© Ulrich Perrey

Blick auf Künstlerinnen: Dr. Kathrin Baumstark im Interview

Am 8. März ist der Eintritt ins Bucerius Kunst Forum kostenlos. Direktorin Baumstark erklärt hier, wie das Haus Künstlerinnen in Szene setzt.

Gabriele Münter, Lee Miller, geniale Künstlerinnen – das Jahr 2023 im Bucerius Kunst Forum legt einen Fokus auf Künstlerinnen aus verschiedenen Gattungen. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, lädt das Ausstellungshaus kostenlos in die erste Werkschau des Jahres ein: „Gabriele Münter. Menschenbilder“. Dies wird von der Hapag Lloyd AG im Rahmen ihrer Unterstützung der Ausstellung ermöglicht. Wie aber greift ein Ausstellungshaus darüber hinaus feministische Diskurse auf? Wie kann Kunst wichtige Sichtbarkeit schaffen? Im Interview beschreibt Dr. Kathrin Baumstark, Direktorin des Bucerius Kunst Forums, was den Blick des Hauses ausmacht – und warum die Biografie eine:r Künstler:in dafür manchmal doch eine wichtige Rolle spielt.

Frau Dr. Baumstark, wie glauben Sie, hätte Gabriele Münter den 8. März verbracht?
Vielleicht mit ihren Schriftstellerinnen- oder Künstlerfreundinnen. Oder sie wäre wandern gegangen!

Welche Erinnerungen verbinden Sie persönlich mit der Künstlerin?
Ich habe in München studiert und meine WG war nicht weit von der Pinakothek und dem Lenbachhaus entfernt. Dort habe ich sehr, sehr gerne Gabriele Münters Gemälde von „Marianne von Werefkin“ besucht – das Porträt, das wir jetzt als Titelmotiv für „Menschenbilder“ nutzen. Es war sogar mein Lieblingsbild im Lenbachhaus. Als zugesagt wurde, dass es in unsere Ausstellung kommt, hat mich das besonders gefreut.

Das Jahr 2023 im Bucerius Kunst Forum zeigt Ausstellungen, die sich nur auf Künstlerinnen konzentrieren. Warum war es dem Haus wichtig, auch in der Kommunikation darauf hinzuweisen?
Ich glaube, dass unsere wichtigste Aufgabe ist, nicht zu belehren oder etwas von oben herab zu erklären, sondern eher, Sichtbarkeit zu schaffen. Künstlerinnen sind eben in der Geschichte der Kunst vergessen worden – ja, man hat sie tatsächlich verdrängt. Diese Sichtbarmachung halte ich für etwas ganz Wichtiges: Künstlerinnen eben nicht als geschlechtsspezifischen Typus zu zeigen, sondern in der ganzen Bandbreite ihres künstlerischen Schaffens. Bei Münter habe ich das sehr stark gemacht: Ganz wenig Text an den Wänden, um wirklich ihre Werke strahlen lassen. Bei der Fotografie-Ausstellung zu Lee Miller im kommenden Sommer zeigen wir auch ihr ganzes Schaffen, angefangen von ihrer Zeit als Model bis zu ihren Kriegsfotografien. In der Ausstellung „Geniale Frauen“ im Herbst geht es um eine ganze Reihe dieser wirklich großartigen Künstlerinnen, die in Vergessenheit geraten sind.

Ist ein solcher Fokuspunkt in Zukunft auch für andere Geschlechter und Identitäten denkbar, zum Beispiel nicht-binäre oder trans* Künstler:innen?
Definitiv. Es geht immer um Sichtbarmachung in jeglicher Form von Minoritäten.

