
Die provokante Grundthese vertrat Marina Weisband, Diplom-Psychologin und Autorin. Ihr neues Buch „Die neue Schule der Demokratie“ befasst sich mit den Grundlagen der Demokratie und ist ein Plädoyer für Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung. Dass Demokratie erkämpft und gelebt werden will, weiß die gebürtige Ukrainerin aus eigener Erfahrung. Sie stellte bei der Diskussion unter anderem in den Raum: „Ich glaube, wenn wir eigene Themen setzen und uns gar nicht darüber unterhalten ob Migranten gut oder schlecht sind, sondern einfach Menschen als gegeben hinnehmen, dann erreichen wir viel mehr.“ Sie plädierte für ein Zuwenden zu anderen Themen und forderte von der Politik ein Umsetzen und Abarbeiten von sachpolitischen Herausforderungen, anstatt ständig auf AfD-Thematiken aufzuspringen, denen man so noch mehr Raum und Aufmerksamkeit gebe. Gleiches gelte für die Medien.
Ihr Gegenüber, Marcel Hopp, Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin für die SPD, argumentierte leidenschaftlich für ein Thematisieren und warnte vor dem Tabuisieren, mahnte gleichzeitig aber auch zur Vorsicht. „Die demokratischen Parteien müssen aufpassen und aufhören damit, rechte Narrative aufzunehmen“, betonte Hopp, der mit einer Instagram-Aktion auf sich aufmerksam macht, bei der an 100 Tagen vor der Europawahl jeden Tag eine Aussage der AfD mit Fakten widerlegt hat.
Beim anschließenden Expert:innen-Panel ergänzte Gilda Sahebi, Journalistin und Autorin von „Wie wir uns Rassismus beibringen. Eine Analyse deutscher Debatten“ einordnend: „Rassismus ist ein Herrschaftsinstrument genauso wie Antisemitismus. Das wird benutzt, um die Menschen auseinander zu bewegen, um sie zu überzeugen, dass uns mehr trennt als verbindet.“
Und dass die Anwesenden im Heimathafen in Berlin mehr verband als trennte, zeigte nicht zuletzt die Abstimmung nach dem offenen, aber sehr respektvollen Streitgespräch und dem Abwägen von Pro- und Kontra-Argumenten der vier Diskutant:innen: die Perspektiven von Weisband und Hopp näherten sich durch die Debatte an. Letztlich stimmte dennoch eine Mehrheit für ein Darüber-Sprechen.
Den spannenden Talk gibt es als Podcast zum Beispiel hier als Audiostream, bei Spotify oder bei Apple Podcasts zu hören.