Eindrucksvolle Orgelmusik, Heiligenbilder aus kunstvollem Glas-Mosaik und eine andächtige Atmosphäre. Nein, das beschreibt diesmal keinen Gottesdienst, sondern den Beginn der letzten Veranstaltung unserer Reihe „Was macht KI mit …?“. Diesmal im Fokus: der Tod.
Heutzutage ist es möglich, die verstorbenen Liebsten sprichwörtlich „von den Toten zurückzuholen“: Mithilfe von künstlicher Intelligenz lassen sich beispielsweise digitale Avatare erstellen, die von der Stimme und dem Aussehen bis hin zum Chatverhalten sämtliche Charakterzüge eines Menschen imitieren. Das funktioniert so gut, dass es in der Interaktion mit einem solchen digitalen Zwilling schwierig sein kann zu realisieren, dass es sich nicht um den tatsächlichen geliebten Menschen handelt. Technologische Entwicklungen wie diese bringen das bisherige gesellschaftliche Verständnis von Menschlichkeit, Sterblichkeit und Trauer ins Wanken. Und genau darüber hat Moderatorin Jasmina Neudecker Anfang Juli in der Kulturkirche Altona in Hamburg diskutiert – zum Abschluss unserer Veranstaltungsreihe „Was macht KI mit…?“, mit KI-Anwenderin Annett Bommer, dem Autor und Regisseur Hans Block, Lorenz Widmaier, der zur Trauer im digitalen Zeitalter forscht, Prof. Dr. Petra Grimm, Leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE) an der Hochschule der Medien Stuttgart, dem Hamburger Debattierclub – und mit Ihnen im Publikum.
Zu Beginn der Veranstaltung waren Zuschauer:innen aufgefordert, sich mit einem Sticker auf Skalen zu positionieren. Eine Frage lautete: „Nutzen Sie eine KI, die eine:n Ihrer Liebsten ersetzt?“ Eine Menge roter Kreise schaarten sich um das „Nein“. Nur ein abgelegener, einzelner Sticker fand sich beim „Ja“. Dieser Sticker gehörte zu Anett Bommer. Seit ihr Mann gestorben ist, haben sie und ihre drei Söhne Zugriff auf einen KI-Avatar, den ihr Ehemann und Vater Michael in den letzten Monaten seines Lebens trainiert hat. Manchmal lässt sich Anett Bommer heute gerne etwas von seiner Stimme vorlesen.
Kommerzialisierung von Trauer?
Der KI-Avatar, der Michael Bommer nachahmt, sei aber nicht nur Trost – dahinter stehe ein Businessmodell und Unternehmen mit kommerziellen Interessen. Auch Hans Block, Autor und Regisseur von „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“, warnte: Die lang bestehende Sehnsucht der Menschen nach Unsterblichkeit kann zur unternehmerischen Falle werden. Das Gefühl der Präsenz, das KI durch Nachahmung einer geliebten Person erzielen kann, könne einen hohen emotionalen Einfluss erzielen. Trauer sei eine sehr sensible Phase und KI könne keine echte Fürsorge leisten. Wenn die KI einen Streit anfange oder Details aus der Vergangenheit verdreht, könne das tiefe Wunden bei Hinterbliebenen hinterlassen.
„Die Entwickler müssen Verantwortung für ihr Produkt übernehmen“, mahnte Prof. Dr. Petra Grimm, Leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE) an der Hochschule der Medien Stuttgart. Sie erinnerte daran, dass bei Erstellung eines KI-Avatars auch der Wille und das Einverständnis einer verstorbenen Person berücksichtigt werden müssen. Die Würde eines Menschen solle auch nach dem Tod gewahrt werden – gerade dann, wenn dieser sich nicht mehr äußern könne. Für Angehörige sieht sie eine Chance darin, Traumata nachträglich verarbeiten zu können. Aber sie stellte auch die Frage, ob der Trauerprozess durch die Interaktion mit KI in die Länge gezogen werden könne – und mit welcher Absicht: „Werden hier Geschäfte mit trauernden Menschen gemacht?“. Wie bei einer ursprünglich überwiegend euphorischen Erwartungshaltung gegenüber Sozialen Medien gelte es bei künstlicher Intelligenz, nicht ohne Regulationen in etwas „reinzurennen“, appellierte Grimm.
Lorenz Widmaier, der zu Trauer im digitalen Zeitalter forscht, hält den Hype um Unsterblichkeit hingegen für ein Relikt der Vergangenheit. „Mittlerweile gibt es ein Bewusstsein dafür, dass KI-Repliken verstorbene Menschen nicht auferstehen lassen. Die Hinterbliebenen sind sich bewusst, dass die imitierte Person gestorben ist“, so Widmaier. Diese Unsterblichkeit würde von den Benutzer:innen auch nicht gewollt. Er betrachtet KI vor allem als ein Werkzeug, das in der Trauertherapie eingesetzt werden kann. So könne die Anwendung beispielsweise dabei eine Hilfe sein, das Sprechen über Trauer zu erlernen oder Teile des alltäglichen Umgangs mit einer verstorbenen Person nachzubilden. Auch der Abschied von einer geliebten Person, die plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, sei für Hinterbliebene durch KI-Avatare zu einer unterstützenden Möglichkeit geworden, pflichtete Hans Block bei.
Trauer gesellschaftlich Auffangen
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum brachte eine Trauerbegleiterin ein, dass durch die Debatte ein wichtiges Thema wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft träte: Das Trauern an sich. Höchst individuell, aber auch einsam und gesellschaftlich noch tabuisiert sei der offene Umgang mit Gefühlen nach dem Tod einer geliebten Person.
So gerne sie auch die KI-Replika ihres Mannes nutze und so schön die vielfältigen Möglichkeiten mit KI seien – die menschliche Gesellschaft sollte sich Trauernden mehr annehmen, meinte Annett Bommer abschließend. Mehr miteinander zu sprechen, nachzufragen, bleibe wichtig: „Und das kann schon beim Gespräch mit dem Späti-Verkäufer beginnen“.
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Die gesamte Veranstaltung „Was macht KI mit Tod?“ können Sie hier streamen: