© Metodi Popow

„Stiftungen können sich selbst häufiger herausfordern“

Alena Buyx spricht über Chancen der Stiftungsarbeit, virale Reaktionen und warum Wissenschaftler:innen die Grenzen ihrer Kompetenz kennen sollten.

Seit dem 1. Januar 2023 ist Prof. Dr. Alena Buyx neues Mitglied im Kuratorium der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Als Medizinethikerin und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats gehört sie zu den bekanntesten Persönlichkeiten Deutschlands im Bereich Gesundheit. Auch mit dem Stiftungswesen ist die Wissenschaftlerin seit Studientagen verbunden; 2021 erhielt sie den Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung für ihr Engagement während der Corona-Pandemie. Im Gespräch definiert Buyx ihre neue Rolle in unserem Kuratorium und beschreibt, wie für gesellschaftsrelevante Wissenschaft und Diskurse eine neue Phase anbricht. 

Frau Prof. Dr. Buyx, sie sind Mitglied verschiedener Gremien und diskutieren regelmäßig als Speakerin und bei Panels. Worauf achten Sie zuerst, wenn Sie vor eine neue Runde treten?
Mir ist am wichtigsten, dass es echtes Interesse und Austausch gibt und die Rollen nicht ganz klar verteilt sind. Natürlich gibt es bestimmte Perspektiven und Rollen, die es einzubringen gilt. Ich bin häufig bei Panels oder in Gremien, wo sehr klar ist, was ich zu tun habe: Ich bin entweder die Stimme der Geisteswissenschaft, die Stimme der Medizinethik, die deutsche Stimme und so weiter. Das ist völlig okay, aber ich freue mich besonders, wenn ich in Situationen komme, wo man noch etwas ganz neu entwickeln kann und es keine strikte Agenda gibt. Das ist dann besonders spannend, weil das eine Offenheit im Geiste und im Habitus erfordert.

Worin liegt für Sie die Verantwortung und die Aufgabe von Stiftungsarbeit?
Stiftungen haben eine interessante Rolle in der Gesellschaft, in der sie unabhängig, aber auch missionsbasierter und flexibler Themen besetzen, Initiativen starten oder verstärken können als das viele öffentliche Träger, die Universitäten oder die Wissenschaft können. Stiftungen sind an vielen Stellen agiler. Ich kenne das Wissenschaftssystem und die Wissenschaftsförderung von innen, ich kenne Universitäten und zu einem gewissen Grad auch öffentliche Institutionen und behördliche Strukturen – darüber hinaus gibt es Räume, in denen Stiftungen mehr Freiheit haben, expliziter sein können, auch mal schneller und pragmatischer, und sich selbst häufiger herausfordern können. Ich sehe Stiftungen als sehr offene Akteurinnen im zivilgesellschaftlichen Raum.

Was sind in Zukunft dennoch zentrale Herausforderungen für das Stiftungswesen, besonders für die ZEIT-Stiftung?
Von außen habe ich in den vergangenen Jahren eine Gefahr beobachtet, dass viele Stiftungen um sich selbst kreisen und viel über sich selbst nachdenken: über die Mission, die eigene Governance, über die Infrastruktur. Das ist nachvollziehbar, weil man sich ständig erklären muss. Ich habe hin und wieder aber durchaus gedacht: „Schaut, dass ihr bei eurem Kerngeschäft bleibt.“ In meiner Wahrnehmung sollte das Kerngeschäft von Stiftungen wie der ZEIT-Stiftung der gesellschaftliche Mehrwert sein: Impulse und Orientierung geben und wichtige Initiativen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Zivilgesellschaft stärken und unterstützen. Man befindet sich eben in einem anderen Feld als in dem der klassischen Wissenschaft – da ist einiges vorgegeben, dort gibt es bestimmte Strukturen. Und auch bei den Universitäten ist vieles klar gesetzlich geregelt. Natürlich gibt es diese Art von Rahmenbedingungen auch für Stiftungen. Ich halte es für sehr wichtig, dass man diese reflektiert und auch ein gewisses Maß an Vorsicht, Haltung und Bedachtsamkeit an den Tag legt. Meine Rolle im Kuratorium sehe ich aber eher als diejenige, die vielleicht auch mal eine ungewöhnliche Verbindung mitbringt, als Impulsgeberin, weil ich in der Interdisziplinarität groß geworden bin und dieses vernetzte Denken hoffentlich einigermaßen beherrsche. Für das Maßhalten und Bedenken sind eher andere zuständig. Aber es gehört beides zusammen, ich sehe das als eine Art Yin- und Yang-Prozess.

