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© ZEIT STIFTUNG BUCERIUS / David Ausserhofer
„Das letzte Wort ist noch nicht gesagt!“ – Festival „Streit & Zuversicht“ widmet ein Wochenende der Demokratie

„Wenn wir die Demokratie wollen, warum sind wir so schüchtern?“, fragte Michel Friedman. Der Publizist, Jurist und Philosoph stellte diese Eingangs-Frage bei dem hochkarätig besetzten Eröffnungspanel unseres Demokratie-Festivals „Streit & Zuversicht“ auf Kampnagel. Vom 11. bis 13. April 2025 haben als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS gemeinsam mit arte und in Kooperation mit Kampnagel auf dem Gelände der internationalen Kulturfabrik das Kultur-Politik-Festival umgesetzt. Das letzte Wort, so Friedman, sei noch nicht gesagt. Worum es dabei geht? Um die Gefährdung der Demokratie – in Deutschland, aber auch weltweit. Die Sachlage ist klar: Demokratie bleibt global herausgefordert durch Polykrisen, Extremismus, autokratische Bedrohungen, Klimakatastrophen, Kriege. Das Eröffnungspanel unseres dreitägigen Festivals war zugleich eine Bestandsaufnahme: „Wie gefährdet ist unsere Demokratie?“ lautete der Titel der Diskussion zwischen Friedman, Psychologin und Publizistin Marina Weisband, Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel, Publizistin und Kolumnistin Jagoda Marinić sowie Autorin und Forscherin Julia Ebner, moderiert von ZDF-Journalistin Nicole Diekmann.

Streiten, aber wie? „Manchmal fühlt man sich wie ein Cheerleader der Demokratie“

Sind wir, die Demokrati:innen der Welt, also zu schüchtern, um die Demokratie zu verteidigen, wie Michel Friedman sagt? Wenn das letzte Wort noch nicht gesprochen ist – welche Worte müssen wir wählen, um aufrichtig streiten und anschließend entschlossen handeln zu können? Die Panelist:innen debattierten dazu vor allem über die Streit- und Diskussionskultur in Deutschland – und ihre Grenzen, stellten aber auch offen infrage, ob und mit WEM eigentlich gestritten werden müsse.

„Die größte Chance sehe ich in der Zivilgesellschaft – in den Gewerkschaften und Vereinen (…) erfahrungsgemäß gab es hier immer den größten Widerstand“, sagte die Psychologin Weisband. Sie wolle, entgegen Friedmans Aufruf, nicht mehr andauernd streiten, sondern zuhören. Die Publizistin Marinić äußerte Gefühle von „Überforderung“, wenn sich in einem liberalen Raum „alle einig“, die Demokratie-Ablehnenden aber nach wie vor nicht Teil der Diskussion seien: „Man fühlt sich manchmal wie ein „Cheerleader“ der Demokratie.“

Erschwert sei deren Verteidigung auch durch Autokrat:innen und die Macht großer Tech-Konzerne, wie Julia Ebner hervorhob: „Die identitäre Bewegung zum Beispiel sieht die Online-Welt als Krieg, von digitalen Schlachtfeldern ist die Rede“. Es gehe vermehrt darum, Demokratie-Feind:innen wieder in eine „In-Group“ zu holen. Dazu brauche es von uns Demokrat:innen klare Ideen und Vorschläge, statt nur Reaktionen auf Feindlichkeiten, war sich das Panel einig. „Deutschland streitet nur, aber Deutschland hat keine Ideen“, so Jagoda Marinićs klare Worte. „Was ist unser Versprechen [für die Zukunft]?“

60 Prozent optimistisch: Zuschauer-Abstimmung bei interaktivem Debatten-Format

Menschen in Diskussionen einschließen, Aussagen, Versprechen und Argumente kritisch diskutieren – das sind auch Ziele unseres interaktiven Debatten-Formats „Streit & Zuversicht“, das wir als Stiftung mit Holtzbrinck Berlin umsetzen, bisher in Berlin und weiteren ostdeutschen Städten wie Halle. Auf dem gleichnamigen Demokratie-Festival feierte das Format nun seine Hamburger Premiere mit gleich zwei Ausgaben: „Ist Klimaschutz als politisches Projekt gescheitert?“ und „Muss man Social Media verlassen, um die Demokratie zu retten?“ waren die Leitfragen für kontroverse Diskussionen, begleitet von Argumentationen aufbereitet durch den Debattierclub Hamburg. Das Publikum hat bei diesem Format immer die Möglichkeit, Fragen einzubringen und über Argumente abzustimmen.

Im Klimaschutz-Diskurs, moderiert von Anna Dushime, diskutierten Klima-Aktivistin Carla Hinrichs (ehemals Letzte Generation), Grünen-Politikerin Katharina Beck, Demokratie-Influencer Rafid Kabir und Schauspieler Fritz Tietz. In dieser Runde ging es nicht nur um die Frage, ob und wie über Klimaschutz diskutiert wird, sondern auch darum, inwiefern die Debatte elitäre und moralische Ausmaße annimmt. Am Ende der Diskussion zeigte sich über ein Drittel des Publikums pessimistisch, 64 Prozent stimmten aber weiterhin für die Hoffnung, dass Klimaschutz als politisches Projekt noch nicht gescheitert sei.

Beim Panel zum Umgang mit Social Media mit Moderatorin Nhi Le teilten die Sprecherin des Chaos Computer Club, Constanze Kurz, „Volksverpetzer“-Gründer Thomas Laschyk, Autor und Professor für Soziale Arbeit Jan Skudlarek und Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit ihre Sicht auf Demokratie in sozialen Medien. Übergeordnet stand dabei die Frage „Delete oder defend?“ Am Ende konnten Debattierclub und Panel 14 Prozent der Zuschauer:innen zum „Delete“ bewegen, also davon überzeugen, Social Media zu löschen, um die Demokratie zu retten. Dennoch überwog auch hier die Zuversicht und 60 Prozent stimmten weiterhin dafür, auf Social Media zu bleiben und den Raum nicht Anti-Demokrat:innen zu überlassen.