Manuel J. Hartung, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung, hat bei der Pressekonferenz zum Ausstellungsjahr auch von der gesellschaftspolitischen Aufgabe eines Ausstellungshauses gesprochen. Im März initiieren das Bucerius Kunst Forum und die ZEIT-Stiftung zum Beispiel eine Veranstaltung über „Impulse zur Geschlechter­(un)gerechtigkeit aus Kunst, Politik & Wissenschaft“. Inwiefern sieht sich das Haus explizit als Ort für feministische Diskurse?
Die Ausstellung ist bei uns natürlich immer die Säule, aber ich glaube, an Kunst ist auch sehr viel verhandelbar. Kunst macht viel mit einer Person – allein schon die Begegnung vom Werk mit mir als Betrachter. Nirgends bin ich so auf mich gestellt, wie wenn ich mir ein Kunstwerk ansehe. Vielleicht ist das noch in der Musik so, im Kino aber ist ja zum Beispiel etwas vorgegeben, der Zuschauende wird geleitet. Gerade bei den Menschenbildern von Münter ist man sehr damit beschäftigt, sich zu fragen: Was bedeutet das Gegenüber für mich? Deshalb glaube ich, dass Kunst per se gesellschaftlich relevant ist. Es braucht nicht immer einen Überbau oder ein Aufbrausen: Kunst kann uns sehr viel über uns und unsere Geschichte und auch unser Hier und Jetzt erzählen. Wenn wir hinschauen, können wir sehr viel lernen.

Sie haben schon erwähnt, dass bei der Ausstellung zu Gabriele Münter der biografische Teil eher reduziert gehalten wurde – wie sehen Sie die Verantwortung eines Ausstellungshauses, die Biografien der Künstler:innen zu reflektieren?
Manchmal haben Biografien eine viel zu große Rolle gespielt und tun es immer noch. Wie eben bei Münter, bei der Teile des Werkes einfach vergessen wurden. Hier ist es wichtig, für die Sichtbarmachung ihres Gesamtwerkes die Biografie außen vor zu lassen und die Künstlerin dadurch eigentlich noch viel mehr zum Strahlen bringen. Oft ist das Weglassen auch eine Kunst, weil etwas dadurch viel deutlicher und klarer wird. Anders ist es zum Beispiel bei der Ausstellung „Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“, die Dr. Katrin Dyballa kuratiert hat. Hier spielt die Biografie eine Rolle, weil die Leistung, die diese Frauen erbracht haben, unvorstellbar ist. Um noch einmal deutlich zu machen, wie man so eine künstlerische Qualität schafft, trotz aller Widrigkeiten – das heißt in Zeiten, in der eine Frau nicht als Künstlerin anerkannt wurde, weil „Männer produzieren und Frauen nur reproduzieren können“ – finde ich, muss es ein anderes Vorgehen sein. Hier müssen wir diese Frauen und ihre Biografien stark machen. Es geht in der Ausstellung zum Beispiel um Lavinia Fontana, die elf Kinder hatte. Sie war in der Spätrenaissance eine sehr bekannte Künstlerin und eine der ersten Frauen, die sich in diesem Beruf etablierten. Ihr Erfolg war so groß, dass ihr Mann, ebenfalls Maler, zu ihren Gunsten in den Hintergrund trat, um sich um die Familie zu kümmern. Diese Geschichten zu erzählen hilft, um auch ihr Werk einzuordnen. Solche differenzierten Herangehensweisen sind auch etwas, was das Bucerius Kunst Forum ausmacht – ein gerechterer Blick.

Das passt auch zu Gabriele Münters Darstellung von Menschen. Wie, finden Sie, hat sie Weiblichkeit dargestellt?
Gabriele Münter ist nicht die Körpermalerin, sondern die Gesichtsmalerin. Bei ihr sehen wir sehr selbstbewusste Figuren – nicht nur die weiblichen – und damit Frauen, die eine große Stärke und Ruhe ausstrahlen. Dadurch haben sie etwas sehr Unmittelbares, auch weil sie häufig so reduziert dargestellt sind und diese großen Augen haben. Manchmal wissen wir, wer gezeigt ist, manchmal waren es aber auch unbekannte Frauen – und man fühlt sich auch mit diesen wirklich sehr verbunden. Das hat etwas Überzeitliches und passt in keine bestimmte Schublade, sondern ist einfach wirklich die Darstellung von Menschen.

Weitere Informationen über die aktuelle Ausstellung „Gabriele Münter. Menschenbilder“ erhalten Sie hier. Einen weiteren Ausblick auf das Ausstellungsjahr 2023 im Bucerius Kunst Forum finden Sie hier