Sie selbst wurden von Stiftungen schon früh gefördert, waren Empfängerin eines Stipendiums und haben den Preis der Deutschen Nationalstiftung erhalten. In welchen konkreten Themenfeldern könnte die ZEIT-Stiftung Ihrer Ansicht nach noch mehr fördern?
Zum einen müssen wir uns klarmachen, dass wir in der gesellschaftsrelevanten Wissenschaft in eine neue Phase kommen. Themen wie Shitstorms, Anfeindungen im Negativen, aber auch „viral gehen“ oder eine starke öffentlich Wahrnehmung im Positiven – das sind zwei Seiten einer Medaille, die wohl zum „neuen Normal“ werden. Das haben wir in der Wissenschaft noch nicht richtig verinnerlicht und verstanden, da kann die ZEIT-Stiftung wirklich etwas Wichtiges besetzen. Zweitens geht es um die starke Verzahnung zwischen Wissenschaft, Wissenschaftskommunikation und auch Wissenschaftsübersetzung. Das heißt, dass neue Erkenntnisse aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sehr viel schneller und stärker in die Anwendung kommen. Besonders mit Blick auf die ZEIT-Stiftung und ihren Fokus auf die Geschichte Osteuropas ist der Krieg in der Ukraine ein denkwürdiges Beispiel: Wissenschaftler:innen waren nicht überrascht, als Putin in der Ukraine einmarschiert ist. Gesellschaftlich gab es hier aber offensichtlich doch viele Überraschungen. Da ist in der Übersetzung und Umsetzung etwas schiefgelaufen. In der Wissenschaft haben wir wiederum das Problem, dass uns die Praxis manchmal zu ungenau und zu „unsauber“ vorkommt. Die Verzahnung dieser beiden Fragen ist deshalb so wichtig.

Als Forscherin und Wissenschaftlerin ist es nicht immer leicht, schnelle und klare Entscheidungen zu fällen. Während der Pandemie war aber gerade das von Ihnen und Ihrer Arbeit gefordert. Mit Blick auf diese Erfahrung: Wozu raten Sie heute einer Person, die vor einer umstrittenen Entscheidung steht? 
Zunächst ist wichtig zu unterstreichen, dass wir Wissenschaftler:innen ja meist nicht entscheiden, sondern beraten. Aber auch da muss man flott sein können. Wenn es um Wissenschaftler:innen geht, die überlegen, ob sie öffentlich kommunizieren wollen, dann empfehle ich, diesen Muskel zu trainieren. Das ist eine Fähigkeit, die man üben muss. Man kann sich regelmäßig zwingen, immer wieder zu überlegen: Wenn man mich jetzt auffordern würde, mich zu einem gesellschaftlich relevanten Thema zu positionieren, was will ich dann – begründet auf meiner Expertise – dazu sagen? Denn wir müssen uns auch die Grenzen unserer Expertise vor Augen führen. Ich versuche immer wieder öffentlich oder in Vorgesprächen zu öffentlichen Auftritten zu sagen: Dazu kann ich mich jetzt nicht äußern. Wir als Wissenschaftler:innen sind gewöhnt, antworten zu müssen, wenn man uns eine Frage stellt, aber nicht, dass man uns solche stellt, die aus unserem Kompetenzfeld fallen. Vielen, die sich in der Öffentlichkeit äußern, passiert so etwas jedoch ständig. Das müssen wir neu lernen in der Wissenschaft: Schau dir Beispiele von anderen an, die gut darin sind, den Kern der Wissenschaftskommunikation im eigenen Feld anzuwenden. Aber lote eben auch aus, wozu du dich äußerst. Und sei dann bereit zu sagen: Es tut mir leid, das geht über meine Kompetenz hinaus. Und schließlich: schaffe Dir ein dickes Fell an. Da bin ich selbst auch immer noch im Lernprozess.