Ask me anything – Hamburgs Politiker:innen beantworten Fragen zu Engagement und Wohnungsnot

Weitere Formate bezogen ebenfalls die Fragen, Nöte und Meinungen von Hamburgs Besucher:innen ein: So lernten rund 400 Schüler:innen in praktischen Workshops mit dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und Planpolitik neue Strategien für den Umgang mit menschenfeindlichen Aussagen und wurden für Diversität und Antidiskriminierung sensibilisiert. Welche Themen Hamburgs Bürger:innen bewegen, zeigte das Format „Ask me anything“, moderiert von ZEIT-Journalist Heinrich Wefing. Mit dabei waren die Politiker:innen Cansu Özdemir (Die Linke), Anke Frieling (CDU), Ole Buschhüter (SPD) und Lena Zagst (Bündnis 90/Die Grünen). Zuschauer:innen wollten unter anderem wissen, was Hamburgs Politik gegen hohe Wohnkosten unternimmt oder welche Maßnahmen Fahrradfahrer:innen zukünftig noch mehr unterstützen können. Zentral war aber auch die Frage, wie politisches Engagement gerade für junge Menschen attraktiver gestaltet werden könne.

Initiative für einen handlungsfähigen Staat: Koalitionsvertrag live auf der Bühne

Über praktischen Input junger Generationen freuten sich auch die Initiator:innen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, die wir als ZEIT STIFTUNG BUCERIUS gemeinsam mit drei anderen Stiftungen unterstützen und deren Ideen unlängst Einzug in den neuen Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung gefunden haben. Am Samstagvormittag trafen sich dazu Mit-Initiatorin Julia Jäkel und Geschäftsführer Martin Klingst mit rund 40 Studierenden und Alumni und Alumnae der Bucerius Law School, Bucerius Summer School, der Hertie School und des Mercator Kolleg für internationale Aufgaben. Im Anschluss an das Arbeits-Treffen folgte ein öffentliches Panel zur Frage „Wie machen wir den Staat handlungsfähiger und besser?“ mit Jäkel und Mitgliedern der Arbeitsgruppen der Initiative, darunter Unternehmer Rubin Ritter und die Professorin für Verwaltungswissenschaft an der Helmut-Schmidt-Unversität Sylvia Veit. Die Moderation übernahm Cornelius Adebahr. Die Medienmanagerin Jäkel nannte den bisher veröffentlichten Zwischenbericht der Initiative einen „Kraftakt“, der aber schon jetzt klaren Eindruck bei der zukünftigen Bundesregierung hinterlassen habe: Es handele sich um „eine Regierung, die verstanden hat: Wir müssen nun ins Handeln kommen“, so Jäkel. Veit unterstrich, sie habe in den bisherigen Reaktionen zum Bericht gemerkt, dass insbesondere bei jungen Menschendas Interesse groß sei, den Staat, in dem sie leben, zu gestalten.

Über Menschen, die sich aktiv für die Staatsgestaltung einsetzen, sprach auch die Aktivistin Salome Kochlamazashvili in einem von zwei Panels von arte. Mit Regisseurin Juliane Tutein und Moderator Frederic Ulferts diskutierte Kochlamazashvili die politische Situation und Zukunftsaussichten Georgiens. Im zweiten arte-Panel, Teil des Sendungsformats „Tracks“, sprachen Regisseur:in, Choreograf:in und Schauspieler:in Heinrich Horwitz und Künstlerin Charlie Stein über den Einfluss von Rechtsextremismus auf die internationale Kunst- und Kulturszene und hoben hervor, warum Demokratie aktive und haltungsstarke Künstler:innen braucht.

„Keine Macht für niemand!“ – so prägte Kultur das Demokratie-Festival

Und weil Kunst und Kultur eben essenzielle Teile einer demokratischen Gesellschaft sind, war auch das Performance-Programm beim Demokratie-Festival vielseitig und prominent vertreten: Es wartete auf mit mehreren Theater-Performances vom Kollektiv SKART & Masters of the Universe, das gemeinsam mit der Stadtteilschule Altona das kriegskritische Stück „War Games“ umsetzte. Highlight für Theater-Fans war auch die Neuinterpretation der Sage „Medeas Kinder“, aufgeführt an zwei Abenden von einem Kinderensemble und inszeniert von Theater-Shootingstar Milo Rau. Musikalisch begleitet wurde die Festival-Eröffnung von Klavier-Hymnen für die Demokratie, performt von Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel. Am Samstagabend erinnerten der Selig-Sänger Jan Plewka und Band vor ausgebuchtem Saal gemeinsam mit Musiker und Autor Rocko Schamoni, Krumbiegel und Sängerin Lina Maly an die politische Kraft von Musiker Rio Reiser, der dieses Jahr 75 Jahre alt geworden wäre – unter dem Titel „Keine Macht für niemand!“. Musikalisch große Momente lieferten außerdem das ausverkaufte Gratis-Konzert der Band Adam Angst und das Abschlusskonzert der Goldenen Zitronen, das Hamburgs erstes Demokratie-Festival am Sonntag ausklingen und Kampnagel leise werden ließ – mit nachhallenden Tönen, rauchenden Köpfen und vielen Worten, die noch nicht gesprochen sind.

Viele Panels und Inhalte vom Demokratie-Festival finden Sie HIER auf unserem YouTube-Kanal. Mehr Informationen und Bilder auch auf unserem Instagram- und LinkedIn-Kanal.

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